Yatagan
Im Dschungel mit Yatagan
vor 4 Jahren - 11.01.2020
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Weltanschauung und Duft: Moden und Mentalitäten im Laufe der Jahrzehnte

Während ich noch meinen letzten Blog zu Zufällen und Bestimmungen schrieb, in dem ich schildere, wie ich scheinbar zufällig an meinem Geburtstag einen Duft aus meinen Geburtsjahr auswähle, stellte ich mir zum wiederholten Male die Frage, wie sich Mentalitäten, Weltanschauungen, Befindlichkeiten und Haltungen einer bestimmten Zeit auf die Komposition von Düften auswirken. Wenn das bei Mode und Musik als selbstverständlich angenommen wird, so muss es auch für Parfums gelten, und damit meine ich nicht nur den Wechsel von Fruchtig-Floralem zu Orientalen und zurück, der so unvermeidlich zu sein scheint wie der Schweinezyklus.

Ich zeige das an einigen wenigen Beispielen, die sicherlich immer ergänzungsbedürftig und mindestens sehr subjektiv sind.

Düfte, die vor 1900 entstanden, erscheinen uns heute fern wie aus einer anderen Galaxie. Dennoch gibt es nicht wenige, die auch heute noch präsent sind. "Echt Kölnisch Wasser" (1792) ist neben seinem noch betagteren Schwesterchen von Farina gegenüber eines der ältesten und markiert quasi einen Anfang: nerolifein, blütenhell, erfrischend und sicherlich ganz gut gegen jede Form von Alltagsgestank geeignet und wohl eher Sache adliger Damen, die sich damit den vergleichsweise ungewaschenen Alltag erleichterten. Kurze Zeit später erschienen auch schon die ersten schweren Düfte (sog. Lederdüfte, die mit den heutigen Kunstleder-Düften à la Tuscan Leather nichts gemein haben) und mit Ambra, Moschus, Nelke, Rose, Sandelholz sowie weiteren warmen Noten den Gerbegeruch von Leder überdecken sollten und damit wohl eher Sache adliger Herren waren, die in Sätteln saßen, Lederstiefel trugen und Lederbeutel benutzten. Ein schönes Beispiel ist "Hammam Bouquet (Eau de Toilette)" (1872), das heute vielen eher als Damenduft vorkommen mag. Zeiten, in denen Düfte neben der ästhetischen Wirkung viel mehr auch einen vordergründigen Nutzen hatten: das Überdecken von unangenehmen Gerüchen.

Wenn auch vor 1900 komponiert, so markiert "Jicky (Eau de Toilette)" (1889) dennoch eine neue Zeit, vielleicht den Beginn der olfaktorischen Moderne, weil hier zum ersten Mal synthetische Inhaltsstoffe (Vanillin) zum Einsatz kamen.

Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts war durch ein Nebeneinander konkurrierender Stile und Moden gekennzeichnet: z.B. Historismus (rückwärtsgewandt) und Jugendstil (dem Neuen verpflichtet) und so sollten sich in dieser Zeit auch Düfte finden, die das eine oder das andere abbilden: Wo tatsächlich sich das wunderbare "Après L'Ondée (Eau de Toilette)" (1906) einordnen lässt, mag jeder selbst entscheiden. Ich finde, es steht für das eine wie für das andere. Ein Kunstgriff!

Das folgend Jahrzehnt wurde stark vom Ersten Weltkrieg überschattet (1914 -18) und gerade deshalb mag "Mitsouko (Eau de Toilette)" (1919) für jene Euphorie stehen, die das Ende der Schrecken und die Hoffnung auf eine neue Zeit bezeichnet. Nicht umsonst gilt der Duft noch heute als einer der maßgebenden Chypre-Düfte, der mit seiner feinen Pfirsichnote, einmal gerochen, immer im Gedächtnis haften bleibt.

Die 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts brachten Wirtschaftskrise, revolutionäre Mode, Charleston, den Siegeszug des Jazz und einen großen Kontrast zwischen Armut und dekadentem Reichtum, aber auch Auf- und Niedergang der Weimarer Republik. Mein Signature-Duft "Crown Spiced Limes" (1921) erzählt davon, denn er vereint schlichte Hesperidienfrische mit geheimnisvoll orientalischer Würze.

Die 30er-Jahre mag man als tragischen Gegenentwurf lesen: politische Verirrung, Zeit des Faschismus und Nationalsozialismus, konservative Revolution: "Knize Ten (Toilet Water)" (1931), so grandios er sein mag, ist Sinnbild einer konservativ gediegenen Herrengarderobe, die sich in Duft abbildet.

Die 40er-Jahre waren noch stark geprägt vom Krieg, in Deutschland vom Elend der Nachkriegszeit, und Duft war mehr denn je ein Luxusgut. Gerade deshalb findet sich in dieser Zeit die Sehnsucht nach Glamour, nach Glanz - und Mode und Duft folgten: "Miss Dior (1947) (Parfum)" (1947).

Das nächste Jahrzehnt begann so bieder wie das vorige geendet hatte, war aber auch die Zeit des Rock 'n' Roll und einer erstmals den gesellschaftlichen Diskurs prägenden Jugendmode. Carvens "Vétiver (1957) / Eau de Vétiver pour Monsieur (Eau de Toilette)" ist vielleicht der erste bekannte Vetiverduft, bei dem das grüne Gras duftbestimmend wurde: eine erdige, frische, aber auch säuerlichen Note als rebellisch laute Provokation. Daneben aber gibt es auch Düfte, die vollendet gediegen erscheinen und die Irritation des konservativen Bürgertums über die missverstandene Jugendkultur olfaktorisch fassen: so auch "Pour Monsieur (Eau de Toilette) / A Gentleman's Cologne / For Men" (1955).

Bei der Bewertung der 60er spielt oft die Zweiteilung in ein erstes, eher träges - und ein weiteres, unkonventionelles, politisch erneuertes Teiljahrzehnt eine Rolle. Darum wird es auch aus der Perspektive von Duft ab 1967 und 1968 interessant: eine Renaissance der Chypredüfte, nun aber vor allem frisch, grün, androgyn: "Climat (1967) (Eau de Toilette)" und "L'Eau Neuve" (1968) nenne ich stellvertretend.

Noch unkonventioneller, oft aber auch verspielter, gaben sich die 70er: So entstehen ein Damen- und ein Herrenduft, die sich so sehr ähneln, dass man sie im Vorübergehen nicht unterscheiden kann: "Aromatics Elixir (Eau de Toilette)" (1971) und "Aramis 900 (Herbal Eau de Cologne)" (1973) sind ein fröhlich blumiges Hippiepaar.

Die neue konservative Wende der 80er, gesellschaftliche Strenge gepaart mit Lust am Luxus, zeigten sich bei Düften schon früh: etwa beim legendären "Patou pour Homme (Eau de Toilette)", überhöht dann endlich bei "Bel Ami (Eau de Toilette)" und vielen orientalischen Damendüften, die dem schon 77 erschienenen "Opium (1977) (Eau de Toilette)" folgten.

Die neue Sachlichkeit der 90er zeigt aus meiner Sicht bereits ein Damenduft der späten 80er: "Safari (Eau de Parfum)" (1989), der schon so viele grüne, eigentlich wieder chypreartige Akzente enthält, dass er gründlich mit dem gerade zu Ende gehenden Jahrzehnt aufräumt.

Die 2000er Jahre starten mit Euphorie, Skepsis und Lust an neuer Verspieltheit: "Timbuktu" (2004) mit seiner Kombination aus Vetiver (grün), Weihrauch (orientalisch) und Frucht (vermittelnd) zeigt die gesellschaftliche Vielfalt wunderbar. Wer es noch experimenteller mag: "Breath of God (Perfume)".

Wie erwartet zeigt sich im nächsten Jahrzehnt eine Gegenbewegung, die wieder stärker auf Gediegenes, Orientierung an Bewährtem und Stabilität setzt. Was politisch schon Mitte der 2000er erkennbar war, prägt sich bei Düften kurze Zeit später aus: alte Marken erblühen neu (etwa Schwarzlose, um nur eine mir besonders interessant erscheinende zu nennen), Tradition wird wiederbelebt ("Jeune Homme Extravagante") oder Gourmand wieder zu Bewährtem geführt: "L'Homme Idéal Cologne" (2015).

Man darf auf die 20er-Jahre unseres Jahrzehnts gespannt sein.


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