30.08.2015 - 13:05 Uhr
Meggi
1019 Rezensionen
Meggi
Top Rezension
38
Denen's dann noch will gelingen
Da war er! Natürlich wusste Sie, dass er darauf gewartet hatte. Wie immer. Der gleiche kokette Blick wie damals, rasch über die rechte Schulter nach hinten geworfen, obwohl sein Strahlen inzwischen aus fältchenumkränztem Augenwinkel blitzte.
Die Eiligen waren längst gegangen, doch sie hatten noch eine Weile auf ihren Plätzen gesessen, um das Gehörte und Gesehene in sich nachklingen lassen. Außerdem war Anstehen an der Garderobe mittlerweile zu mühevoll und sie hatten schließlich genug Zeit, würden zu Hause ohnehin lange über die Aufführung reden. Jetzt stand er da, die Hand am Kragen ihres Mantels, während nach dem linken nun ihr rechter Arm in den Ärmel schlüpfte.
Ganz genau so hatte er dagestanden und hatte sie geblickt, als er ihr vor vielen Jahren nach ihrem ersten, heimlichen Treffen in den Mantel geholfen hatte. Na ja, nicht ganz genauso. Fast siebzig Jahre, zwei Arbeitsleben, drei Kinder und eine schwere Krankheit später fiel die Höflichkeit zwar geübter, aber nicht mehr gleichermaßen flink und geschmeidig aus. Dafür liebevoller, weniger pflichtgemäß. Aus ihr war eines jener kleinen, innigen Rituale geworden, wie sie allein die Liebe zweier Menschen in langen gemeinsamen Jahren hervorbrachte.
Der heutige Opernabend hatte dazu die richtigen Worte gewusst. Im dritten Aufzug der ‚Meistersinger von Nürnberg‘ hatte der alte Schuster Hans Sachs dem jungen Ritter Walther von Stolzing den Meistergesang nahe gebracht – und seine Worte meinten gewiss ebenso die Liebe nach der Verliebtheit:
Walther:
Ein schönes Lied, ein Meisterlied:
wie fass' ich da den Unterschied?
Sachs:
Mein Freund, in holder Jugendzeit,
wenn uns von mächt'gen Trieben
zum sel'gen ersten Lieben
die Brust sich schwellet hoch und weit,
ein schönes Lied zu singen,
mocht' vielen da gelingen;
der Lenz, der sang für sie.
Kam Sommer, Herbst und Winterszeit,
viel Not und Sorg' im Leben,
manch' ehlich Glück daneben,
Kindtauf', Geschäfte, Zwist und Streit:
denen's dann noch will gelingen,
ein schönes Lied zu singen,
seht; Meister nennt man die!
Und als er ihr den Mantel auf die Schultern legte, umgab ihr Duft sie beide. Fraulich-verführerisch, dabei keineswegs mondän. Zunächst getragen von zarter Zitrusfrucht und angedeutetem Gewürz. Gefolgt von charaktervollen Blumen, sacht umhüllt von einem Himmelbett aus vanilliger Ambra-Moschus-Creme, das ihnen jede Spitze nahm. Dezent pudrig. Vielleicht eine sanfte Bittermandel-Note.
Jetzt, gegen Ende des Abends, war der Duft eine Spur kräftiger geworden, holziger, mit einem Hauch von Harz, umspielt von Karamell, doch weiterhin weich und schmeichelnd. In einigen Stunden würde er sich in einer ätherischen Holznote auflösen.
Damals hatten sie sich außer Sichtweite ihres Elternhauses verabschiedet, verlegen, mit ein paar belanglosen Worten, gleichwohl wissend, dass mehr geschehen war als ein beliebiger, abendlicher Zeitvertreib. Heute würden sie die wenigen Hundert Meter nach Hause gemeinsam gehen. Hand in Hand. Wie immer.
Die Eiligen waren längst gegangen, doch sie hatten noch eine Weile auf ihren Plätzen gesessen, um das Gehörte und Gesehene in sich nachklingen lassen. Außerdem war Anstehen an der Garderobe mittlerweile zu mühevoll und sie hatten schließlich genug Zeit, würden zu Hause ohnehin lange über die Aufführung reden. Jetzt stand er da, die Hand am Kragen ihres Mantels, während nach dem linken nun ihr rechter Arm in den Ärmel schlüpfte.
Ganz genau so hatte er dagestanden und hatte sie geblickt, als er ihr vor vielen Jahren nach ihrem ersten, heimlichen Treffen in den Mantel geholfen hatte. Na ja, nicht ganz genauso. Fast siebzig Jahre, zwei Arbeitsleben, drei Kinder und eine schwere Krankheit später fiel die Höflichkeit zwar geübter, aber nicht mehr gleichermaßen flink und geschmeidig aus. Dafür liebevoller, weniger pflichtgemäß. Aus ihr war eines jener kleinen, innigen Rituale geworden, wie sie allein die Liebe zweier Menschen in langen gemeinsamen Jahren hervorbrachte.
Der heutige Opernabend hatte dazu die richtigen Worte gewusst. Im dritten Aufzug der ‚Meistersinger von Nürnberg‘ hatte der alte Schuster Hans Sachs dem jungen Ritter Walther von Stolzing den Meistergesang nahe gebracht – und seine Worte meinten gewiss ebenso die Liebe nach der Verliebtheit:
Walther:
Ein schönes Lied, ein Meisterlied:
wie fass' ich da den Unterschied?
Sachs:
Mein Freund, in holder Jugendzeit,
wenn uns von mächt'gen Trieben
zum sel'gen ersten Lieben
die Brust sich schwellet hoch und weit,
ein schönes Lied zu singen,
mocht' vielen da gelingen;
der Lenz, der sang für sie.
Kam Sommer, Herbst und Winterszeit,
viel Not und Sorg' im Leben,
manch' ehlich Glück daneben,
Kindtauf', Geschäfte, Zwist und Streit:
denen's dann noch will gelingen,
ein schönes Lied zu singen,
seht; Meister nennt man die!
Und als er ihr den Mantel auf die Schultern legte, umgab ihr Duft sie beide. Fraulich-verführerisch, dabei keineswegs mondän. Zunächst getragen von zarter Zitrusfrucht und angedeutetem Gewürz. Gefolgt von charaktervollen Blumen, sacht umhüllt von einem Himmelbett aus vanilliger Ambra-Moschus-Creme, das ihnen jede Spitze nahm. Dezent pudrig. Vielleicht eine sanfte Bittermandel-Note.
Jetzt, gegen Ende des Abends, war der Duft eine Spur kräftiger geworden, holziger, mit einem Hauch von Harz, umspielt von Karamell, doch weiterhin weich und schmeichelnd. In einigen Stunden würde er sich in einer ätherischen Holznote auflösen.
Damals hatten sie sich außer Sichtweite ihres Elternhauses verabschiedet, verlegen, mit ein paar belanglosen Worten, gleichwohl wissend, dass mehr geschehen war als ein beliebiger, abendlicher Zeitvertreib. Heute würden sie die wenigen Hundert Meter nach Hause gemeinsam gehen. Hand in Hand. Wie immer.
15 Antworten