Parco Palladiano I: Magnolia 2016

Verbena
30.09.2016 - 12:33 Uhr
32
Top Rezension
9
Flakon
6
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft

Ol' Man River

Das alte herrschaftliche Haus ist schon lange verlassen und von holzigem Gestrüpp überwuchert. Die einst helle, freundliche Fassadenfarbe blättert, die glaslosen Fenster blicken blind ins Leere.

Eine warme schwüle Nacht hat sich über das Sumpfland gesenkt. Die Milchstraße zieht ihr silbern funkelndes Band über das samtschwarze Firmament. Das lautstarke Konzert der Frösche und Zikaden erfüllt die Dunkelheit, von Zeit zu Zeit unterbrochen vom Ruf einer Eule auf der Jagd. Bisweilen ist ein leises Gurgeln zu hören, wenn einer der Alligatoren in das mondbeschienene dunkle Wasser gleitet. Die archaischen Echsen sind zurückgekehrt, sobald das Anwesen wieder still und leblos da lag.

Vom breiten Fluss dringen gedämpfte Stimmen herüber, Lastkähne auf ihrem Weg nach Süden und manchmal auch ein geschichtsträchtiger und für die Illusion restaurierter Raddampfer, beladen mit Touristen auf der sentimentalen Suche nach Relikten einer längst vergangenen glanzvollen Epoche.

Vom Fluss aus ist das einstmals so stolze Herrenhaus nicht mehr zu sehen. Strauchwerk und Schlingpflanzen haben um das Terrain in unzähligen Jahren des Verlassenseins gleichsam einen Kokon gewoben, in dem es nun verborgen in tiefem Schlaf dahindämmert, ergeben in sein mit Spinnweben überzogenes Schicksal. Der Wandel der Zeiten hat unaufhaltsame Veränderungen mit sich gebracht, wie er das immer tut. Alles ist längst anders geworden. Alles bis auf eins.

Die Magnolien sind noch da, und sie verströmen seit eh und je ihren süßen, schweren Duft. Sie bleiben unberührt von morschem Holz und schimmelnden Fassaden. Sie allein sind Zeugen von Aufstieg und Niedergang, Hochmut und Verdammnis, Unterwerfung und Befreiung. Sie gehören noch immer zum Haus, nichts und niemand hat sie bislang vertreiben können.

Sie wüssten Geschichten zu erzählen von Herren und Sklaven, von Reichtum und Elend, rauschenden Festen und bitteren Tragödien, von Liebe und Leid, vom Glück genauso wie von Schmerz, Blut und Tränen. Hier wurde getanzt und geprügelt, geliebt und gestritten, gelacht und verraten, gemordet und geheiratet, geboren und begraben.

Die Zeit als große Gleichmacherin hat niemanden verschont. Irgendwann wird der Sumpf sich das ihm vor Generationen abgerungene Land mitsamt den damals so fruchtbaren Plantagen zurückholen. Schon ist der alte abseits gelegene Friedhof und mit ihm die Gräber der einstigen Bewohner in seinem Morast versunken.

Nur die Magnolien blühen noch immer und trotzen dem alles überwuchernden Gestrüpp. Sie verbreiten unbeirrt ihren Duft, schwer, süß, berauschend und die Sinne betörend. Doch vielleicht wird auch ihre Zeit irgendwann im Sumpf vergehen.

Den großen Fluss kümmert das wenig. Vom fernen Ufer des Mississippi klingt leiser Gesang herüber:

„Ol' Man River, that Ol' Man River
He must know somethin', but he don't say nothin'
He just keeps rollin', he keeps on rollin' along.

He don't plant taters, and he don't plant cotton
And them what plants 'em is soon forgotten
But Ol' Man River, he just keeps rollin' along.“

Auf seinem Weg zum Meer trägt er einen Hauch Magnolienduft mit sich fort.
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