Vermilion Orange 2020

Zionist
24.05.2020 - 09:23 Uhr
10
Flakon
8
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft

Neuffer und Rachmaninoff

Mit ihrer einzigartigen Handschrift hat Fr. Neuffer diesmal ein Novum unter den Düften - die sich den zitrischen Noten verschrieben haben - geschaffen - denn so einen Kreation unter dem hesperidischen Himmel, wo Agrumen unterschiedlichster Provenienz so lange virtuos in der Solistenrolle in einem wohltemperierten orchestralen Zusammenspiel auftreten, ist mir noch nicht untergekommen.

Der Markt scheint ja, gerade was die vielen hesperidischen Soliflor Düfte angeht, und bezogen auf den vielfältigen Eiinbau zitrischer Essenzen in den Kopfnoten abgesättigt zu sein, insofern stieß dieser Duft zunächst auch bei mir auf kein besonderes Interesse, da Orangen bei mir morgens frisch gepresst aus dem Kühlschrank, am besten aufgehoben erscheinen.

Ausserdem habe ich Enrico Buccella´s Düfte letztes Jahr kennen und schätzen gelernt, der unter dem Namen Sigilli und Cerchi Nell`acqua firmiert, wo mir gleich mehrere zitrische Düfte ins Auge - oder besser gesagt in die Nase gesprungen sind, und die bei mir einziehen mussten.

Hesperia als frischstrahlender typischer Zitronenduft mit Orangenblüten und Hölzern, E*5 ein Duft wo Neroli , Petigrain mit Zitrusöl/ Bergamottte eine tolle Symbiose eingehen, und LÈxotique der für mich mit seinem Bitterorange/Mandarine / Ambroxan eine tolle Performance liefert - und die ich alle als sehr langanhaltend und hochwertig wahrnehme. Insofern schien mein Bedarf an zitirscher Frische für weitere Jahre gedeckt.

Nur würde ich Enrico Buccella´s Kreationen, was deren Entwicklung auf der Haut betrifft, vor allem in die Gruppe der monochromatischen Düfte einordnen.
Monochromatisch ist hier in keiner Weise als despektierlich oder eintönig aufzufassen, nur fehlt ihnen der Agrumen Virtuose im orchestralen Auftritt, was die Stärke und Eigenart von Vermilion Orange zu sein scheint.

Die unterschiedlichen Orangenessenzen wurden hier von der Parfumeurin als sehr langanhaltendes und leicht herb-fruchtiges bitteres Odeur solistenhaft changierend eingebaut und zeigen musisch übersetzt Parallelen, bzw . haben direkte Gemeinsamkeiten mit den schwierigen Oktavenläufen eines Pianisten, die gerade den 2. und 3. Satz von Rachmaninoffs 2. Klavierkonzert so berühmt gemacht haben.

Rachmaninoff als Vertreter der Hochromantik überschritt in seinen Werken die traditionelle Harmonik und räumte der individuellen Gefühlsbetonung oberste Priorität ein, fügte ausgefallene akkustische Feinheiten hinzu, um in neuen Harmonien einen noch überwältigeren Eindruck zu ermöglichen.

Der Pianist muss neben einer soliden Tastenvirtuosität nicht nur die Kraft seiner Finger, sondern auch sein ganzes Körpergewicht einbringen um Klangfarben und neue Klangmöglichkeiten zu ermöglichen.
Vermilion orange - in seiner von Anfang an bestehenden hyperassoziativen melodisch olfaktorischen Üppigkeit - zeigt uns gerade diesen überwältigenen Eindruck, wie er in der Romantik angestrebt wurde. Der Duft ist voll von innerer Kraft in seiner Virtuosität und voller harmonischer Effekte in seinem Verlauf und neu in seiner Instumentierung.
Die Kopfnote ist durch eine belebende Frische mit bittersüssen Spitzen charakterisiert- Pfeffer und Ingwernoten scheinen hier beizutragen, aber gleichzeitig sind dem Duft auch von Beginn an Wärme und Geborgenheit eigen, die vermutlich durch Zimt eingeleitet werden und zum florlen Herzteil des Verlaufs überleiten.

Dem Trio aus Blutorange, Wild- und Bitterorange geht bis zum Ende nicht die Luft aus und für mich ist es ein Rätsel, wie man es bei all ihrer bekannten Flüchtigkeit zu Wege bringt, Agrumenessenzen so lange und so präsent in einen Duft einzubauen, um nie ein zuviel an fruchtigen Elementen zu bekommen.

Ohne ihn zu erleben, ist es schwer seinen Verlauf anhand der Ingredienzien zu beschreiben, denn dieses Kunstwerk ist so verwoben und voller olfaktorischer Feinheiten und gleichzeitig so klassisch in seiner opulenten Klarheit - von oben betrachtet - und überrascht immer wieder dadurch, dass die Bitterorange das Zepter in die Hand nimmt und in den Vordergrund tritt, trotz des omnipräsenten harmonisch auftretenden Überbaus der sich von der Herznote bis lange ind die Basis erstreckt und durch die balsamisch- süß samtig warmen Harz-und Holztöne charakterisiert wird, die glissandohaft, gleich einer Gruppe fein aufeinander abgestimmter Violinisten, auftreten.

Vermilion orange hat einen hohen Wiedererkennungswert und ich finde es schön, dass diesem Duft diesmal keine Bienenwachskomponente eigen ist, da dadurch seine Eigenständigkeit nur noch mehr betont wird.

Vermilion orange ist auch eine gewisse Sinnlichkeit nicht abzusprechen, auch hier decken sich meine Assoziationen zu Rachmaninoffs 2. Klavierkonzert Opus 18 C minor, da Passagen des 2. und 3. Satzes daraus auch in die Filmmusik eingegangen sind und sowohl in den in den 30er Jahren gedrehten Film " Menschen im Hotel" mit Greta Garbo verwendet wurden, beziehungsweise hat sich Marilyn Monroe zu Rachmaninoffs Klavierkonzert 1955 im " Das verflixte 7. Jahr " verführen lassen.
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