Mustang69
Hilfreiche Rezension
4
Don´t judge a scent by its name
Mit Cedro hatte ich lange Zeit so meine liebe Not. Aus Gründen, die sich mir nicht erschließen wollten, schien mir der Zugang zu diesem Duft verwehrt. Fast hatte es den Anschein, als hielte er mir mit leiser, vorwurfsvoller Stimme vor: „Du verstehst mich einfach nicht.“ Ich probierte es noch ein Weilchen und irgendwann beschloss ich, den Duft mangels Interesse unter der Rubrik „rätselhafte Begegnungen“ ad acta zu legen.
Der Zufall wollte es nun, dass mir Cedro vor Kurzem wieder in die Hände fiel. In der Annahme, ein anderes Pröbchen in Händen zu halten, träufelte ich nichts ahnend ein paar Tropfen davon auf mein Handgelenk. Die anfängliche Verwunderung wich zögerlich einer Ahnung, die sich langsam ihren Weg aus den Tiefen des Unterbewussten bahnte und dann schlagartig zu Gewissheit wurde. Auf einmal fiel es mir wie Schuppen von den Augen und mir war klar, was die ganze Zeit zwischen mir und dem Duft gestanden hatte: Ich selbst. Oder, um etwas genauer sein: Meine Erwartungshaltung. Jedes Mal, wenn ich Cedro wissentlich aufgelegt hatte, tat ich dies mit der Vorfreude auf einen markanten, holzigen Duft. Und dies ist nun wirklich nicht, was Cedro zu bieten hat, auch wenn der Name anderes suggeriert. Die Unvoreingenommenheit der Verwechslung schließlich erschloss mir den Duft in seiner ganzen Schönheit.
Cedro ist vor allem balsamisch, von der ersten bis zur letzten Sekunde. Dies aber keinesfalls in einer scharfen, medizinischen Variante. Im Gegenteil, der Duft ist ausgewogen und rund, der Balsam ist jedoch das Leitthema. Er ist mal fruchtig und süß, weckt Assoziationen an überreife Bananen, mal trägt er aquatische, algige Züge und erinnert mich etwas an Sel Marin von Heeley. Andere Akzente sind schön eingebunden, spielen aber klar die zweite Geige. Nach den ersten Minuten ist eine ganz sanfte, rauchige Note zu erkennen, ein Hauch nur, der immer wieder mal aufblitzt. Diese wandelt sich im Laufe der Zeit, erhält nach einer guten Stunde leicht grünliche, holzige Schattierungen, auch hier mehr Ahnung denn Gewissheit, man muss schon sehr nah am Duft bleiben, um Differenzierungen wahrzunehmen.
Eine Entwicklung im eigentlichen Sinne macht Cedro nicht durch, ein Meer von Balsam steht von Anfang an im Zentrum des Geschehens, zur Seite gestellt werden ein paar Komparsen, die hin und wieder Kontrapunkte setzen. Und doch offenbart Cedro einen ganz eigenen Charme, wenn man sich unvoreingenommen auf ihn einlässt: Der Duft hat Tiefe, ohne gleichzeitig seine Klarheit zu verlieren. Er verströmt etwas Geheimnisvolles, wirkt dabei aber nicht bedrohlich. Und obgleich süßliche Noten dominieren, bleibt Cedro warm und ausbalanciert.
Es hat ein Weilchen gedauert, aber wir haben zueinander gefunden. Ich habe gelernt, Cedro als das zu mögen, was er ist: ein sanfter Duft, in dem holzige Noten allenfalls Beiwerk sind, ein Holzduft, der eigentlich keiner ist.