Yatagan
Im Dschungel mit Yatagan
vor 11 Monaten - 28.05.2023
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Eine Hommage an stilvolle Herrendüfte

Eine Hommage an stilvolle Herrendüfte

Natürlich kann man sich mit Fug und Recht die Frage stellen, warum ich diesen Text nicht als Rezension zu Knize Ten veröffentliche, aber dort steht bereits ein Kommentar von mir, und außerdem geht es mir um etwas ganz anderes als um die Beschreibung eines so bekannten Duftes. Die ist bereits zigmal geleistet worden. Der Duft gehört zu den Lederdüften alter Couleur, enthält also keine an Leder erinnernde Note, sondern Duftkomponenten, die traditionell genutzt wurden, um den Gerbegeruch von Leder zu überdecken: Ambra / Amber, Labdanum (weitere Harze), Moschus, Zibet / Bibergeil, Rose, Birkenteer u.a. Knize Ten verströmt dabei die Aura vergangener Jahrhunderte, stilvoller Bekleidungstradition (Herrenschneider), unaufdringlicher Eleganz - statt geballtem Impact aus Haltbarkeit und Sillage. Tatsächlich stieß ich gerade auf diesen Duft des österreichischen Herrenschneiders, weil ich den neuesten Roman von Martin Suter auf meiner Terrasse lese. Ich lese übrigens jeden neuen Roman von Martin Suter. Nicht weil jeder einzelne wirklich immer überzeugend wäre, aber weil immer wieder und gar nicht selten ganz besondere literarische Perlen dabei sind und ich nicht erst aus dem Feuilleton erfahren will, dass man diesen oder jenen gelesen haben müsse. Ich will es selbst herausfinden. "Melody" lautet der Titel dieses geradezu analogen Romans, der im engsten Umfeld eines gealterten Gentlemans in dessen Villa spielt, der seine Gäste noch mit Briefen zu Einladungen zu bitten pflegt, einen Butler und ein Hausmädchen beschäftigt (sicherlich anachronistisch und bourgeois) und Champagner vor dem Essen reicht, nicht etwa, weil er es sich leisten könnte, sondern weil es zum guten Ton eines gehobenen Dinners gehört UND weil er es sich leisten kann (das ist ein entscheidender Unterschied, wenn auch nicht weniger dekadent, dafür aber stilvoller). Der Protagonist bemerkt schon am ersten Abend seines Einzugs in die Villa des alten Herrn einen Duft, der ihm sehr bekannt vorkommt: Der stilsichere Mann trägt "Knize Ten, ein altmodisches Eau de Toilette, das sein Vater benutzt hatte." (Martin Suter, Melody, S. 29). Knize Ten wurde gelegentlich als bester Herrenduft aller Zeiten apostrophiert, immer wieder in der Literatur erwähnt, als Referenzduft für stilvolle Herrengarderobe genannt und vielleicht gehört er zu diesen Düften, die man auf die einsame Insel mitnehmen würde, wenn man denn keine anderen mitnehmen dürfte, was für viele von uns, mich eingeschlossen, eine arge Belastung, vielleicht sogar Bedrohung bedeuten würde. Mit Knize Ten könnte man sich aber sicher trösten. Man wüsste, dass man einen Duft gewählt hätte, mit dem man nichts falsch machen kann. Da ich im Sommer eine Woche auf einer Insel verbringen werde, könnte ich diesen Test wagen und mich für Ten entscheiden. Wahrscheinlich wäre er in allen Lebenslagen genug. 

Das hier ist aber so wenig ein Plädoyer für einen Signatureduft wie für den Duft Knize Ten an sich, sondern die ernstgemeinte Frage, was einen Duft zu einem ewigen Klassiker macht (klassisch im Sinne einer Hoch-Zeit, eines künstlerischen Höhepunkts, etwa der höfischen Klassik oder der Weimarer Klassik). Anders gefragt: Welche anderen klassischen Herrendüfte hätte der alte Gentleman aus Martin Suters Roman alternativ tragen können? Sicherlich keinen Duft aus der aktuellen Auswahl an Nischendüften (die müssen sich erst noch als Klassiker erweisen, aber vielleicht gehört in Zukunft der eine oder andere dazu), sondern ein Duft, der bereits über Jahrzehnte bewiesen hat, dass er in allen Lebenslagen für den stilvollen Herrn als Lebensretter taugt. Mein Onkel trug in solchen Fällen immer Guerlain Vetiver, mein Vater etwas rustikaler Russisch Leder von Farina. Beide kämen in Frage. Darüber hinaus fielen mir die folgenden Düfte ein, die stilvoll, universell, mit Würde und in allen Lebenslagen tragbar wären und die sich in diesem Kontext seit Jahrzehnten (das scheint mir wichtig) bewähren:

Pour Un Homme de Caron (1934): für Männer, nicht für Kinder, für stilsichere Frauen

Chanel Pour Monsieur (1955): Chanel betreibt eine erfreulich sparsame Veröffentlichung von Herrendüften.

Dior Eau Sauvage (1966): Bitte kein "Sauvage" oder seine Varianten; das Eau davor ist wichtig!

Floris No. 89 (1951): Trug schon James Bond gekonnt.

Geo F. Trumper Eucris (1912): tellvertretend für andere Düfte der Marke

Givenchy Gentleman (1974): Keinesfalls mit neueren Varianten ähnlichen Namens zu verwechseln!

Guerlains Vetiver (1959), Habit Rouge (1965), Derby (1985), Mouchoir de Monsieur (1904), um nur einige Wichtige zu nennen. Guerlain hat hier viel geleistet.

Hermès Equipage (1970): Auch andere wären denkbar.

Jacques Fath Green Water (1947): in allen Versionen (fast) so schön wie damals

Jean Patou pour Homme (1980): verschollene Legende

Knize Ten (1925): Oben bereits erwähnt und endlich wieder mit dem richtigen Entstehungsjahr vermerkt.

Mäurer & Wirtz Tabac (1959): zeigt, dass auch sehr Preiswertes stilbewusst sein kann - oder Johann Maria Farina gegenüber Russisch Leder (1967), den mein Vater trug.

Parfums de Nicolai: New-York (1989): einer der letzten wirklich großen Neuschöpfungen: finit!

Penhaligon's Blenheim Bouquet (1902): Auch andere der Marke wären denkbar.

Acqua di Santa Maria Novella (angeblich aus dem 16. Jahrhundert): ein schönes Beispiel für Kölnisch Wässer

Eine ähnliche Liste ließe sich mit Damendüften erstellen. Die Liste oben ließe sich darüber hinaus natürlich erweitern, verändern, diskutieren, was hier gerne geschehen kann.

Aktualisiert am 28.05.2023 - 07:12 Uhr
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