Ein ganzes Jahrzehnt teilen wir bereits miteinander, du und ich, ein Jahrzehnt voller Irrsinn und Melancholie, Feuerwerk und Meeresgrund, Heavy Metal und leiser Töne.
Tränen am Tag, Lachen bei Nacht, Glockenschläge zur Unzeit und viel zu langsam dahintropfende Stunden.
Ein Jahrzehnt mit schwarzer Sonne und rotem Mond, mit Zauberstrahlen am Nachthimmel und der Rückkehr in den Mutterschoß.
Hättest Du gedacht, daß wir all dies und noch viel mehr miteinander erleben würden, damals an jenem Tag in Simones Parfümerie?
Dort standest du, kühl, klar, dezent und sehr elegant - deine großen grünen Brüder kannte ich bereits, der rote war noch nicht auf der Welt.
Ich mochte dich, ich nahm dich mit in jene Zeit, in der eine Amour fou mich mit sich riß, die meine Welt aus den Angeln hob, mein Gehirn wusch und meine Seele, die mich zur Venus schnippte und zurück, mich halmlos stürzen ließ in wildes Meer, das mich zu verschlingen, zu ertränken versprach.
All das hast du mitangesehen, still, zurückgenommen, niemals dich dazugesellend, stets Abstand wahrend zu meinen Gefühlen, meinen Sehnsüchten, meinen Erinnerungen.
Zwei Jahre später spuckte der Tornado mich aus, ließ mich zurück mit verrenkten, zerschmetterten Gliedern, ohne Atem und ohne Willen.
Weißt du noch?
Du hast mir zugesehen beim Aufrappeln und Wiederumfallen, beim Kriechen und blicklosen Taumeln, bist langsam neben mir her gegangen auf dem langen Weg zurück zum Ich.
Du warst da, hell und kühl, hast mich nicht berührt, nicht meinen Kopf, nicht das Herz, das nur noch Hackfleisch war, und hast mich doch nicht allein gelassen, niemals.
Irgendwann, viele Tage, Wochen, Monate später, ging es mir wieder gut, hatten die Überlebensmechanismen gegriffen und die dunklen Nebel aus meinem Gehirn verbannt.
Du warst noch da, immer noch – viele deiner Brüder und Schwestern hatten gehen müssen, hatten ein anderes Heim gefunden, weil ich sie nicht mehr ertragen konnte, nicht die Bilder, die Erinnerungen, den tiefen Schmerz, den ihr Duft wieder und wieder aufleben ließ.
Du bist geblieben mit deiner zitrischen Heiterkeit, der verhaltenen blumigen Süße und einer ebenso sanften wie deutlichen Teenote, die freundlich anregt und zugleich beruhigt, mein Blut kühlt und zügelt.
Krautig mochtest du bei mir nie werden, ein wenig kratzig hingegen schon, wie es ja auch dein Namensgeber werden kann, der Weiße Tee, wenn man es wagt, ihn falsch zu behandeln.
Und ich weiß, daß du mich wieder mit Schweigen strafen wirst, und dennoch muß ich auch jetzt wieder an Calvin Kleins berühmte Eins denken, der du auf meiner Haut so ähnlich wirst mit jenem aquatischen Einschlag, der sich eng mit den Zitrusnoten verbindet und den Tee auf den zweiten Platz verweist.
Natürlich bist du feiner in deiner Komposition, fragiler und kühler, weicher und auch reifer, gelassener, erwachsener als CK One, aber dennoch...
Was ist so schlimm daran, wenn ich euch beide in einem Atemzug nenne?
Vergiß nicht, daß er, der Heilende, bei unserer ersten Begegnung eben jenen Calvin trug, der vielleicht nicht wirklich zu ihm paßte, aber auch nicht gestört und sicher nichts verhindert hat.
Acht Jahre ist das bald her.
Er ist noch immer da, warm und fest und beständig, mein Fels in der Brandung, meine Reißleine am Fallschirm, mein knisterndes Kaminfeuer, wenn draußen der Sturm durch die Bäume heult, mein Rettungsboot, wenn ich wieder einmal Titanic gespielt habe, mein Ich-bin-bei-Dir.
Er ist da.
So wie du.