noirceur

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1 - 5 von 19
noirceur vor 8 Jahren 7 3
6.5
Duft
Eine Hommage an das Wundpflaster
Greyland hatte ich nach dem erstmaligen Tragen etwas vorschnell wie folgt kategorisiert: Kopf: Avignon. Basis: Memoir Man. Nicht nur im Sinne dieser Einschätzung empfehle ich uneingeschränkt den wundervollen Kommentar meines Vorredners Reckoner.

Sowohl Comme des Garcons‘ als auch Amouages Werk schätze ich sehr. Und während mir die südfranzösische Gemeinde eine Spur zu krass und der Vertreter aus dem Sultanat Oman etwas zu teuer waren, weckte der Montale die Hoffnung das Beste aus beiden Welten in sich vereinen zu können. Und so musste eine Abfüllung her.

Nachdem ich Geyland nun einige Male getragen habe und auch Zeit hatte mich näher mit ihm zu beschäftigen, betrachte ich ihn heute deutlich differenzierter – was ihm in diesem Fall jedoch nicht unbedingt zugutekommt.

In der Kopfnote erkenne ich heute nur noch entfernt Gemeinsamkeiten mit Avignon. Zwar startet Greyland ebenfalls hell, (weih)rauchig und mit einer großzügigen Portion Pfeffer, in Sachen Minimalismus, Kühle und Stringenz aber kann dem Series 3-Duft einfach nicht das Wasser gereicht werden. Darüber hinaus erahne ich beim Montale noch eine kontrastierende Nuance. Nach einem Spicken in der Duftpyramide würde ich mich wohl für Ingwer entscheiden.

Sobald sich der Pfeffer etwas legt, habe ich bei Greyland jedoch immer und immer wieder die gleiche skurrile Assoziation: Nämlich … Wundpflaster! Ich bin ziemlich sicher, dass hierfür Zedernholz verantwortlich ist, denn hin und wieder identifiziere ich einen recht ähnlichen Akkord auch bei anderen Düften, und allen ist das Zedernholz gemein. Dennoch, so klar wie bei Greyland ist mir dieser Eindruck bisher nicht untergekommen. Ich habe Greyland mal mehrere Tage hintereinander getragen. Auch mal bewusst wochenlang gar nicht und dann doch wieder gesprüht. Egal in welcher Situation - er erinnert mich einfach immerzu an den charakteristischen Geruch von zuschneidbarem 1mx6cm orange-braunen Wundpflastern. Nun finde ich diesen Geruch keineswegs unangenehm, aber es irritiert mich doch sehr, wenn ich es selbst bin, der danach riecht.

Das Wundpflaster dominiert Greyland bei mir über die gesamte Dauer, wenngleich der Duft sich über die Zeit im Hintergrund durchaus dem Memoir Man annähert, ohne jedoch jemals dessen subtile Finesse zu erreichen.

So ist Greyland für mich heute in der Tat ein ziemlich schräger Duft, der einerseits komplett auf staubtrocken setzt, dabei aber andererseits bloß dumpf im Hintergrund spielt. Von diesem Blickwinkel aus finde ich auch den Namen Greyland zwar höchst treffend, aber eben wenig schmeichelhaft. Der Duft ist keineswegs unangenehm, aber er taugt für mich als Parfüm nicht. DaveGahan101 hat das sehr treffend als „unfertig“ bezeichnet. Nach anfänglicher Begeisterung muss ich mich diesem harten Urteil jetzt leider anschließen.

Letztlich gekauft habe ich dann übrigens doch Amouages Memoir Man.
3 Antworten
noirceur vor 9 Jahren 27 9
10
Flakon
7.5
Haltbarkeit
10
Duft
Meine ganz persönliche Kapitulationserklärung
Für mich kommt es stets einem Zugeständnis kreativer Einfallslosigkeit gleich, wenn Autoren sich des naheliegendes Paradoxons bedienen, ihrer Leserschaft ausbreiten, worüber sie den jeweilig vorgelegten Text nicht verfassen möchten.

Und trotzdem. Lange hatte ich überlegt dieses Review damit zu beginnen, dass ich die überwiegende Mehrheit an Designerdüften unnötig finde. Dass hier zumeist nicht die Duftkunst im Mittelpunkt steht, sondern die dem bösen Kapitalismus zugrunde liegende bloße Gewinnmaximierung. Dass ich vor diesem Hintergrund für das Gros der exklusiven Luxuslinien aus Designerhäusern nur abfälliges Kopfschütteln übrig habe. Dass ich Oud Royal nur deswegen entdeckte, weil ich aufgrund meiner Schwäche für kalte Rauchwerke für Bois d'Encens ein Auge zudrücken wollte, mich in der Parfumerie dann aber leider nur noch daran erinnern konnte, dass es sich um einen Armani Privé handelte, ich daher die gesamte Linie durchschnupperte und mich Oud Royal auf der Stelle überrumpelt hatte.

Im zweiten Anlauf fand ich zunehmend Gefallen daran einen Vergleich zwischen dem vorliegenden Werk und exquisitem Rotwein zu bemühen. Extrem trocken. Definitiv nicht gefällig. Etwas worüber Kenner stundenlang philosophieren können und was den Neuling ratlos und bisweilen angewidert zurück lässt. Etwas, wofür die englische Sprache den Ausdruck eines 'acquired taste' parat hat. Dann las ich weiter unten, dass sowohl Turandot als auch DaveGahan101 diese Assoziation bereits treffend geschildert hatten.

Sicherlich hatten Oud Royal und ich das Glück, dass wir uns nicht gleich zu Beginn meines Dufthobbys kennenlernten. Das wäre damals wohl nicht gut ausgegangen. In einer Phase allerdings, in der mich nahezu jede zitrische, fruchtige, blumige, süße oder aquatische Note enervierte, schlug Armanis rigoroses Kontrastprogramm bei mir ein wie eine Bombe.

Ich finde es sehr schwierig diesen Dufteindruck in Worte zu fassen. Was ich rieche ist extrem trocken. Da ist nichts frisches. Nichts helles. Wenn da überhaupt Licht ist, dann das einer Glühbirne, die so weit heruntergedimmt ist, dass bereits das Flackern eingesetzt hat. Safran meine ich noch in recht klaren Konturen identifizieren zu können. Danach wird es schwieriger. Holzig, ja, in Maßen. Das alles wie gesagt extremst trocken. Ein wenig balsamisch auch. Oud nehme ich ebenfalls nur schüchtern angedeutet wahr, keinesfalls aber so exponiert, wie es der Name zu suggerieren versucht. Auch finde ich hier die oud-typische pelzige Herbe nicht wieder. Ich rieche einfach keine mir bekannte und klassifizierbare Note heraus, die den Duft dominiert. Rauchig finde ich ihn bei aller Dürre nicht. Und als würzig würde ich ihn auch nicht unbedingt bezeichnen. Und so langsam geht mir dann auch das Vokabular aus.

Bei aller Abstraktheit strahlt Oud Royal für mich eine heimelige Wärme aus. Zusammen mit seiner olfaktorischen Sperrigkeit lässt dies bei mir den Eindruck einer geheimnisvollen Aura entstehen, in die er sich um seinen Träger herum manifestiert.

Vielleicht kann man es so formulieren: Oud Royal ist ein europäisierter Orientale der mutigeren Sorte. Vielleicht kein leuchtendes Beispiel an Innovation. Aber das war es tut, macht er richtig. Und zwar richtig gut. Für mich ist Oud Royal ein bärenstarker Duft, dessen einziges Manko für mich in der Gewissheit liegt, dass sich meine Umwelt wohl nur in Einzelfällen so entzückend an dem Duft wird erfreuen können wie ich.

Und somit führt Oud Royal meine sämtlichen Vorurteile ad absurdum. Und gibt mich der Lächerlichkeit preis, weil ich es obendrein nicht schaffe, meine Begeisterung für diesen Dufteindruck konkret festzumachen. Aber gut. Manchmal muss man eben anerkennen, dass der Gegner übermächtig ist. Dies möchte ich hiermit tun. Und zwar neidlos: Herzlichen Glückwunsch Oud Royal, ich kapituliere!
9 Antworten
noirceur vor 9 Jahren 7 2
7
Duft
Durchaus interessanter Easy Wearing-Vetiver
Ein Duftsouvenir fehlte noch. Letztes Jahr durfte an gleicher Stelle Armand Basis "Armand Basi Homme" mit in den Flieger steigen. Diesen letztjährigen semiblinden Spontankauf hatte ich später etwas bereut. ABH ist nicht schlecht, aber es mangelt mir akut an Einsatzmöglichkeiten - für's Büro zu jugendlich, für die Freizeit zu unspektakulär. Aber man ist ja lernfähig. Aus diesem Grund hatte ich mir diesmal die Marschroute noch vor Urlaubsantritt vorgegeben. Ein schnörkelloser Büroallrounder sollte es werden. Aus rein thematischen Blickwinkel betrachtet ein zweites "Lalique White" sozusagen.

Den Zuschlag bekam dann also vorliegender "Vetiver Hombre", der seinen namensgebenden Inhaltsstoff passend zur Flakonfarbe präsentiert. Kein rauchiger Bourbon, wie etwa in MPGs polarisierendem "Route du Vétiver". Oder dem deutlich weiter verbreiteten "Encre Noire". Nein, das in VH verbaute Süßgras kommt eher mit leicht seifigem Einschlag daher. Hingegen weit weniger ausgeprägt als bei CdGs "Vettiveru" oder Tom Fords "Grey Vetiver".

Überhaupt wird dem prominenten Süßgras hier weniger Raum zugesprochen als man dies von anderen Beiträgen kennt. Der Vetiver spielt hier nicht die Rolle des exklusiven Alleinunterhalters. Er fungiert hier eher als koordinierender Stabilisator im Spannungsfeld zwischen hellem Neroli und abgedunkelten Basisakkorden. Das Pomeranzendestillat leistet dabei ganze Arbeit und attestiert VH über den gesamten Verlauf hinweg eine angenehme Frische. Sehr weit im Hintergrund beschwören Zeder und erdige Basisnoten bei mir Assoziationen zu unsüßem Marzipan und Bitterschokolade herauf. Dieses äußerst dezente Duett verlieht dem Duft zwar mehr Tiefenwirkung, dominiert ihn jedoch zu keiner Zeit.

VH ist handwerklich gut gemacht, und meiner Einschätzung nach transportiert er durchaus Understatement. Wagnis sucht man hier vergebens, wenngleich der Duft für mich definitiv eigenständig ist. Bis alle Akteure ihren Platz gefunden haben, gibt es zu Beginn eine kurze eher herbe Phase. Diese legt sich bald wieder und danach tritt keine nennenswerte Duftentwicklung mehr ein.

Insgesamt also ein leicht zu tragender Büroduft, der nichts falsch macht. Gut geeignet, wenn man einerseits olfaktorisch nicht groß auffallen möchte, andererseits aber nicht auf das Tragen eines Wässerchens verzichten möchte. Dazu passend entwickelt VH auf meiner Haut so gut wie keine Projektionswirkung. Im Winter kann man hier nach Belieben dosieren, und bei meinen eigenen Testläufen war ich dann auch entsprechend bald im zweistelligen Sprühbereich angelangt. Die Bepreisung finde ich mit knapp 40€ für 120ml dennoch fair, und mit etwas Glück wird man ihn auch für ca. 30€ bekommen können.

Alles in allem ist VH sicherlich kein Duft, den der ambitionierte Parfumo gerochen haben oder gar besitzen muss. Aber wer seinen Bürokollegen gerne mal eine Auszeit von over-the-top-anspruchsvollen Nischenkompositionen gönnen möchte, könnte in VH hin und wieder ein stilsicheres Kontrastprogramm finden. Überraschungen in Form von Knalleffekten wird man hier nicht erleben.
2 Antworten
noirceur vor 9 Jahren 16 9
7.5
Flakon
5
Sillage
5
Haltbarkeit
9
Duft
Life in Carbon Motion
Gummiartig, Michelin-Note, Rennstrecke und Rennsport, ölgetränkte Lappen, Werkstatt, warmer Asphalt, Vergleiche mit Bvlgari Black, „olfaktorisch die Sau rauslassen“. Von alledem ist hier etwas zu lesen. Und an nichts davon fühle ich mich erinnert, wenn ich wieder einmal zu dem hübschen Kubus greife und das orangefarbene Gold appliziere. Inzwischen bereits aus dem zweiten Flakon.

Carbon (genauer: carbonfaserverstärkter Kunststoff) kommt zunehmend in Mode. Nicht nur das Mittel- und Hochpreissegment der Fahrradrahmenfertigung schwört spätestens seit diesem Jahrtausend auf den gewichtsarmen und dennoch extrem steifen Verbundwerkstoff. Es ist noch gar nicht lange her, dass ein bekannter Hersteller von Ultrabooks seine Flaggschiffe nun mit Carbon-Chassis ausstattet. Und erst letzte Woche entdeckte ich im Drogeriemarkt ein Haargel, das damit beworben wurde, dass es Mikro-Carbon-Moleküle beinhaltet.

Und Carbone de Balmain? Das ist inzwischen schon knapp fünf Jahre am Markt und ist daher wohl kaum Opfer dieser Marketingmaschine. Wahrscheinlicher ist, dass seine Schöpferin, Nathalie Lorson, neben dem Duftrezept auch gleich einen einprägsamen Namensvorschlag ablieferte. Dafür spricht auch, dass sie nur ein Jahr später mit „Graphite“ einen ähnlichen Duft für Montana lancierte, dessen große Ähnlichkeit in der Duft-DNA sogar noch übertroffen wurde von der inhaltlichen Nähe der Taufnamen.

Was an Carbone ist also Carbon? Für mich ist es die Referenz auf die so charakteristische wie legendäre sogenannte Bleistiftminennote. Carbone ist zu Beginn und in seinem Herzen zu großen Teilen dieser an den Geruch angespitzter Bleistifte erinnernde Akkord. In Laliques „White“ wird eine sehr ähnliche Note an einer nicht-spritzigen Zitrone serviert, was von der Komposition zunächst experimentell anmutet, auf der Habenseite aber letztlich in einem sehr schönen und auch außergewöhnlichen Büro-Allrounder mündet. Carbone orientiert sich komplett anders und schlägt eine staubtrockene, holzig-pfeffrige Richtung ein. Der eingewobene Rauch bildet hier nur das i-Tüpfelchen: Er ist äußerst zurückhaltend und von der warmen, sympathischen Sorte.

Zur Basis hin rudert Carbone dann etwas zurück in bekanntere Gefilde. Zwar bleibt einem der Bleistift in zurückgenommener Form noch etwas erhalten, der Duft wird aber zunehmend diktiert von einer wohlig-warm komponierten, holzig-pfeffrige Vanille. Der Duftpyramide zufolge ist diese schwarz - ja, das passt so für mich. Mit etwas Fantasie kann man hier sogar sehr dezent gestreute gourmandige Schokoladennoten ausmachen.

Ist der Duft im Herzen dank Efeu und Feige (für mich beide allerdings kaum wahrnehmbar, weil perfekt aufeinander abgestimmt) in bester Nischenmanier komponiert, so macht er im Drydown Zugeständnisse. Das heißt nicht, dass die Basis von Carbone schlecht wäre, sie wirkt nur eben recht gewöhnlich, gemessen an seinem Auftritt bis dorthin.

Carbone empfinde ich im übrigen genau so wie Turandot in ihrem Review geschrieben: Er strahlt eine unheimliche Ruhe aus. Keine Langeweile oder Desinteresse. Sondern eine souveräne Ruhe. Eine behagliche, beinahe einnehmende, beruhigende Wärme. Dazu passt, dass Carbone kein raumfüllender Schreihals ist sondern bei mir nur zurückhaltende Sillage entwickelt. Vielleicht sogar ein wenig schüchterner als nötig gewesen wäre.

Gerne werden Düfte nach Anlass in formal / casual kategorisiert. Damit tue ich mich hier ein wenig schwer. Für formelle Anlässe ist er mir etwas zu kumpelhaft. Für casual hingegen ist er mir dann aber doch zu wenig wild, zu souverän. Für mich nimmt Carbone somit in der goldenen Mitte Platz, als olfaktorische Interpretation des Business Casuals. Und genau so findet er bei mir auch Verwendung. In der Freizeit darf dann gerne die Sturm und Drang-Nische 'ran, und zu wichtigen Geschäftsmeetings wird eher Amouages Memoir Man aufgelegt.

Apropos Memoir Man. Carbone und Memoir sind ja – in beiden Richtungen – als „ähnlich riechend“ verlinkt. Für mich allerdings nicht ganz nachvollziehbar. Zwar bin ich dafür sehr dankbar, weil ich sonst vielleicht nie oder erst viel später auf Carbone aufmerksam geworden wäre. Aber ähnlich? Ja, beide sind trocken und rauchig. Ja, beide strahlen Ruhe aus. Und ja, ich mache keinen Hehl daraus, dass ich beide auf ihre Art grandios finde. Aber ähnlich? Carbone ist der stille, beste Freund, der offenere von beiden. Er sucht und offeriert Geborgenheit. Memoir Man ist der reifere, professionellere. Er stellt seine rauchige Seite vollkommen in die Mitte des Geschehens und mutet eher kühl-distanziert an.

Wer Carbone deutlich näher steht, sind sein Beinahe-Zwilling Autoportrait (siehe dazu den wunderbar differenzierten Kommentar meiner Vorrednerin) sowie sein Halbbruder Graphite mit dem etwas obskuren Hang zum Gurkenkraut. Aber der älteste dieses Dreigestirns ist für mich auch unbestritten dessen Star. Und günstig obendrein.

Carbone ist ein echter Preis/Leistungs-Geheimtipp!
9 Antworten
noirceur vor 9 Jahren 21 7
10
Duft
... denn der Kosmos, der tiefschwarze Kosmos hat viele schöne Töchter
Memoir Man war mein erster Kontakt mit der mir bis dahin völlig unbekannten Marke Amouage und markiert rückblickend meinen persönlichen Türöffner zur Nische. Vorgestellt wurde mir MM als ich mich vor einem knappen Jahr in einem kleinen Kosmetikstudio mit bemerkenswertem Duftportfolio umsah. Damals stand ich als Duftneuling wohl noch immer ein wenig geflasht unter dem Eindruck, den Encre Noire nur wenige Wochen zuvor bei mir hinterlassen hatte.

Die fachkundige Inhaberin ließ mich wissen, dass MM ein ganz toller Duft sei (wie überraschend), dass sie mir aber vom Tragen tagsüber abraten würden, denn dafür sei ich zu jung. Als wirklich außergewöhnlichen Duft für den Abend würde sie mir MM als Geheimtipp aber sehr empfehlen. Nachdem er schon auf dem Papier die Bestnote einstreichen konnte, war ich äußerst dankbar, MM anschließend auch gleich einem Hauttest unterziehen zu dürfen. "Na, dann schauen Sie mal was heute Abend noch passiert ..." raunte sie mir noch vielsagend zu, als ich damals - abermals geflasht - das Studio verließ. Um es vorweg zu nehmen: Es passierte - nichts. Ich war so begeistert von MM, dass ich mich nicht in's (Duft-)getümmel stürzen wollte, sondern statt dessen den Abend zuhause verbrachte, um möglichst viel von MM einfangen zu können.

MM startet famos-düster mit Absinth und Pfefferminze. Zitrische oder gar spritzige Noten sucht man hier vergebens. Der Weihrauch fährt seine Krallen aus und legt einen bedrohlichen Schleier über die Szenerie. Wenngleich das Rauchige zunehmend um sich greift, so wirkt MM dennoch sehr fein austariert. Unterstützt von einem sehr schüchternen Rosen-Lavendel-Akkord, wird der Weihrauch hier genau so zelebriert, wie ich es mir wünsche: Nicht zu kokelig (Interlude Man), nicht zu frisch (Sancti - Eau Delà), nicht zu pfeffrig (Avignon), nicht zu harzig (Sahara Noir). Es ist ein leicht unterkühlter, dezent würziger Weihrauch, wohlüberlegt dosiert. Der Gegenpol zu diesem extrem fein gewobenen Rauchgebilde konstituiert sich in einem Hintergrundrauschen aus behaglichem Tabak-Leder-Allerlei. Doch letzteres akzeptiert den Weihrauch anstandslos als den eigentlich Star und macht keinerlei Anstalten ihm die Show zu stehlen. Das alles ist zudem wunderbar abgemischt. Es erdet MM und bewahrt ihn davor als rein avantgardistisches Räucherwerk klassifiziert werden zu müssen.

Ich empfinde MM als düster, mystisch, distinguiert und ein Stück weit distanziert. Dennoch besonnen und seriös. Vielleicht die Parfum gewordene Interpretation einer gesunden Portion Introversion - im positiven Sinne.

Muss sich MM also den Vorwurf gefallen lassen ein Langweiler zu sein? Dem möchte ich entschieden widersprechen. Nur eben buhlt er nicht jede Sekunde um Aufmerksamkeit, pöbelt nicht herum und ist auch sonst kein Freund belanglosen Smalltalks. Nein, MM ist in sich gekehrt und nachdenklich. Das mag zunächst möglicherweise einen abwesenden und gelangweilten Eindruck erwecken - aber wenn man sich da mal besser nicht täuschen lässt.

Dazu passt, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass einem beim Tragen von MM die Komplimente nur so zufliegen werden. Ich denke, die Entscheidung für MM ist in erster Linie eine Entscheidung für einen Duft für sich selbst; ein edles Schutzschild, das man auffährt, um in einer immer schneller und oberflächlicher werdenden Welt einen Moment inne zu halten.

Memoir Man ist für mich die perfekte Symbiose aus hochspanennder Duftpyramide, nicht zu dick aufgetragener Würzigkeit, rauchiger Trockenheit, bürotauglicher Tragbarkeit und sehr guter Haltbarkeit. Den Vorwurf er sei nicht konsequent genug möchte ich indes als eine seiner wahren Stärken verstanden wissen: Wäre MM noch stringenter konzipiert, wäre er für mich im Alltag kaum mehr tragbar. Gerade bei Amouage ist das für mich ein leider wiederkehrendes Problem: Mit Epic, Fate und auch dem bereits zuvor erwähten Interlude etwa, hat man - neben vielen weiteren - drei wunderschöne Düfte im Portfolio, die aber derart opulent sind, dass ich sie für mich im täglichen Gebrauch ausschließe. Genau dieses Dilemma umgeht MM.

Wahrscheinlich auch deswegen ist MM kein Parfum, von dem man in einigen Jahren behaupten wird es markiere einen Meilenstein in der olfaktorischen Chronologie. Und dennoch sticht MM zwischen vielen weiteren sagenhaften Nischendüften hervor: Nämlich als bürotaugliches Nischenräucherwerk. Und vor diesem Hintergrund ist der Duft für mich über jeden Zweifel erhaben. Denn damit wagt Amouage einen ungeahnt anspruchsvollen Spagat, der aber auf der anderen Seite zwangsläufig dazu führen muss, sich angreifbar zu machen gegenüber Rufen nach fehlender Konsequenz. Dieses Wagnis geht für mich allerdings voll auf.

Memoir Man ist bisher der einzige Duft, für den ich hier die Höchstnote zücke.
Danke Amouage. Danke Karine Vinchon-Spehner.

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PS: Die Listung von Carbone de Balmain als ähnlich riechend führt meines Erachtens in die Irre, wenngleich mir dieser eher kurios anmutende Umstand meinen Signaturduft beschert hat. Ein Review zu Carbone werde ich hoffentlich schon in Bälde folgen lassen können.
7 Antworten
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