31.05.2020 - 05:44 Uhr
FvSpee
323 Rezensionen
FvSpee
Geschichte Top Rezension
43
Colonia statt Corona, No. 15: Viva Colonia! Viva Alvarez! Viva Espana!
In dieser den frischen, zitrischen Colognes gewidmeten Reihe habe ich mich bisher mit deutschen und französischen, am Rande auch mit italienischen, türkischen und tschechischen Colognes befasst. Es fehlen noch (mindestens) zwei große Cologne-Nationen, England und Spanien, denen ich mich jetzt etwas stärker zuwenden möchte.
Es ist mir eine Freude, dabei mit Spanien zu beginnen, denn mit diesem Land und mir verhält es sich wie mit wirklich guten Freundschaften oder wirklich großer Liebe: Es braucht immer nur wenig Brennstoff, um ein helles Feuer zu entfachen. Ich war nur sehr selten in Spanien, aber an die wenigen Besuche, selbst wenn sie Jahrzehnte zurückliegen, erinnere ich mich (anders als bei vielen anderen Reisen) fast schon minutengenau und immer mit großer Freude. Ich habe nur ganz kurz Spanisch gelernt, aber das wenige ist haften geblieben, und der harte Klang der Sprache ist für mich wie Musik. Spanische Literatur habe ich kaum gelesen, und eher ungewöhnliche Bücher, aber die wenigen Werke haben mich immer tief berührt (Calderón, Baltasar Gracián, Jorge Guillén zum Beispiel). Die Liste ließe sich fortsetzen. Von daher ist nicht auszuschließen, dass dieser Kommentar von "positiven Vorurteilen" angefärbt ist: vielleicht wären es nur 8,5 Punkte geworden, wenn der Duft aus Tadschikistan käme (hey, ihr Tadschikinnen und Tadschiken: war natürlich nur Spaß!).
Dieses "Colonia Concentrada" (ich habe keine Ahnung, was "Cologne Concentrée" eigentlich genau ist und wo der Unterschied zu einem Eau de Toilette liegt) ist, wie man aus den anderen Kommentaren und aus Internet-Recherchen (insbesondere auf der Seite des Herstellers: https://alvarezgomez.com) entnehmen kann, der Klassiker des Hauses Alvarez Gomez; und das Haus Alvarez Gomez ist angeblich der spanische Ur-Colognist, sozusagen der Farina der iberischen Halbinsel. Glaubt man der offiziellen Firmengeschichte, waren drei junge Cousins aus Nordspanien nach Madrid aufgebrochen, um ihr Glück zu machen, heuerten als Lehrlinge bei einem alten Drogisten an und übernahmen den Laden, als dieser sich ohne Erbe zur Ruhe setzte. Ein Reisender machte sie darauf aufmerksam, dass man in Deutschland und Frankreich "Kölnisch Wasser" benutze, ein Erfrischungswasser aus Zitrus- und Kräuterdüften. Da sagten die Cousins sich: Bei der Hitze ist Madrid dafür doch ein viel besserer Markt als Köln, und die besten Zitronen wachsen sowieso hier vor der Tür. Und so wurde 1912 dieser Duft entwickelt, der angeblich seitdem unverändert ist, den man in Spanien mitsamt zugehöriger Seife, Duschgel und was-nicht-noch an jeder Ecke nachgeworfen bekommt und von dem es etliche Flanker und Nebenprodukte (wie ein After-Shower-Bodysplash, ein "Cologne für Babies" und einen Orangen-Flanker) gibt, die in der Parfumo-Datenbank gar nicht gelistet sind. In Deutschland ist "Agua de Colonia Concentrada" nur über einige wenige Online-Parfümerien zu bekommen, in der 400-ml-Splash-Bottle oder im handtaschenkompatibel kompakten 80-ml-Sprayer. Umsonst ist das Zeug nicht, aber trotzdem sehr preiswert.
Alvarez Gomez Agua de Colonia Concentrada eröffnet mit einer wundervollen, würzigen, satt-dunkelgelben, überaus lebendigen Zitronen-Note, der Fremdhesperidik (insbesondere Bergamotte und Orange) nur minimal beigemischt zu sein scheint. Diese Zitronik riecht tatsächlich nach handverlesenen, maximal ausgewogenen aromatischen Bio-Zitronen von einem Marktstand in Madrid, bei dem auch Chefköche kaufen (insbesondere nach der Schale und dem Öl). Schnell gesellt sich dazu zunächst ein kräftiger, aber nie weiter nach vorne als bis in die zweite Reihe kommender Schuss feinen, pudrigen Lavendels. Als nächstes, vielleicht nach etwas zehn Minuten, spüre ich massive Kräuter und Gewürze; sowohl grüne (Rosmarin und insbesondere Thymian sind plausibel), als auch, wie es auch Fittleworth wahrnahm, nicht angegebene "braune" (Gewürznelke und vielleicht auch Anis). Trotzdem bleibt der feinwürzige, hocharomatische Zitronenölduft deutlich, weshalb dieses Cologne zu keinem Zeitpunkt zu einem Gewürzcologne im Stil von "Tabac Original" mutiert, sondern im Kern immer "gelb" bleibt.
Die Rosengeranie, die Turandot störte, nehme ich überhaupt nicht wahr, was gewiss an mir liegt. Was mir ein Rätsel ist, ist der Eukalyptus, der oben bei den Duftnoten in besonders großer Schrift gesetzt ist, was ja wohl bedeutet, dass viele Parfumos ihn als besonders massiv empfinden. Ich nehme einen spezifischen Eukalyptusgeruch (im Stil von Hustenbonbons, Franzbranntwein & Co) überhaupt nicht wahr. Die Spur des Eukalyptus vermag ich allenfalls in der enorm frischen Ausstrahlung, in einem gewissen grün-würzigen Einschlag und in der hohen Haltbarkeit des Duftes (bei derzeit etwa 20 Grad etwa 1-2 Stunden mit deutlicher Pprojektion plus 2-3 Stunden hautnah) zu erkennen.
Durch den starken Kräuter-Einschlag hat Agua de Colonia Concentrada etwas herb-knarziges, das den Duft im ersten Zugriff eher maskulin wirken lässt. Allerdings ist er seit über 100 Jahren als unisex kon- und rezipiert und hat, wie die Kommentare von Palonera und Florblanca zeigen, auch sehr feminine Freundinnen. Ich bin mir sicher, dass das funktioniert. 20 Millionen Spanierinnen können nicht irren. Gleichzeitig, und in einer gewissen Spannung zu dieser Knarzigkeit, strahlt dieser Alvarez Gomez (was Carlitos in seinem schönen Kommentar von vor etwa vier Wochen betont hat, den er aber anscheinend wieder gelöscht hat) etwas ganz Klares, Lichtes und Fröhliches aus; da möchte man sofort durch Kräuterfelder hüpfen und sich mit Zitronen bewerfen. Von daher passt das Etikett, das sowohl verspielte Heiterkeit als auch Nostalgie ausstrahlt, sehr gut zum Duft.
Das wunderbare, langanhaltende Wechselspiel von aromatischer, satter Zitrone und aufs harmonischste damit verbundenen, ebenso kräftigen Kräutern und Gewürzen macht dieses Cologne für mich ganz unverwechselbar. Das beweist, dass innerhalb der (vermeintlich) engen Grenzen des Genres "zitrisches Cologne" doch ganze Kontinente liegen, die es Spaß macht, zu durchwandern!
Es ist mir eine Freude, dabei mit Spanien zu beginnen, denn mit diesem Land und mir verhält es sich wie mit wirklich guten Freundschaften oder wirklich großer Liebe: Es braucht immer nur wenig Brennstoff, um ein helles Feuer zu entfachen. Ich war nur sehr selten in Spanien, aber an die wenigen Besuche, selbst wenn sie Jahrzehnte zurückliegen, erinnere ich mich (anders als bei vielen anderen Reisen) fast schon minutengenau und immer mit großer Freude. Ich habe nur ganz kurz Spanisch gelernt, aber das wenige ist haften geblieben, und der harte Klang der Sprache ist für mich wie Musik. Spanische Literatur habe ich kaum gelesen, und eher ungewöhnliche Bücher, aber die wenigen Werke haben mich immer tief berührt (Calderón, Baltasar Gracián, Jorge Guillén zum Beispiel). Die Liste ließe sich fortsetzen. Von daher ist nicht auszuschließen, dass dieser Kommentar von "positiven Vorurteilen" angefärbt ist: vielleicht wären es nur 8,5 Punkte geworden, wenn der Duft aus Tadschikistan käme (hey, ihr Tadschikinnen und Tadschiken: war natürlich nur Spaß!).
Dieses "Colonia Concentrada" (ich habe keine Ahnung, was "Cologne Concentrée" eigentlich genau ist und wo der Unterschied zu einem Eau de Toilette liegt) ist, wie man aus den anderen Kommentaren und aus Internet-Recherchen (insbesondere auf der Seite des Herstellers: https://alvarezgomez.com) entnehmen kann, der Klassiker des Hauses Alvarez Gomez; und das Haus Alvarez Gomez ist angeblich der spanische Ur-Colognist, sozusagen der Farina der iberischen Halbinsel. Glaubt man der offiziellen Firmengeschichte, waren drei junge Cousins aus Nordspanien nach Madrid aufgebrochen, um ihr Glück zu machen, heuerten als Lehrlinge bei einem alten Drogisten an und übernahmen den Laden, als dieser sich ohne Erbe zur Ruhe setzte. Ein Reisender machte sie darauf aufmerksam, dass man in Deutschland und Frankreich "Kölnisch Wasser" benutze, ein Erfrischungswasser aus Zitrus- und Kräuterdüften. Da sagten die Cousins sich: Bei der Hitze ist Madrid dafür doch ein viel besserer Markt als Köln, und die besten Zitronen wachsen sowieso hier vor der Tür. Und so wurde 1912 dieser Duft entwickelt, der angeblich seitdem unverändert ist, den man in Spanien mitsamt zugehöriger Seife, Duschgel und was-nicht-noch an jeder Ecke nachgeworfen bekommt und von dem es etliche Flanker und Nebenprodukte (wie ein After-Shower-Bodysplash, ein "Cologne für Babies" und einen Orangen-Flanker) gibt, die in der Parfumo-Datenbank gar nicht gelistet sind. In Deutschland ist "Agua de Colonia Concentrada" nur über einige wenige Online-Parfümerien zu bekommen, in der 400-ml-Splash-Bottle oder im handtaschenkompatibel kompakten 80-ml-Sprayer. Umsonst ist das Zeug nicht, aber trotzdem sehr preiswert.
Alvarez Gomez Agua de Colonia Concentrada eröffnet mit einer wundervollen, würzigen, satt-dunkelgelben, überaus lebendigen Zitronen-Note, der Fremdhesperidik (insbesondere Bergamotte und Orange) nur minimal beigemischt zu sein scheint. Diese Zitronik riecht tatsächlich nach handverlesenen, maximal ausgewogenen aromatischen Bio-Zitronen von einem Marktstand in Madrid, bei dem auch Chefköche kaufen (insbesondere nach der Schale und dem Öl). Schnell gesellt sich dazu zunächst ein kräftiger, aber nie weiter nach vorne als bis in die zweite Reihe kommender Schuss feinen, pudrigen Lavendels. Als nächstes, vielleicht nach etwas zehn Minuten, spüre ich massive Kräuter und Gewürze; sowohl grüne (Rosmarin und insbesondere Thymian sind plausibel), als auch, wie es auch Fittleworth wahrnahm, nicht angegebene "braune" (Gewürznelke und vielleicht auch Anis). Trotzdem bleibt der feinwürzige, hocharomatische Zitronenölduft deutlich, weshalb dieses Cologne zu keinem Zeitpunkt zu einem Gewürzcologne im Stil von "Tabac Original" mutiert, sondern im Kern immer "gelb" bleibt.
Die Rosengeranie, die Turandot störte, nehme ich überhaupt nicht wahr, was gewiss an mir liegt. Was mir ein Rätsel ist, ist der Eukalyptus, der oben bei den Duftnoten in besonders großer Schrift gesetzt ist, was ja wohl bedeutet, dass viele Parfumos ihn als besonders massiv empfinden. Ich nehme einen spezifischen Eukalyptusgeruch (im Stil von Hustenbonbons, Franzbranntwein & Co) überhaupt nicht wahr. Die Spur des Eukalyptus vermag ich allenfalls in der enorm frischen Ausstrahlung, in einem gewissen grün-würzigen Einschlag und in der hohen Haltbarkeit des Duftes (bei derzeit etwa 20 Grad etwa 1-2 Stunden mit deutlicher Pprojektion plus 2-3 Stunden hautnah) zu erkennen.
Durch den starken Kräuter-Einschlag hat Agua de Colonia Concentrada etwas herb-knarziges, das den Duft im ersten Zugriff eher maskulin wirken lässt. Allerdings ist er seit über 100 Jahren als unisex kon- und rezipiert und hat, wie die Kommentare von Palonera und Florblanca zeigen, auch sehr feminine Freundinnen. Ich bin mir sicher, dass das funktioniert. 20 Millionen Spanierinnen können nicht irren. Gleichzeitig, und in einer gewissen Spannung zu dieser Knarzigkeit, strahlt dieser Alvarez Gomez (was Carlitos in seinem schönen Kommentar von vor etwa vier Wochen betont hat, den er aber anscheinend wieder gelöscht hat) etwas ganz Klares, Lichtes und Fröhliches aus; da möchte man sofort durch Kräuterfelder hüpfen und sich mit Zitronen bewerfen. Von daher passt das Etikett, das sowohl verspielte Heiterkeit als auch Nostalgie ausstrahlt, sehr gut zum Duft.
Das wunderbare, langanhaltende Wechselspiel von aromatischer, satter Zitrone und aufs harmonischste damit verbundenen, ebenso kräftigen Kräutern und Gewürzen macht dieses Cologne für mich ganz unverwechselbar. Das beweist, dass innerhalb der (vermeintlich) engen Grenzen des Genres "zitrisches Cologne" doch ganze Kontinente liegen, die es Spaß macht, zu durchwandern!
27 Antworten