01.08.2018 - 11:11 Uhr
FvSpee
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FvSpee
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18
Holicsky Salon
Mein Streifzug durch die Welt der tschechischen Kölnisch- und Rasierwässer wird mit diesem Klassiker aus dem Hause ALPA fortgesetzt.
Nach den mir verfügbaren Quellen, deren wichtigste die Internetseite des Unternehmens selbst ist (sie hat auch eine deutsche Spracheinstellung, wobei es gelegentlich sprachlich etwas ruckelt und holpert), wurde das Unternehmen 1913 im mährischen Brünn (Brno), das damals zur Donaumonarchie gehörte, gegründet und war zunächst auf, ja tatsächlich, Franzbranntwein spezialisiert. Dieses kuriose Produkt (wer benutzt so etwas heute eigentlich noch...?) scheint noch immer der Topseller des ALPA-Sortiments zu sein, jedenfalls ist es wohl das einzige, das (in einem markanten blau-weiß-gelbem Design, das wahrscheinlich fast jeder wiedererkennt, wenn er es sieht) auch in Deutschland in Apotheken, Drogerien usw. breit vertrieben wird.
ALPA hat die zwei Kriege und den Kommunismus überstanden, zog von Brünn nach Velke Mezirici (Groß Meseritsch) auf der Böhmisch-Mährischen Höhe um, wurde verstaatlicht und 1994 privatisiert (über die Eigentümerstruktur konnte ich nichts finden, das Unternehmen scheint aber in tschechischer Hand und nicht konzernaffiliiert zu sein) und hat sich im Laufe der Zeit ein Produktportfolio erarbeitet, mit dem man fast eine ganze Drogerie füllen kann. Da gibt es neben dem Dauerbrenner "Franzbranntwein" Sonnencremes, Massageöle, Zahnpasten, Shampoos, Fußsprays und was man alles noch so braucht, um unseren vergänglichen und fragilen Körper daran zu hindern, allzu schnell örgs zu werden.
Während die Marke den Sprung ins Duftgeschäft im engsten Sinne (Parfüms und Toilettenwässer) entweder nie gewagt oder irgendwann rückgängig gemacht hat, ist sie bei den Kölnischwässern (acht Produkte aktuell im Angebot) und Rasierwässern (vier zuzüglich Lotionen und Pre-Shaves) voll mit dabei. Einen guten Teil der Produkte hab ich bei mir meinem an anderer Stelle geschilderten Fischzug gesichert und kann sagen, dass das Design ziemlich einmalig ist. Ich weiß nicht, ob man bewusst auf "Vintage" macht oder schlicht die Flakons (Umverpackungen gibt es soweit ich sehe nicht) nebst Etiketten seit den 1920-er oder 1950-er Jahren (dieser hier vielleicht seit den 1960-er oder 1970-ern) aus Kostengründen nicht mehr geändert hat, aber das sieht alles sehr, sehr oldschool aus, wozu auch beiträgt, dass die Chargennummer mit irgendeinem Ratterprägestempel brutalstmöglich auf die Vorderseite des Etiketts gehämmert wird (ist auch hier bei Parfumo auf der Produktabbildung erkennbar), wodurch das ganze so ein bisschen das Flair von "Wässer für die werktätigen Massen" bekommt.
Nun speziell zu "Windsor Voda po holeni" (=Windsor Rasierwasser). Man öffnet den puristischen Flakon und begegnet zunächst einmal einer großen Schüttöffnung. Splashvorrichtungen werden deutlich überbewertet, zum Sprayen ist dieses ehrliche Rasierwasser sowieso nicht gedacht. Der erste Dufteindruck ist ein bisschen unsortiert alkoholisch. Wenn sich das nach ein paar Sekunden gelegt hat, dann aber Hallo!
Um gleich mit dem Fazit zu beginnen: Windsor ist aus dem Stand ein Eckstein und Referenzprodukt in meiner Sammlung geworden. Es ist ein wirklich besonderer, sehr, sehr angenehmer Duft, dem ich die 9 Punkte ohne den geringsten Nostalgie- oder Kuriositätenbonus gebe. Ich nehme ihn als frisch (aber nicht zitrisch), in einer sehr besonderen Weise würzig (mit einer ganz leichten Süße, die dem ganzen eine schöne Wärme und Weichheit gibt) und als sehr sehr sauber (mit einem kleinen Hang ins angenehm Seifige) wahr. Vor allem aber drängte sich mir hier sofort die Assoziation auf "HERRENSALON". Ich kann schwer definieren, was nun die spezielle "Barbershop"-Duftrichtung ausmacht, wahrscheinlich versteht jeder etwas anderes darunter. Ich bin daher mit dem Etikett auch zurückhaltend. Aber hier, obwohl dieser Duft es vom Design und Namen her nicht darauf anlegt, hier ist sofort das Bild da, wie der Nacken und die Haaransätze an den Ohren mit der Rasierklinge gesäubert werden und danach irgendein schönes Wässerchen draufgepatscht wird. Insgesamt scheint mir der Duft ganz schön tricky und komplex durchkomponiert und zwar durchaus ehrlich und bodenständig, aber keineswegs so schlicht und gerade wie der von mir zuletzt rezensierte "Diplomat" aus dem Konkurrenzhaus "Astrid".
Was ist nun drin in dem Wasser? Auf der Internetseite des Herstellers heißt es "Holz-Zitrusfrucht mit Kräuterelementen". Hm. Holz schnuppere ich nur eingeschränkt, Zitrus eigentlich gar nicht (obwohl da wohl was drin ist, die offizielle Zutatenliste weist Citral, Limonene und das ganze Zeug aus. Charakterisiert wird der Duft damit aber m.E. nicht.
Weiter hilft da vielleicht der Internetshop "Pomade Shop", über den man dieses Wässerchen für billig Geld auch ohne Reise über die Grenze erwerben kann. Dort wird in schönster Werbelyrik das Bild eines kaiserlich-königlichen Herrenfriseurs in Budapest, Wien oder Prag entworfen (aha, da sind die unabhängig von mir auch drauf gekommen), und dann schreiben sie, weiß Gott woher sie das haben, man rieche hier "Cognac, Menthol, Wacholder und Lorbeer" und der Duft sei die "austro-ungarische Antwort auf die amerikanischen Bay-Rum Aftershaves". Die Bay Rums kenne ich zwar bisher nicht, aber insgesamt klingt das überzeugend.
"Windsor" enthält pflegendes Allantoin, das merkt man auch, aber es ist nicht so krass viskos-glyzerinig wie z.B. "Diplomat".
Die Projektion ist mittel und die Haltbarkeit auch. Sie liegt deutlich unter der von Rasierwässern wie "Floid" oder "Caldey for Men", die ich noch am Abend rieche und die für mich daher keine klassischen EdRs sind, und dem Kurzzeitfrischespaß von 30-120 min, den (aus meiner Sicht) typische schlichte Rasierwässer bieten. Ich kann die weiche, etwas cremig wirkende Würzigkeit von "Windsor" noch nach 4-5 Stunden wahrnehmen, wenn ich mir mit der Hand über die Wange streiche.
Für die Nicht-Tschechen (also ich bin ja auch keiner) nun noch kurz zum Titel dieses Kommentars. "Holit" reißt rasieren, und davon ist sowohl "Voda po holeni" (Rasierwasser) als auch "Holicsky Salon" (also Barbershop) abgeleitet. So (oder einfach holic) heißt der Herrenfriseur (wohingegen der Damenfriseur "kadernik" genannt wird). Und für mich ist das hier in der Tat ab sofort mein "Barbershopduft".
Nach den mir verfügbaren Quellen, deren wichtigste die Internetseite des Unternehmens selbst ist (sie hat auch eine deutsche Spracheinstellung, wobei es gelegentlich sprachlich etwas ruckelt und holpert), wurde das Unternehmen 1913 im mährischen Brünn (Brno), das damals zur Donaumonarchie gehörte, gegründet und war zunächst auf, ja tatsächlich, Franzbranntwein spezialisiert. Dieses kuriose Produkt (wer benutzt so etwas heute eigentlich noch...?) scheint noch immer der Topseller des ALPA-Sortiments zu sein, jedenfalls ist es wohl das einzige, das (in einem markanten blau-weiß-gelbem Design, das wahrscheinlich fast jeder wiedererkennt, wenn er es sieht) auch in Deutschland in Apotheken, Drogerien usw. breit vertrieben wird.
ALPA hat die zwei Kriege und den Kommunismus überstanden, zog von Brünn nach Velke Mezirici (Groß Meseritsch) auf der Böhmisch-Mährischen Höhe um, wurde verstaatlicht und 1994 privatisiert (über die Eigentümerstruktur konnte ich nichts finden, das Unternehmen scheint aber in tschechischer Hand und nicht konzernaffiliiert zu sein) und hat sich im Laufe der Zeit ein Produktportfolio erarbeitet, mit dem man fast eine ganze Drogerie füllen kann. Da gibt es neben dem Dauerbrenner "Franzbranntwein" Sonnencremes, Massageöle, Zahnpasten, Shampoos, Fußsprays und was man alles noch so braucht, um unseren vergänglichen und fragilen Körper daran zu hindern, allzu schnell örgs zu werden.
Während die Marke den Sprung ins Duftgeschäft im engsten Sinne (Parfüms und Toilettenwässer) entweder nie gewagt oder irgendwann rückgängig gemacht hat, ist sie bei den Kölnischwässern (acht Produkte aktuell im Angebot) und Rasierwässern (vier zuzüglich Lotionen und Pre-Shaves) voll mit dabei. Einen guten Teil der Produkte hab ich bei mir meinem an anderer Stelle geschilderten Fischzug gesichert und kann sagen, dass das Design ziemlich einmalig ist. Ich weiß nicht, ob man bewusst auf "Vintage" macht oder schlicht die Flakons (Umverpackungen gibt es soweit ich sehe nicht) nebst Etiketten seit den 1920-er oder 1950-er Jahren (dieser hier vielleicht seit den 1960-er oder 1970-ern) aus Kostengründen nicht mehr geändert hat, aber das sieht alles sehr, sehr oldschool aus, wozu auch beiträgt, dass die Chargennummer mit irgendeinem Ratterprägestempel brutalstmöglich auf die Vorderseite des Etiketts gehämmert wird (ist auch hier bei Parfumo auf der Produktabbildung erkennbar), wodurch das ganze so ein bisschen das Flair von "Wässer für die werktätigen Massen" bekommt.
Nun speziell zu "Windsor Voda po holeni" (=Windsor Rasierwasser). Man öffnet den puristischen Flakon und begegnet zunächst einmal einer großen Schüttöffnung. Splashvorrichtungen werden deutlich überbewertet, zum Sprayen ist dieses ehrliche Rasierwasser sowieso nicht gedacht. Der erste Dufteindruck ist ein bisschen unsortiert alkoholisch. Wenn sich das nach ein paar Sekunden gelegt hat, dann aber Hallo!
Um gleich mit dem Fazit zu beginnen: Windsor ist aus dem Stand ein Eckstein und Referenzprodukt in meiner Sammlung geworden. Es ist ein wirklich besonderer, sehr, sehr angenehmer Duft, dem ich die 9 Punkte ohne den geringsten Nostalgie- oder Kuriositätenbonus gebe. Ich nehme ihn als frisch (aber nicht zitrisch), in einer sehr besonderen Weise würzig (mit einer ganz leichten Süße, die dem ganzen eine schöne Wärme und Weichheit gibt) und als sehr sehr sauber (mit einem kleinen Hang ins angenehm Seifige) wahr. Vor allem aber drängte sich mir hier sofort die Assoziation auf "HERRENSALON". Ich kann schwer definieren, was nun die spezielle "Barbershop"-Duftrichtung ausmacht, wahrscheinlich versteht jeder etwas anderes darunter. Ich bin daher mit dem Etikett auch zurückhaltend. Aber hier, obwohl dieser Duft es vom Design und Namen her nicht darauf anlegt, hier ist sofort das Bild da, wie der Nacken und die Haaransätze an den Ohren mit der Rasierklinge gesäubert werden und danach irgendein schönes Wässerchen draufgepatscht wird. Insgesamt scheint mir der Duft ganz schön tricky und komplex durchkomponiert und zwar durchaus ehrlich und bodenständig, aber keineswegs so schlicht und gerade wie der von mir zuletzt rezensierte "Diplomat" aus dem Konkurrenzhaus "Astrid".
Was ist nun drin in dem Wasser? Auf der Internetseite des Herstellers heißt es "Holz-Zitrusfrucht mit Kräuterelementen". Hm. Holz schnuppere ich nur eingeschränkt, Zitrus eigentlich gar nicht (obwohl da wohl was drin ist, die offizielle Zutatenliste weist Citral, Limonene und das ganze Zeug aus. Charakterisiert wird der Duft damit aber m.E. nicht.
Weiter hilft da vielleicht der Internetshop "Pomade Shop", über den man dieses Wässerchen für billig Geld auch ohne Reise über die Grenze erwerben kann. Dort wird in schönster Werbelyrik das Bild eines kaiserlich-königlichen Herrenfriseurs in Budapest, Wien oder Prag entworfen (aha, da sind die unabhängig von mir auch drauf gekommen), und dann schreiben sie, weiß Gott woher sie das haben, man rieche hier "Cognac, Menthol, Wacholder und Lorbeer" und der Duft sei die "austro-ungarische Antwort auf die amerikanischen Bay-Rum Aftershaves". Die Bay Rums kenne ich zwar bisher nicht, aber insgesamt klingt das überzeugend.
"Windsor" enthält pflegendes Allantoin, das merkt man auch, aber es ist nicht so krass viskos-glyzerinig wie z.B. "Diplomat".
Die Projektion ist mittel und die Haltbarkeit auch. Sie liegt deutlich unter der von Rasierwässern wie "Floid" oder "Caldey for Men", die ich noch am Abend rieche und die für mich daher keine klassischen EdRs sind, und dem Kurzzeitfrischespaß von 30-120 min, den (aus meiner Sicht) typische schlichte Rasierwässer bieten. Ich kann die weiche, etwas cremig wirkende Würzigkeit von "Windsor" noch nach 4-5 Stunden wahrnehmen, wenn ich mir mit der Hand über die Wange streiche.
Für die Nicht-Tschechen (also ich bin ja auch keiner) nun noch kurz zum Titel dieses Kommentars. "Holit" reißt rasieren, und davon ist sowohl "Voda po holeni" (Rasierwasser) als auch "Holicsky Salon" (also Barbershop) abgeleitet. So (oder einfach holic) heißt der Herrenfriseur (wohingegen der Damenfriseur "kadernik" genannt wird). Und für mich ist das hier in der Tat ab sofort mein "Barbershopduft".
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