L'Eau de Merzhin 2013

UntermWert
26.12.2021 - 12:23 Uhr
64
Top Rezension
8
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8
Duft

Spaziergang durch Kindheitserinnerungen auf dem Land

Ein Frühlingsabend auf dem Land. Das Kind hat den ganzen Tag im Heu gelegen, den Wolken am Himmel dabei zugeschaut, wie sie sich zu Märchenfiguren formieren, und hat sich Geschichten ausgedacht. Nun ist es auf dem Heimweg. Es hat einen Wildblumenstrauß gepflückt und spaziert an Wiesen und Höfen vorbei zurück nach Haus. Der Nachbar hat seinen Zaun gestrichen, an der Ecke seines Grundstücks steht eine große Akazie und reckt dem Kind ihre blühenden Äste entgegen. Kurz vor dem Haus nimmt es seine Schuhe unter den Arm und läuft barfuß über den vermoosten Rasen in die weit geöffneten Arme seiner Mutter.
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L'Eau de Merzhin bezieht sich auf ein "vegetal poem on a dry hay bed" und erfasst olfaktorische Kindheitserinnerungen von Streifzügen durch die bretonische Landschaft. *)

Der Duft eröffnet bitter-grün-herb mit der Angelika und dem Galbanum, weckt aber auch irgendwie ganz kurz einen Eindruck von Lösungsmittel, ein wenig so, als hätte jemand seinen Gartenzaun gestrichen - ich rieche Gräser, Pflanzen und Farbe.
Dann, ganz langsam wird der Duft von geschnittenem Heu stärker und die Akazie blüht hindurch; der Duft bekommt etwas leichtes, grünes, wie ein Bad im Heu im späten Frühling. Zur Akazienblüte gesellt sich im Verlauf der Weißdorn mit süßlicher Indolik, was m.E. wunderbar passt, aber vielleicht erklärt, warum manche hier einen eher unangenehmen Geruch von feuchtem (u.U. sogar gammelndem) Heu wahrnehmen. Mir geht es zum Glück nicht so, aber nachdem ich gerade ein bisschen zum Weißdorn recherchiert habe, scheint es bei dieser Note wohl sehr auf die ganz persönliche Wahrnehmung anzukommen, ob man sie eher honiglich süß oder unangenehm, eventuell sogar müffelig erlebt. Für mich duftet es wie blühende Bäume. Auf Armlänge sind eher holzig-grasige Noten wahrnehmbar. Alles bleibt dabei eher leicht und unwuchtig. Iris, Moos und grünes Heu in der Basis geben dem Duft etwas sehr angenehm entschleunigendes. Tonkabohne nehme ich kaum wahr - bei diesem insgesamt grün-krautigen Szenario ist mir das nur recht.

L'Eau de Merzhin ist ein sehr spannender Duft, tendenziell eher für die wärmere Jahreszeit, und erinnert mich mit den grünen Heu-Noten ein bisschen an Mal Aimée - er gefällt mir aber sogar ein bisschen besser. Ich vermute, der Weißdorn ist hier das "kritische Element", bei dem man nur durch sorgsames Testen für sich herausfinden muss, ob man sich insgesamt damit wohl fühlt. Für Freunde grüner Gras- und Heunoten unbedingt einen Test wert.
Meines Erachtens wieder ein sehr gelungener Lebreton mit spannendem Verlauf und toll aufeinander abgestimmten Duftkomponenten.

(mit liebem Dank an Susan)

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*) s.auch ALzD und Internet-Seite von Anatole Lebreton
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