loewenherz
loewenherz’ Blog
vor 7 Jahren - 27.05.2017
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Sag mir, wie Du aussiehst, und ich sage dir, wie Du riechst

Gelegentlich sitze ich morgens auf dem Weg ins Büro (oder auch abends auf dem Nachhauseweg - morgens bin ich aber aufmerksamer) in der U-Bahn und lasse die Blicke über meine Mitreisenden schweifen - wie sie da alle einträchtig über ihre Smartphones gebeugt neben mir sitzen oder stehen, viele von ihnen mit Stöpseln im Ohr. Und ich stelle mir dann manchmal vor, was die Leute denn jeweils gerade so mit diesen Stöpseln hören.

Der betonpomadisierte Typ mit den 800 Euro-Schuhen und dem handgerollten Einstecktuch lernt sicher Mandarin, während er sich bitter fragt, wieso er eigentlich noch immer mit der U-Bahn fährt und keine Limousine (nebst Fahrer) hat. Die Mutti im lachsfarben gemusterten Weste-Hosenrock-Ensemble (mit Komfortbündchen und Reißverschlüssen) daneben hört sicher ein Hörbuch von Maeve Binchy oder von Nicholas Sparks. Der Hipster mit dem Ziegenbärtchen und dem blöden Männer-Dutt wiegt sich zu irgendeinem verschollen geglaubten Studiotape von Portishead, das nach 1993 nie wieder erhältlich war. Die Speckbarbie mit den Glitzerkrallen und der Michael Kors-Handtasche, die schon wieder zu spät zur Schule kommt und die Mathe-Hausaufgaben nicht gemacht hat, hört Nicki Minaj auf Lautstärke tausend (da erübrigt sich das Raten also). Und der sauertöpfische, alte Mann, der den einzigen freien Platz neben sich mit seiner kleinen Apothekentüte stur besetzt hält, lauscht wahrscheinlich gerade den 'Sternstunden der deutschen Kriegsmarine', gelesen von Beatrix von Storch.

Und wenn die Fahrt ein bisschen länger dauert, überlege ich mir manchmal noch, ob bzw. welches Parfum die Leute denn so benutzen könnten. Mitunter gerät man in öffentlichen Verkehrsmitteln ja sogar in eine Wolke - nicht immer handelt es sich dabei allerdings um Parfum. Aber anders als bei der Musikauswahl erhält man hier bisweilen Bestätigung, wie gut man denn geraten hat, und wisst Ihr was? Verdammt oft rät man ziemlich gut. Der karrieregeile Unternehmensberater trägt meistens doch nur "Sauvage (Eau de Toilette)" oder etwas Ähnliches, das bei Douglas im Eingangsbereich aufgestapelt steht. Die Mutti in Lachsrosa trägt "Secrets d'Essences - Vanille Noire", der Hipster mit dem Bärtchen "Black Afgano". Das Glitzerkrallenmädchen ohne Hausaufgaben hat in "Olympéa (Eau de Parfum)" gebadet, und der Militariafan mit dem Apothekentütchen hat sich mit Kernseife gewaschen und dann höchstens ein Tröpfchen "Sir - Irisch Moos (Eau de Cologne)" aufgetupft. Und wenn ich dann im Vorbeigehen merke, dass ich gut geraten habe, denke ich kurz: 'Yes!' und freue mich ein bisschen.

Beim Aussteigen bemerke ich noch aus dem Augenwinkel, wie der Hipster mit dem Dutt mich kritisch mustert, und ich sehe genau, wie er dann denkt: 'Der Typ da mit den Manschettenknöpfen und der dämlichen Strickkrawatte hört wahrscheinlich Die drei ??? und hält sich mit seinem "Racquets Formula" für einen verkappten Landadeligen und eigentlich viel zu schade fürs Büro.' Geschieht mir Recht. Und Recht hat er damit natürlich auch.

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