Serlo
22.01.2018 - 10:40 Uhr
17
Top Rezension
6
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft

Someone to watch over me

Schon Ella Fitzgerald war auf der Suche nach ihm, diesem einen, der ihr die ganze Zeit im Kopf herumschwebt. Überall hat sie ihn gesucht, und doch nie gefunden. Wo mag er denn nur sein, der Schafhüter für das verlorene Schaf? Denn irgendwo da draußen wäre ja einer. Ja! Und genau dieser eine ist dann vielleicht auch derjenige, der auf sie aufpassen würde.

Manchmal brauchen unsere Seelen Trost oder Geborgenheit, und wir wollen uns einfach nur fallen lassen können. Annette Neuffer hat mit Stardust ein Parfum komponiert, das es vermag, genau dies zu tun: es ist ein tröstender, warmer Duft, der dem Träger Wärme und Sicherheit schenkt.

Dies ist mein erster Kommentar zu einem Duft von Frau Neuffer und war auch das erste Parfum, das ich, nach einer langen arbeitsreichen Woche freitags am späten Abend aufs Handgelenk aus meinem frisch eingetroffenen Probenset gesprüht habe, endlich nach Hause gekommen nach einer Dienstreise (oder wie man das eben so nennt, wenn ein Team von vier Lehrern mit 120 Schülern im Alter zwischen 14 und 19 Jahren vier Tage lang unterwegs ist). Und dann kann man alles fallen lassen und einfach nur sein. Kerzen anzünden, Füße hoch, rauf auf die Couch und Musik an.

Wenn man sich mit den Düften von Frau Neuffer beschäftigt, dann kommt automatisch die Musik, im speziellen Jazzmusik, ins Spiel und in die Gedanken. Stardust ist aber wahrlich keine Bigband-Nummer mit knackigen Einsätzen oder Free Jazz, wo scheinbar alles durcheinandergeht, Dissonanzen dominieren und in dem die improvisierte Solomelodie den harmonischen Unterbau kontrollieren sollte. Im Gegenteil: alles an dem Duft ist melodiös, schmeichelnd, wie der Klang eines Altsaxofons begleitet von einem Drummer, einem Kontrabass und einem Klavier. Und diese spielen einen Standard (nicht abwertend gemeint, sondern eben eines der Songs, das Jazzer auf der ganzen Welt eben im Repertoire haben). Die Grundakkorde des Klaviers bieten beim Duft in Form des Bienenwachses (wohl so etwas wie eine Neufferiade, die in jedem Duft, den ich bisher testen durfte, zu spüren ist) und Kakaos den Teppich für den warmen Zuckerwatte-Akkord in Verbindung mit ganz leicht bitterer Mandel, welche die Balance herzustellen vermag und die Süße vor allem in Verbindung mit der Bitterorange in den Schranken hält. Ich würde sogar eine weit entfernte Verwandtschaft zu Baccarat Rouge 540 von MFK verorten, der ebenfalls an Zuckerwatte erinnert und doch so viel mehr als Zuckerwatte ist. Was jedoch bei Stardust deutlicher wahrnehmbar ist, ist das Vibrieren - musikalisch ausgedrückt ein Tremolo - der natürlichen Rohstoffe, die fortwährend schillernde Nuancen preisgeben. Niemals wirkt die Süße zu süß, die Mandel oder die Bitterorange zu herb/bitter. Alle Facetten sind zwar da, aber keine davon sticht heraus oder dominiert den Duft. Deswegen sollte man einfach davon abkehren, die einzelnen Bestandteile herausriechen zu wollen, sondern sich auf die Gesamtkomposition einlassen. Auch ich höre jetzt damit auf, die einzelnen "Noten" der Pyramide hier aufzulisten, denn wie in der Musik besteht eine Melodie auch nicht nur aus einem Ton, sondern eben aus der Variation verschiedener Tonhöhen... naja, bis auf den One-Note-Samba vielleicht...

Hervorheben möchte ich jedoch, dass alle Düfte von Annette Neuffer sehr lange haltbar und auch wahrnehmbar sind. Gerade für reine natürliche Rohstoffe ist dies für mich erstaunlich, zumindest hört man ja, dass die Düfte mit Chemie besser haften. So habe ich den Duft heute morgen um 6 Uhr aufgesprüht und kann ihn um 16:30 immer noch deutlich wahrnehmen. Auf der anderen Seite ist der Duft jedoch nie laut und fordernd. Wahrzunehmen ist er für alle, die einem recht nahe kommen, jedoch wird man keinen Raum füllen. Genau dies suche ich in Düften und habe es auch in vielen Neuffer-Parfums gefunden! Langanhaltende Präsenz bei doch recht zurückhaltender Sillage, machen Stardust zu einem Parfum für den Träger und alle, mit denen er in nahen Kontakt tritt. Und ja, ein bisschen sexy ist der Defensivgourmand - es geht nicht um Eroberung in der Disco, sondern um das Anlehnen an Kuschelnachmittagen, wie der Parfumo Loewenherz dies so trefflich in seinem Kommentar vom L'homme idéal (Eau de Parfum) geschildert hat - auf jeden Fall!

Tja, und wie bei der guten Ella werden andere etwas an dem Duft zu kritisieren wissen. Also ich habe ihn gefunden, den Duft, der auf mich aufpasst und mit dem ich mich fallen lassen kann. Danke, Frau Neuffer, für diesen Duft!
5 Antworten