Les Quatre Saisons de Guerlain
Vorgestern war ich in Paris. Parfum stand absolut gar nicht auf der Agenda, aber manche Dinge passieren ja ganz unerwartet - Dinge, die man eben nicht auf der Agenda hatte und die gerade deshalb wunderbar sein können.
Dass ich den Guerlain-Flagship-Store auf der Avenue des Champs-Élysées großartig finde, habe ich hier ja schon beschrieben, u.a. in meinen Kommentaren zu "L'Abeille Aux Ailes Argent - Rêve de Lune" und "Ne m'Oubliez Pas (2015)". Ich wusste, dass Guerlain in Paris noch andere Geschäfte hat, war aber - zumindest bewusst erinnert - noch in keinem gewesen. Bis eben vorgestern - auf der Rue Saint Honoré, zwischen Louvre und Place Madeleine.
Das Geschäft ist deutlich kleiner als der Flagship-Store und besteht aus nur zwei Räumen. Es mögen sechs oder sieben VerkäuferInnen drin gewesen sein - plus Wachmann - und ich war der einzige Kunde. Reingegangen bin ich - ach, das muss ich nicht erklären, oder? Wenn man an einem Guerlain-Geschäft vorbeikommt, das völlig leer ist, und ein bisschen Zeit hat, dann geht man da einfach rein.
Das Sortiment hier ist nicht ganz so umfangreich wie im Flagship, aber doch ausreichend interessant für jemanden, der deutsche Guerlain-Counter gewohnt ist, selbst etwas 'bessere' wie etwa im Oberpollinger oder im KaDeWe. Ich habe "Le Bouquet de la Mariée (Extrait de Parfum)" probiert und "Le Plus Beau Jour de Ma Vie (Eau de Parfum)" und mich darüber mit zwei sehr netten Verkäuferinnen namens Virginie und Marie-France unterhalten. (Die Namen habe ich ein kleines bisschen verändert, ich würde meinen Klarnamen auch nicht in einem Blog lesen wollen.) Und dann hat Marie-France gefragt, ob ich nicht Lust habe, noch etwas ganz Besonderes zu riechen.
Ich hatte.
Hinten gibt es eine unauffällige dunkle Tür, die aussieht, als könnte auch die Kaffeeküche dahinter sein oder die Personaltoilette. Tatsächlich ist es ein völlig unspektakulärer fensterloser Raum mit einem grauen Teppichboden. Doch hier verwahren sie - in ganz und gar unglamourösen Schränken - die 'Pièces d'Exception'. Nicht ganz so viele wie im ersten Stock auf der Avenue des Champs-Élysées, aber doch einige. Der "Flacon Tortue (2015)" ist da, "L'Abeille Aux Ailes Argent - Rêve de Lune" und mehrere Sammlerflakons von Shalimar, mit Gold, Perlen und Edelsteinen besetzt.
Und dann habe ich "Les Quatre Saisons - Le Printemps", "Les Quatre Saisons - L'Été", "Les Quatre Saisons - L'Automne" und "Les Quatre Saisons - L'Hiver" getestet. Ziemlich ausgiebig, erst auf Papier, dann auf der Haut - von Marie-France fachkundig und unendlich nett beraten. Es hat sicher geholfen, dass ich passabel französisch spreche, aber es war an holprigen Stellen auch kein Problem, ins Englische zu wechseln. Sie hat mir eine Broschüre geschenkt, aus der ich ein paar Fotos gemacht und angehängt habe - und ehe da jetzt alle hinrennen: sie scheinen nicht viele davon zu haben - es musste rumtelefoniert werden, ob ich denn diese eine haben kann.
Die Flakons sind atemberaubend, eine Augenweide jeder einzelne von ihnen. Von Frühling, Sommer und Winter wurden jeweils einundzwanzig hergestellt, vom Herbst zweiundzwanzig. Wieso der Herbst besser weggekommen ist, wussten Marie-France und Virginie auch nicht, aber sie fanden es amüsiert sehr deutsch, dass mir gerade das aufgefallen ist. Die Flakons sind handgemacht von Baccarat - und was erst bei näherem Betrachten auffällt - die Dekore sind allesamt aus (echten!) Federn gemacht, entworfen von einer jungen brasilianischen Textildesignerin namens Janaïna Milheiro. Jeder Flakon ist mit über hundert winzigen Federn handbesetzt, die filigrane Arbeit von jeweils fünfzehn Arbeitsstunden. Jeder fasst 500 ml und kostet 16.000 Euro.
Ich habe keinen gekauft.
Monsieur Wasser - der hier beweist, dass er doch bei weitem mehr kann als 'nur süß' - nennt alle vier Düfte unisex, doch sind Frühling und Sommer eher weiblich konnotiert - und Herbst und Winter eher auf der maskulinen Seite. Ich werde mich beeilen, jedem von ihnen einen eigenen Kommentar zu widmen, solange die Erinnerung noch frisch ist - auch wenn vielleicht keiner von Euch nach dessen Lektüre die Anschaffung ernsthafter erwägen mag als vorher. Gleichwohl sind es wunderbare Düfte, die auszuprobieren die reine Freude war.
Letztlich: ich finde es wunderbar, dass das Haus Guerlain an solchen Parfums festhält, sich solche Parfums noch gönnt - auch wenn in manchen Statements hier der Sinn von zweistelligen Stückzahlen in Zweifel gezogen wird. Dies sind Kunstwerke, 'Objets d'Art', ohne jeden Anspruch auf Massenverbreitung - und ob ihrer geringen Stückzahl sicherlich auch keine Cash Cows für ein doch massenkompatibel produzierendes Haus wie Guerlain. Guerlain ehrt hier sein Erbe und erhält neben günstigen Breitenprodukten wie "Mon Guerlain" (den es in der Rue Saint Honoré natürlich auch zu kaufen gibt) seinen Anspruch auf Parfum als Kunst, als etwas noch immer ganz Besonderes. Virginie und Marie-France werden gewusst haben, dass ich keinen der vier Düfte kaufen werde, als sie mir den Test anboten und sich eine gute halbe Stunde Zeit für mich genommen haben. Dass sie es trotzdem taten - c'est Guerlain!