02.11.2014 - 12:42 Uhr
Palonera
467 Rezensionen
Palonera
Top Rezension
40
...was sein wird...
Er mußte ein Hellseher gewesen sein, dieser Bill Blass.
Mitten in den lauten, wuchtigen, schrillen Achtzigern, die auf jede nur erdenkliche Art klotzten, statt zu kleckern, in denen ein Duft mit Herold und Fanfaren seinem Träger vorauseilte und man alles sein wollte, nur nicht dezent, nur nicht zurückhaltend und um des Seelenheils willen nicht bescheiden - auf diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten von einem Duft zu träumen, der "nude" sein sollte, nackt, rein, bloß, reduziert und zugleich potenziert auf das Wesentliche, losgelöst von allem Banalen, allem Lauten, all jenem, das in dieser Zeit dem Geist derselben entsprach, das glich einem Blick in weite Ferne, weit über den Horizont hinaus.
Ein Träumer war er, ein Visionär vielleicht, der Dinge sah, die anderen Augen noch verborgen blieben – der die überdimensionierten Schulterpolster und neonbunten Stoffe von den Laufstegen verschwinden und Platz machen sah für zarte, natürliche, schmeichelnde Farben und Schnitte, deren Trägerinnen die falschen Wimpern abgelegt und das blutige Rot von ihren Lippen gewischt hatten, um fortan ihre scheinbar nackte Haut zu Markte zu tragen.
Kein Mensch dachte 1990 an den Nude-Look, der wenige Jahre später bis weit ins 21. Jahrhundert hinein die neue Natürlichkeit propagieren sollte – und der Düfte mit sich brächte, die leise sein würden und fein, die sich an ihre Trägerinnen schmiegen und mit ihnen verschmelzen würden wie eine zweite Haut.
Düfte wie "Nude".
Dabei ist er nicht einfach nur nackt, dieser Duft, nicht einfach nur Haut und Wärme und Sinnlichkeit, nicht nur saubersamtigsanftgecremt.
Auch das ist "Nude", ganz gewiß – all das und zugleich so sehr viel mehr.
Sechs Tage lang hat "Nude" mich begleitet, sechs Tage lang, bei Sonne und bei Regen, fröstelnd im Wind und überzogen von einem feinen Schweißfilm, im Anzug, in Jeans und ohne alles, hat sich mir genähert und wieder entzogen und mich gelehrt, wieder einmal gelehrt, daß ein Duft so viele Facetten hat wie seine Trägerin, wie sein Träger, daß er Zeit braucht und Zeit verlangt, um sich zu öffnen, zu offenbaren.
Sechs Tage mit "Nude" – sechs Tage mit Frauen und Männern, mit jungen und nicht mehr ganz so jungen, mit Frühling und Sommer und Herbst, Bergen und Tälern, Morgenfrische und Mittagsglut mündend in feuchtkühle Wälder.
Und noch immer reißt der Reigen an Bildern, an Eindrücken nicht ab...
Reifende Früchte am Baum eröffnen "Nude" auf meiner Haut – Äpfel könnten es sein, Birnen und später auch Quitten mit ihrer herben Säuerlichkeit, die ein mögliches Zuviel an Süße in Schach hält.
Noch ist der Sommer jung, ist der Morgen kühl und hell, doch von Stunde zu Stunde schreitet die Jahreszeit voran, mischen sich die Aromen hochsommerlicher Kräuter und Gewürze mit dem Duft weitgeöffneter Blütenkelche im halbwilden Bauerngarten.
Eine sanfte, freundliche Atmosphäre liegt über allem, sehr entspannt, sehr gelassen, unaufgeregt und heiter - um mich Stunden später durch den Herbstwald zu führen, den kühlen, feuchtgrünen, dessen morgendliche Nebelstreifen noch nicht zu den Baumwipfeln emporgestiegen sind.
Moosigweicher Boden, dunkles Holz und tiefes Grün – sanft chyprige Anklänge geben "Nude" ein ernsteres, reiferes Gesicht, kanten allzu weiche Konturen und wecken meinen Widerspruch gegenüber einer rein weiblichen Einordnung.
"Nude" changiert auf meiner Haut – dominieren an einem Tag floralfruchtige Charakterzüge, wird tags darauf holzig-cremig Siesta gehalten im vor langer Zeit gestrandeten Boot mit den Zehen im heißen Sand, dann wieder zeichnen herbseifige Akkorde und vertrocknetes Moos das Bild eines Barbershops.
Stets ist der Eindruck klar und akzentuiert, nie jedoch überzogen, niemals werden naturnahe Töne von Technicolor verdrängt.
"Nude" entzieht sich jedem Versuch einer Einordnung, einer Festlegung – selten ist mir ein so ambivalenter Duft begegnet, der sich dennoch nicht widerspricht, der nichts bricht, nicht den Kontrast zelebriert, der in all seinen Facettierungen doch merkwürdig eins wirkt, ganz, unrund zwar, doch vollständig, der den Spannungsbogen niemals überdehnt und zu keinem Zeitpunkt seinen freundlichen, verhaltenen, verbindlichen Grundzug verliert.
Ein Duft, den ich nicht wirklich verstehe, den zu ergründen ich nicht imstande bin – doch vielleicht muß ich das auch nicht, vielleicht ist gerade dies sein Geheimnis, seine Faszination, die nicht aufgedröselt werden will, nicht analysiert und nicht seziert.
Vielleicht will er einfach nur getragen werden, der Duft, getragen und gemocht von der Frau und von dem Mann, die etwas von sich in ihm wiederfinden - ein Gefühl, eine Stimmung, eine Facette ihres Ich, das mal so ist und dann wieder ganz anders, das heute den Kopf in den Wolken trägt und ihn morgen hinter dunklen Schleiern verbirgt, das Freude kennt und Wehmut, Blässe und Blöße und jenes undefinierbare Etwas, das den Kern unseres Sein umgibt.
Vielleicht ist es das, was Bill Blass meinte, was er wollte, vielleicht war es das, was er suchte, ganz weit vorn, weit voraus in der Zukunft, die noch nicht da ist, die nie da sein wird, jedoch immer sein wird - ein leeres Blatt Papier, rein, weiß, nackt.
Mitten in den lauten, wuchtigen, schrillen Achtzigern, die auf jede nur erdenkliche Art klotzten, statt zu kleckern, in denen ein Duft mit Herold und Fanfaren seinem Träger vorauseilte und man alles sein wollte, nur nicht dezent, nur nicht zurückhaltend und um des Seelenheils willen nicht bescheiden - auf diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten von einem Duft zu träumen, der "nude" sein sollte, nackt, rein, bloß, reduziert und zugleich potenziert auf das Wesentliche, losgelöst von allem Banalen, allem Lauten, all jenem, das in dieser Zeit dem Geist derselben entsprach, das glich einem Blick in weite Ferne, weit über den Horizont hinaus.
Ein Träumer war er, ein Visionär vielleicht, der Dinge sah, die anderen Augen noch verborgen blieben – der die überdimensionierten Schulterpolster und neonbunten Stoffe von den Laufstegen verschwinden und Platz machen sah für zarte, natürliche, schmeichelnde Farben und Schnitte, deren Trägerinnen die falschen Wimpern abgelegt und das blutige Rot von ihren Lippen gewischt hatten, um fortan ihre scheinbar nackte Haut zu Markte zu tragen.
Kein Mensch dachte 1990 an den Nude-Look, der wenige Jahre später bis weit ins 21. Jahrhundert hinein die neue Natürlichkeit propagieren sollte – und der Düfte mit sich brächte, die leise sein würden und fein, die sich an ihre Trägerinnen schmiegen und mit ihnen verschmelzen würden wie eine zweite Haut.
Düfte wie "Nude".
Dabei ist er nicht einfach nur nackt, dieser Duft, nicht einfach nur Haut und Wärme und Sinnlichkeit, nicht nur saubersamtigsanftgecremt.
Auch das ist "Nude", ganz gewiß – all das und zugleich so sehr viel mehr.
Sechs Tage lang hat "Nude" mich begleitet, sechs Tage lang, bei Sonne und bei Regen, fröstelnd im Wind und überzogen von einem feinen Schweißfilm, im Anzug, in Jeans und ohne alles, hat sich mir genähert und wieder entzogen und mich gelehrt, wieder einmal gelehrt, daß ein Duft so viele Facetten hat wie seine Trägerin, wie sein Träger, daß er Zeit braucht und Zeit verlangt, um sich zu öffnen, zu offenbaren.
Sechs Tage mit "Nude" – sechs Tage mit Frauen und Männern, mit jungen und nicht mehr ganz so jungen, mit Frühling und Sommer und Herbst, Bergen und Tälern, Morgenfrische und Mittagsglut mündend in feuchtkühle Wälder.
Und noch immer reißt der Reigen an Bildern, an Eindrücken nicht ab...
Reifende Früchte am Baum eröffnen "Nude" auf meiner Haut – Äpfel könnten es sein, Birnen und später auch Quitten mit ihrer herben Säuerlichkeit, die ein mögliches Zuviel an Süße in Schach hält.
Noch ist der Sommer jung, ist der Morgen kühl und hell, doch von Stunde zu Stunde schreitet die Jahreszeit voran, mischen sich die Aromen hochsommerlicher Kräuter und Gewürze mit dem Duft weitgeöffneter Blütenkelche im halbwilden Bauerngarten.
Eine sanfte, freundliche Atmosphäre liegt über allem, sehr entspannt, sehr gelassen, unaufgeregt und heiter - um mich Stunden später durch den Herbstwald zu führen, den kühlen, feuchtgrünen, dessen morgendliche Nebelstreifen noch nicht zu den Baumwipfeln emporgestiegen sind.
Moosigweicher Boden, dunkles Holz und tiefes Grün – sanft chyprige Anklänge geben "Nude" ein ernsteres, reiferes Gesicht, kanten allzu weiche Konturen und wecken meinen Widerspruch gegenüber einer rein weiblichen Einordnung.
"Nude" changiert auf meiner Haut – dominieren an einem Tag floralfruchtige Charakterzüge, wird tags darauf holzig-cremig Siesta gehalten im vor langer Zeit gestrandeten Boot mit den Zehen im heißen Sand, dann wieder zeichnen herbseifige Akkorde und vertrocknetes Moos das Bild eines Barbershops.
Stets ist der Eindruck klar und akzentuiert, nie jedoch überzogen, niemals werden naturnahe Töne von Technicolor verdrängt.
"Nude" entzieht sich jedem Versuch einer Einordnung, einer Festlegung – selten ist mir ein so ambivalenter Duft begegnet, der sich dennoch nicht widerspricht, der nichts bricht, nicht den Kontrast zelebriert, der in all seinen Facettierungen doch merkwürdig eins wirkt, ganz, unrund zwar, doch vollständig, der den Spannungsbogen niemals überdehnt und zu keinem Zeitpunkt seinen freundlichen, verhaltenen, verbindlichen Grundzug verliert.
Ein Duft, den ich nicht wirklich verstehe, den zu ergründen ich nicht imstande bin – doch vielleicht muß ich das auch nicht, vielleicht ist gerade dies sein Geheimnis, seine Faszination, die nicht aufgedröselt werden will, nicht analysiert und nicht seziert.
Vielleicht will er einfach nur getragen werden, der Duft, getragen und gemocht von der Frau und von dem Mann, die etwas von sich in ihm wiederfinden - ein Gefühl, eine Stimmung, eine Facette ihres Ich, das mal so ist und dann wieder ganz anders, das heute den Kopf in den Wolken trägt und ihn morgen hinter dunklen Schleiern verbirgt, das Freude kennt und Wehmut, Blässe und Blöße und jenes undefinierbare Etwas, das den Kern unseres Sein umgibt.
Vielleicht ist es das, was Bill Blass meinte, was er wollte, vielleicht war es das, was er suchte, ganz weit vorn, weit voraus in der Zukunft, die noch nicht da ist, die nie da sein wird, jedoch immer sein wird - ein leeres Blatt Papier, rein, weiß, nackt.
22 Antworten