Les Roses de Francfort - Marianne von Willemer 2005

Gold
30.04.2022 - 23:40 Uhr
47
Top Rezension
8
Preis
8
Flakon
9
Sillage
10
Haltbarkeit
7.5
Duft

Sieh, das Gute liegt so nah!

Die Frankfurter Traditionsparfümerie Albrecht hat im Jahre 2005 eine wunderbare Rosenduft-Serie herausgebracht: Sechs Eaux de Parfums, die in Zusammenhang mit Frankfurts großem Sohn Goethe stehen und die allesamt sehr reizvoll sind. Die Düfte wurden in Frankreich konzipiert und erinnern an große französische Parfumkunst. Sie sind also klassisch und all jenen wärmstens zu empfehlen, die das Besondere abseits des Mainstreams suchen, dafür aber weder das "world wide web" nach Sensationen noch die Hippster-Parfümerien der großen Metroplen nach "limited editions" absuchen möchten.
Nach einem Besuch der Albrecht-Filiale in der "Fressgass" und dem Testen aller Frankfurter Rosendüfte (übrigens zusammen mit einer anderen, sehr erfahrenen Parfumo-Nase), entschied ich mich für den Erwerb des EdPs, welches Marianne von Willemer gewidmet ist.
Deren großes Geheimnis wurde erst neun Jahre nach ihrem Tod bekannt: Marianne von Willemer war nicht nur eine weitere große Liebe Goethes (1749-1832). Als einzige der vielen Frauen, die ihn inspirierten und beflügelten, hat die Schauspielerin und Tänzerin bei Goethe selbst mitgeschrieben.
Einige Gedichte Willemers fanden nämlich Eingang in Goethes Meisterwerk "West-östlicher Divan", das von der persischen Dichtung Hafiz' beeinflusst wurde. Kurz bevor Goethe die wesentlich jüngere Marianne in Frankfurt kennenlernte, las er Hafiz-Gedichte, die ihn so sehr beeindruckten, daß er sogar begann, Persisch zu lernen.
Ich hatte im Januar diesen Jahres das Vergnügen, einem Vortrag über Goethes Beziehung zu Marianne lauschen zu können (online, bei einer guten Freundin, die Mitglied im Frankfurter "Women's Club" ist). Der Club hatte die Goethe-Spezialistin Prof. Anne Bohnenkamp-Renken eingeladen, die erklärte:
"Es gibt zwei Gedichte, von denen wir es ganz sicher wissen, das sind die berühmten Gedichte an den Ostwind und Westwind".
Willemer, die am 6. Dezember 1860 im Alter von 76 Jahren starb, hatte sich als Co-Autorin des Zyklus im Gespräch mit dem Schriftsteller Herman Grimm geoutet. Der Sohn des Märchensammlers Wilhelm Grimm, der Willemer in Frankfurt vor ihrem Tod besucht hatte, verriet dies in einem 1869 veröffentlichten Aufsatz.
Bis heute debattiert die Goethe-Forschung übrigens, welche Gedichte im "Divan" noch auf Marianne zurückgehen.
Mariannes Werdegang war spannend. Sie wurde in Österreich als uneheliches Kind geboren, kam mit 14 Jahren nach Frankfurt und trat schon als junges Mädchen als Schauspielerin und Tänzerin am Theater auf.
Der Bankier Johann Jacob Willemer nahm im Jahr 1800 die mehr als 20 Jahre jüngere Marianne in seinen Haushalt auf und heiratete sie. 1814 lernte Goethe das Paar bei einem Kur- Aufenthalt in Wiesbaden kennen. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits 65 Jahre alt. Goethe besuchte die Willemers dann in Frankfurt. Ein Jahr später logierte Goethe im Sommer in der Gerbermühle, dem am Main gelegenen Landsitz des reichen Bankiers, der es als große Ehre empfand, Goethe beherbergen zu dürfen.
Marianne und Goethe verliebten sich ineinander. Ob sie ihre Liebe jemals wirklich "ausgetragen" haben? Ma waas es net...
Ihre Gefühle jedoch verewigten sie als "Hatem" und "Suleika" im "Divan".
Von Zeitgenossen wurde Marianne als bezaubernde, gebildete, geistreiche und sehr anziehende Frau beschrieben. "Sie war eine sprühende Persönlichkeit", sagte Bohnenkamp-Renken in ihrem Vortrag. "Außerdem war sie war dem Dichter intellektuell ebenbürtig und inspirierte ihn zu poetischen Höhenflügen".
Den Parfümeur, der das "Marianne-Parfum" komponiert hat, muss diese Geschichte ebenfalls sehr angeregt haben. Der Duft eröffnet sofort sehr blumig mit einer Kaskade aus Bergamotte, Rose und Jasmin. Dies sind die "big player" der Komposition, besonders natürlich Rose und Jasmin, die beide auch in Persien ihren festen Platz in der Gartenkultur und in der Duftherstellung haben.
Alsbald gesellt sich eine holzige Komponente hinzu, ein feines Sandelholz, das durch die ganze Komposition trägt, die fein mit Patchouli und Vanille abgerundet ist. Bezüge zu "Nahema" auf der einen und "Le Parfum" von Hermes sind deutlich zu erkennen. Besonders interessant ist dann noch eine weitere Komponente, das Guajakholz, welches dem EdP mehr Tiefe und eine charakteristische Würze verleiht. In der Pyramide wird zudem Oudh erwähnt. Nun, ich kann es nicht erkennen.
Der smarte Verkäufer bei Albrecht, der uns aber viel lieber eine Augencreme für 159 Euro (f***!!! nicht mit mir!!!) angedreht hätte, als ein "Haus-Parfum" für schlappe 49 Euro ("Unglaublich gutes Preis-Leistungsverhältnis hier bei unseren Düften", tönte er - und das stimmt!) , meinte, daß er Oudh im Hintergrund riechen könne.
Da der Duft aus dem Jahr 2005 stammt, vermute ich, daß noch keins der später entwickelten künstlichen Oudh-Aromachemicals enthalten und der Anteil an echtem Oudh in "Marianne" sehr, sehr gering ist.
Kurz gesagt, es handelt sich um einen schweren, süffigen Rosenduft, der das Rad nicht neu erfunden hat oder gar etwas Supermodern-Innovatives darstellt. Im Gegenteil, "Marianne" ist eine Liebeserklärung an die Klassiker.
Wie sagte doch Goethe so schön:
"Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah. Lerne nur das Glück ergreifen. Denn das Glück ist immer da."
Mit dem "Marianne von Willemer" -Duft kann ein Rosenparfum-Klassikfan Parfum-Glück erleben. Und vielleicht mal in den "Divan" reinlesen...- es lohnt sich.

34 Antworten