Eine kleine Geschichte der Menschheit – mit Düften III: (Europäisches) Mittelalter
Nachdem ich diese Woche ein paar Tage krank war, habe ich endlich die Muße gefunden, Teil drei meiner Serie weiterzuschreiben. Nachdem wir bereits in der Vor- und Frühgeschichte und in der römisch-griechischen Antike herumgeschnüffelt haben, begeben wir uns diesmal in die Zeit des Mittelalters. In der Überschrift schreibe ich vom „europäischen“ Mittelalter, da die Einteilung Antike – Mittelalter – Neuzeit in dieser Form eigentlich nur auf Europa anwendbar ist. Gerade der Bruch zwischen der Antike, die in der europäischen Geschichtsschreibung meistens mit dem (west)römischen Reich verbunden wird, und dem Mittelalter ist in anderen Gegenden der Erde nicht wirklich nachvollziehbar. In der indischen Geschichtsschreibung wird zwar auch von einem Mittelalter geredet – das ist jedoch deutlich kürzer als das europäische und wird auch verschieden datiert. In China war diese Zeit, trotz regelmäßiger Dynastiewechsel, doch eher eine stabile; erst im 10. Jahrhundert, in der Zeit der fünf Dynastien und zehn Königreiche, gab es hier einen ähnlich großen Umbruch. In Südamerika bestand das Reich der Maya bis in die Zeit der europäischen Hochmittelalters hinein seit etwa 4.000 Jahren. Wir wollen uns nicht mit Details der Historiografie aufhalten – aber vielleicht erklärt diese Europazentriertheit auch, warum sich viele Parfums, die sich auf die „alte Welt“ beziehen hier, finden.
Wie immer an der Stelle, bevor es losgeht, aber erst einmal noch der Verweis auf meine beiden Listen mit historischen Parfums, da ich nicht alle der von mir ungetesteten Parfums hier im Blog unterbringen kann: Schon getestet und noch nicht getestet.
Während das weströmische Reich aufhörte zu existieren, blühte Ostrom immer mehr auf. Spätestens seit 395 war das römische Reich bereits offiziell in eine westliche und eine östliche Reichshälfte geteilt. Im ehemaligen westlichen Reichsteil bildeten sich aus den romanisierten Gebieten neue Kulturen und Stammeszusammenhänge heraus. In Großbritannien spielt die Artussage in dieser Zeit des Frühmittelalters. Historisch bewegt sich die Geschichte in der Zeit nach dem Abzug der Römer, als Pikten aus dem schottischen Norden und angelsächsische Germanen von der Nordsee her England bedrohten. Zur historischen Person Artus gibt es verschiedene Theorien, aber es ist davon ausgehen, dass er ein Heerführer aus der romano-britischen Oberschicht dieser Zeit war. Möglicherweise geht die Figur sogar auf das 2. Jahrhundert nach Christus und auf den römischen Ritter und Heerführer Lucius Artorius Castus, der auch in Britannien stationiert war. Möglicherweise diente auch der römische Heermeister Flavius Aëtius mit als Vorbild. Sehr wahrscheinlich ist Artus in seiner Darstellung keine historische Person, sondern vermischt Eigenschaften und Namen verschiedener Personen aus der Endzeit der Römer in Britannien miteinander. Er ist aber eigentlich auch gar nicht der Star hier, sondern sein wichtigster Ritter "Sir Gallahad (2017)". Gallahad wurde als Sohn des Lancelot in Artus' Tafelrunde aufgenommen und war der einzige der Tafelritter, der den „Heiligen Gral“ zu Gesicht bekam – bekanntlich ein Ereignis, auf das viele Parfum@s auch schon lange hinfiebern 😁 Leider steht der Duft erst noch auf meiner „zu testen“-Liste, ich wollte die Geschichte dennoch gerne hier unterbringen. Der Duft ist ein eher floraler, mit herben Noten wie Tabak, Weihrauch und Vetiver und hier auf Parfumo bisher ganz gut bewertet.
Während der Einfälle der Angelsachsen flüchteten viele Angehörige der keltisch-britischen Bevölkerung aber auch der romano-britischen Oberschicht über den Ärmelkanal in die Bretagne. In der dortigen keltischen Mythologie glaubte man an die so genannten „Korriganen“, Feen bzw. Zauberinnen, die Männer mit ihrem Gesang verführten und betörten. Ihnen hat Lubin den Duft "Korrigan" gewidmet. Lubin selbst hat seine eigene Korriganen-Geschichte und schreibt, sie „pflücken Wacholderbeeren und wilde Haselnüsse. Dann wird in finsteren Höhlen aus Gerste betörender Alkohol destilliert. Sie würzen ihn mit Safran, parfümieren ihn mit Ambrette und aromatisieren ihn mit Lavendel“. Entsprechende Gewürz- und Alkoholnoten sind in der Duftpyramide angegeben, ebenso wie Oud – was auch immer der mit diesen Feenwesen zu tun haben mag. Leider muss ich zugeben, so sehr ich Lubins Akkad liebe, so wenig kann ich mit Korrigan anfangen. Für mich ist ein animalischer, man könnte auch sagen Kuhstall-Oud von Anfang an präsent. Ich vermag Moschus, etwas Rauch, Leder und eventuell Pfeffer zu erriechen. Später wird es etwas vanilliger – vanilliger Kuhmist dann. Wer sehr animalischem Oud zugetan ist, könnte diesen Duft mögen, mich haben die Korriganen leider nicht betören können.
Wenige Jahrhunderte später kehrten die Korriganen aber genauso wie die Artussage aus der Bretagne zurück nach England. 793 überfielen die Wikinger auf der englischen Insel Lindisfarne ein Kloster und markierten so den Anfang der so genannten „Wikingerzeit“. Mehrere Jahrhunderte lang überfielen diese Kämpfer aus Skandinavien vor allem England und das Frankenreich immer wieder, aber auch Spanien und Portugal. Sie plünderten 856/57 Paris, 881/82 Aachen, Köln und Bonn. Um 900 entdecken Wikinger, oder wie sie in fränkischen Quellen heißen „Normannen“, Grönland und erobern auch Nordfrankreich und gründen dort die Normandie. Anfang des 11. Jahrhunderts erobern die Dänen England, konnten sich dort aber nicht nachhaltig festsetzen. Trotzdem gab es auch in den kommenden Jahren skandinavische Angriffe gegen England. Diese stoppten erst, nachdem die Angelsachsen 1066 zwar die Norweger aus England vertrieben hatten, nur um im selben Jahr später vom normannischen Herzog Wilhelm besiegt zu werden, der auch die Bretonen wieder mitbrachte. Nach der Schlacht von Hastings sollte er als William the Conqueror der erste normannische König Englands werden. Ob er sich selbst noch mit seinen Vorfahren identifizierte und als Wikinger sah wissen wir heute nicht mehr. Zumindest ging er aus einer unter den Wikingern verbreiteten polygamen Ehe seines Vaters Robert I. hervor. Als englischer König ließ er aber dann Festungen zur Abwehr der Wikinger errichten, unter anderem den Tower of London, den wir heute noch kennen. Creeds "Viking" könnte Wilhelm als romanisiertem Wikinger jedoch gefallen haben – es ist ein eleganter Duft und wahrscheinlich einer der meistempfohlenen hier auf Parfumo. Viking riecht einerseits frisch, mit seinen Noten von Eisenkraut oder Minze, aber andererseits auch schwer, duftet es doch nach Rose und Gewürzen (ich konnte Zimt, Wacholder und Pfeffer riechen). Dafür, dass die Wikinger tatsächlich eine Vorliebe für Rosen hatten, wie es hier auf Parfumo zuweilen behauptet wird, konnte ich keinen Beweis finden. Tief verwoben mit den Wikingern sind aber die Nornen, die nordischen Schicksalsgöttinen. Den gleichnamigen Duft "Norne" von Slumberhouse konnte ich ebenfalls noch nicht testen. Die Duftnoten, die mit Kiefernnadel, Flechte, Farn, Moos, Schierling und Weihrauch angegeben sind, klingen für mich aber genau so, wie ich mir eine mystische Waldlichtung vorstelle, auf der man die drei Nornen mit ihren Spinnrädern, die das Schicksal spinnen, treffe.
Ihre Eroberungszüge hatten die Wikinger allerdings noch lange nicht eingestellt. Sie eroberten im 11. und 12. Jahrhundert Sizilien und Süditalien und wurden dort mit Herrschaften belehnt. Diese süditalienischen Normannen beteiligten sich auch 1099 am erste Kreuzzug, wo sie das Fürstentum Antiochia errichteten. Die oströmische Herrschaft in diesem Raum war zu diesem Zeitpunkt längst untergegangen (daher gibt es an dieser Stelle auch nur eine kleine Erwähnung des zuckrig-süßen Gourmand-Orientalen "Byzantium" von Tesori d'Oriente). Die Seldschuken hatten Kleinasien unter dem Segen der Kalifen von Bagdad erobert und das christliche Europa versuchte, zumindest das „heilige Land“ zurückzuerobern. Die islamische Expansion hatte inzwischen aber, ähnlich wie die Wikinger, in vielen ehemaligen Gebieten des römischen Reiches, seine Wirkung schon entfaltet. In Nordafrika und Spanien führte sie zu einer Blütezeit der Wissenschaften. Aber auch diese Reiche mussten natürlich militärische erobert und gesichert werden. Dazu dienten den Kalifen so genannte Ksour (sg. Ksar, vergleiche „Alcazar“) und Ksabi (sg. Kasbah), ersteres waren Dörfer und Städte, um die Befestigungsanlagen errichtet wurden, zweiteres reine Militärfestungen, die in oder um eine bestehende Stadt errichtet wurden. Während nahezu alle Ksour aus dier Zeit inzwischen geschleift wurden, sind viele Ksabi auch heute noch in Marokko, Algerien, Tunesien oder Andalusien prägend für die Bilder von Städten. Die im Westen berühmteste ist sicherlich die Alhambra von Granada. Diesen Festungen hat Robert Piguet seinen Duft "Casbah" gewidmet. Hier begegnet uns der Weihrauch, den wir in der Vor- und Frühgeschichte schon so präsent hatten, wieder. Beim Piguet-Duft ist es ein sakraler Weihrauch, begleitet von Ingwer, Pfeffer und einer leicht holzigen oder Vetiver-Unternote. Projektion und Haltbarkeit bei Casbah sind gut – fast so wie bei den heute noch stehenden Ksabi in Nordafrika und Südspanien.
Der Weihrauch führt uns weiter in die Welt der Religion. Comme des Garçons hat eine ganze Serie, „Series 3: Incense“, dem sakralen Weihrauch gewidmet. Zwei der Düfte konnte ich bisher testen: "Series 3: Incense - Avignon" steht dabei für den katholischen Glauben, der jedoch im Großes Abendländischen Schisma gespalten war in ein avignonensisches und ein römisches Papsttum, ausgelöst durch eine doppelte Papstwahl 1378. Knapp 40 Jahre später, konnte das Papsttum in Rom erst wieder vereinigt werden. Avignon als Duft steht ganz klar und kompromisslos für sakraler Weihrauch, er ist würzig, man riecht holzige und harzige Noten. "Series 3: Incense - Kyoto" entführt uns nach Japan und damit zum Buddhismus und zum Shintōismus. Während man in Europa zu dieser Zeit um Päpste rang, herrschten in Japan die sogenannten Shōgune, eine Art samuraiischer Militäradel, der die kaiserliche Verwaltung von der tatsächlichen Macht ausgeschlossen hatte. Einige Jahrzehnte, nachdem sich in Europa die Päpste wieder zusammengerauft hatten begann 1477 in Japan die so genannte „Zeit der streitenden Reiche“, in der es fast 100 Jahre lang keine effektive Zentralregierung im Land gab. Zurück zu Kyoto als Duft allerdings, besinnen wir uns wieder auf die klärende und beruhigende Wirkung des Weihrauchs. Es ist hier ein holziger Weihrauch, man riecht Nadelbäume – eventuell Zypressen – und der Duft ist insgesamt schärfer als sein Geschwister aus Avignon. In der Reihe gibt es darüber hinaus noch "Series 3: Incense - Zagorsk", das für die orthodoxe Kirche steht, "Series 3: Incense - Ouarzazate" für den Islam sowie "Series 3: Incense - Jaisalmer" für den Hinduismus.
Etliche Düfte mit historischem Touch hat Onyrico produziert, die mich unter anderem auch zu meiner Duftleidenschaft und insbesondere dem Interesse zu Düften mit historischen Geschichten dahinter gebracht haben. "Empireo" ist eine Referenz auf Dante Alighieri, einen der bekanntesten italienischen Dichter überhaupt, aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Der Duft enthält Vanille, Weihrauch, Zypresse und ist meiner Meinung nach einer der besten von Onyrico. Zumindest den Weihrauchduft finden wir auch in der Divina Commedia wieder, als Dante von der Bundeslade erzählt. Mit "Zephiro" bewegen wir uns weiter in Richtung Renaissance, ebenso wie bei "Ingenium / Enygma", der konkrete als Reminizenz an Leonardo da Vinci kreirt wurde. Doch die beiden konnte ich noch nicht testen. Onyricos "Itineris" schließlich führt uns in die „neue Welt“. Leider wollte diese blumig-seifige Kreation mit etwas Minze und Zitrone bei mir keine rechte Aufbruchstimmung im Sinne von „Conquest of Paradise“ aufkommen lassen.
Für diejenigen, die es dennoch in die neue Welt geschafft haben, ist "Cacao Aztèque (Eau de Parfum)" der letzte Anlaufpunkt. Völlig ohne Kenntnis der Irrungen und Wirrungen der Geschichte in Europa, Arabien oder Japan bauten die Azteken ab dem 14. Jahrhundert ein Reich in Mittelamerika auf. Hauptstadt des Reichs war Tenochtitlan, das heute unter den Gebäuden von Ciudad de México vergraben liegt. Die Azteken, die sich selbst Mexi'ca nannten, sind heute vor allem für ihre Menschenopfer bekannt. Diese grausamen Rituale gab es wohl wirklich; eine These ist aber, dass ihr Ausmaß und ihre Schrecklichkeit von den spanischen Conquistadores zum Zwecke der eigenen Propaganda etwas übertrieben wurde um sich selbst die Geldbeschaffung für Eroberung und Mission zu erleichtern. Die Azteken besaßen einen ausgereiften Kalender und, anders als die meisten Völker der „neuen Welt“ ein eigenes Schriftsystem. Die meisten Schriftzeugnisse wurden jedoch durch die Conquistadores vernichtet. Was uns von den Azteken jedoch geblieben ist und auch in unzähligen Parfums bis heute eine präsente Rolle spielt ist der Kakao, den sie damals als „xocoatel“ servierten – ein nichtgezuckertes Kaltgetränk, bei dem die meisten heute wohl nicht wirklich an Kakao denken würden. Leider geht es mir beim Perris Monte Carlo-Duft Cacao Aztèque ganz ähnlich. Neben dem durchaus zu erkennenden Kakao und einer (wohl gar nicht so azteken-typischen) Pfeffer- oder Chili-Note, wird für meine Nase alles von einem altbackenen Blumenduft überlagert, den ich weder in modernem noch traditionell aztekischem Kakao erwarten würde. Vor dem Hintergrund bleibe ich dann für meine Schokolade doch lieber in der Tafelform – oder demnächst kurzzeitig in Hasenform.
Ich hoffe, euch haben meine bisher drei Blogeinträge zu dem Thema gefallen. Ich weiß noch nicht, ob ich mit einem Blog zur frühen Neuzeit weitermache, oder vielleicht die Idee, einen eigenen Beitrag über Göttinnen und Götter zu machen, aus den Kommentaren aufgreife. Aber vielleicht geht es hier irgendwann wieder weiter :) Danke euch fürs Durchlesen!