03.01.2012 - 19:35 Uhr
Undine
30 Rezensionen
Undine
Top Rezension
Schwebender Luftikus aus Seidenchiffon
Das kennt ihr bestimmt: Man steckt die Nase in einen Veilchenstrauß, spürt intensiven Duft – und plötzlich nichts mehr. Ein paar Augenblicke später, man hat schon irritiert die Hoffnung aufgegeben, stupst das Blütenaroma einen erneut kraftvoll an – verlischt unvermittelt wieder – kehrt zurück… Es gibt dafür eine Erklärung: Das für Veilchenblütenduft verantwortliche Ionon, einen Stoff aus der Gruppe der Ketone, nehmen menschliche Nasen nur in bestimmter Konzentration wahr. Erst wenn soundsoviel Luft das Ionon verdünnt, riechen wir "Veilchen". Sind zu viele Duftstoffmoleküle pro Liter Luft da, riechen wir nichts. Und sinkt die Konzentration unter ein gewisses Maß, ist unser Geruchssinn wiederum überfordert.
Was das zu tun hat mit "Eau Parfumée au Thé Vert Extrème"? Nichts – denn obwohl im Flakon garantiert mehr drin ist, als draufsteht, Veilchen sind nicht mal von ferne dran vorbeigelaufen. Alles – denn der Duft führt sich ähnlich rätselhaft auf wie der von Veilchenblüten: Scheinbar längst verflogen, klingt er plötzlich aus dem Nirgendwo wieder auf, er kommt und geht, ein eigenwillig schwebender Luftikus.
Es beginnt mit hellgrünem Brizzeln, eine Brise fährt durch junges Mailaub. Die Sonne steht noch tief, macht lange Schatten; der Morgen ist kühl, doch er birgt das Versprechen eines warmen, heiteren Tages. Schnell ziehende Wolken am blauen Himmel verändern ständig das Licht, und mit ihm wandelt sich die Farbe des Duftes: Rasch wird er grüngold. Eine zarte, aber schimmernde Tönung, wie edler Seidenchiffon: durchsichtig und zugleich lebhaft gefärbt; hauchleicht, von jedem Windchen neu geformt. Dennoch warm umhüllend, stabil, sogar Stürmen gewachsen: Seide, mag sie noch so spinnwebdünn sein, darf man nicht unterschätzen, sie hält härtesten Lasten stand (kein Zufall, dass Schneider sie als Nähfaden nutzen).
Die weitere Duftentwicklung vollzieht sich im Zeitlupentempo. Als hätte der Parfümeur, der hier als Leitmotiv grünen Tee wählte, dessen lange, flache Wirkungs-Kurve zum Vorbild genommen für den Rhythmus des Duftes. Langsam, ganz langsam mischt sich Kupfer ins Grüngold. Kupfer? Ja. Da sind zwar süßes Jasminweiß und der typische Rose-Rouge-Duft samtig-dunkelroter, fast schwarzer Rosen in der Herznote. Doch daraus wird kein marzipaniges Confiserie-Rosa. Denn gut dosierte Gewürzaromen dunkeln die Süße herb ab, Kastanien- statt Blütenhonig, Wärme mit einer schönen Prise Bitterkeit. Und dann ist da auch noch die Basis, die sich ganz früh ins Spiel bringt und die Zitrusaromen der Kopfnote ebenso zügelt wie das blumige Herz: grüner Tee.
Aber ist das wirklich nur Tee? Ich zweifle. Zur Vergewisserung habe ich sämtliche Teedosendeckel in der Küche gelüpft (es sind etliche, und der Inhalt duftet vielfältig, teilweise überraschend kräftig): Ja, ich bin sicher, im Flakon steckt noch mehr. Aber was? Der Ausklang des Duftes – wieder im gemächlichen Tee-Takt, ein mitteleuropäisch langer Sonnenuntergang, der Kupfer allmählich zu tiefem, weichem Dunkelrot werden und dann in bläuliche Unendlichkeit verblassen lässt – erinnert mich ein wenig an die schönen Sandelholznoten im Finale des Creed’schen "Silver Mountain Water". Die sind dort aber viel erdiger, kompakter, derber als hier. Im Grünteewässerchen hat der Parfümeur das Kunststück vollbracht, der Basis des Duftes Bodenhaftung zu verleihen und sie dennoch schweben zu lassen, seidenfein, gläsern irisierend, leuchtend bittersüß.
Rätsel, Märchen, Zauberei…
Lange tönt sie, diese geheimnisvolle Duftmusik (fernes Streichquartett? – nein, auch Englischhorn und Klarinette sind dabei – und was man hört, ist "klassisch" mit Witz und Pfiff, nicht dramatisch-expressiv – eher Mozart als Beethoven): Beim ersten Test, mit EdP-gewohnter Vorsicht dosiert, hat sie mich fast zwölf Stunden lang begleitet. Beim zweiten Test war ich ein wenig großzügiger, da beginnt jetzt, nach etwa neun Stunden, gerade das Finale – für ein Eau de Toilette ist die Haltbarkeit erstaunlich.
Der Duft wird meiner werden, ich finde ihn traumschön. Warum er trotzdem "nur" 90 Prozent kriegt? Weil ich ihn zwar als "Tagesduft" einstufe, aber nicht als Duft für alle Tage, wegen seiner ungewöhnlich ruhigen Rhythmik, auf die man sich einlassen muss. Und weil ich ihn erstmal richtig kennenlernen möchte. (Dann könnte ich bei Bedarf ja noch noch nachlegen in Sachen Punktzahl…)
_______
Update 15.03.2012: Meine Zuneigung zum Grünteewässerchen ist ungebrochen. Aber mittlerweile habe ich so viele Düfte kennengelernt, die ich ebenso gut oder noch besser finde, dass ich um der Maßstäbe willen die Bewertung korrigiere: 80 Prozent.
Was das zu tun hat mit "Eau Parfumée au Thé Vert Extrème"? Nichts – denn obwohl im Flakon garantiert mehr drin ist, als draufsteht, Veilchen sind nicht mal von ferne dran vorbeigelaufen. Alles – denn der Duft führt sich ähnlich rätselhaft auf wie der von Veilchenblüten: Scheinbar längst verflogen, klingt er plötzlich aus dem Nirgendwo wieder auf, er kommt und geht, ein eigenwillig schwebender Luftikus.
Es beginnt mit hellgrünem Brizzeln, eine Brise fährt durch junges Mailaub. Die Sonne steht noch tief, macht lange Schatten; der Morgen ist kühl, doch er birgt das Versprechen eines warmen, heiteren Tages. Schnell ziehende Wolken am blauen Himmel verändern ständig das Licht, und mit ihm wandelt sich die Farbe des Duftes: Rasch wird er grüngold. Eine zarte, aber schimmernde Tönung, wie edler Seidenchiffon: durchsichtig und zugleich lebhaft gefärbt; hauchleicht, von jedem Windchen neu geformt. Dennoch warm umhüllend, stabil, sogar Stürmen gewachsen: Seide, mag sie noch so spinnwebdünn sein, darf man nicht unterschätzen, sie hält härtesten Lasten stand (kein Zufall, dass Schneider sie als Nähfaden nutzen).
Die weitere Duftentwicklung vollzieht sich im Zeitlupentempo. Als hätte der Parfümeur, der hier als Leitmotiv grünen Tee wählte, dessen lange, flache Wirkungs-Kurve zum Vorbild genommen für den Rhythmus des Duftes. Langsam, ganz langsam mischt sich Kupfer ins Grüngold. Kupfer? Ja. Da sind zwar süßes Jasminweiß und der typische Rose-Rouge-Duft samtig-dunkelroter, fast schwarzer Rosen in der Herznote. Doch daraus wird kein marzipaniges Confiserie-Rosa. Denn gut dosierte Gewürzaromen dunkeln die Süße herb ab, Kastanien- statt Blütenhonig, Wärme mit einer schönen Prise Bitterkeit. Und dann ist da auch noch die Basis, die sich ganz früh ins Spiel bringt und die Zitrusaromen der Kopfnote ebenso zügelt wie das blumige Herz: grüner Tee.
Aber ist das wirklich nur Tee? Ich zweifle. Zur Vergewisserung habe ich sämtliche Teedosendeckel in der Küche gelüpft (es sind etliche, und der Inhalt duftet vielfältig, teilweise überraschend kräftig): Ja, ich bin sicher, im Flakon steckt noch mehr. Aber was? Der Ausklang des Duftes – wieder im gemächlichen Tee-Takt, ein mitteleuropäisch langer Sonnenuntergang, der Kupfer allmählich zu tiefem, weichem Dunkelrot werden und dann in bläuliche Unendlichkeit verblassen lässt – erinnert mich ein wenig an die schönen Sandelholznoten im Finale des Creed’schen "Silver Mountain Water". Die sind dort aber viel erdiger, kompakter, derber als hier. Im Grünteewässerchen hat der Parfümeur das Kunststück vollbracht, der Basis des Duftes Bodenhaftung zu verleihen und sie dennoch schweben zu lassen, seidenfein, gläsern irisierend, leuchtend bittersüß.
Rätsel, Märchen, Zauberei…
Lange tönt sie, diese geheimnisvolle Duftmusik (fernes Streichquartett? – nein, auch Englischhorn und Klarinette sind dabei – und was man hört, ist "klassisch" mit Witz und Pfiff, nicht dramatisch-expressiv – eher Mozart als Beethoven): Beim ersten Test, mit EdP-gewohnter Vorsicht dosiert, hat sie mich fast zwölf Stunden lang begleitet. Beim zweiten Test war ich ein wenig großzügiger, da beginnt jetzt, nach etwa neun Stunden, gerade das Finale – für ein Eau de Toilette ist die Haltbarkeit erstaunlich.
Der Duft wird meiner werden, ich finde ihn traumschön. Warum er trotzdem "nur" 90 Prozent kriegt? Weil ich ihn zwar als "Tagesduft" einstufe, aber nicht als Duft für alle Tage, wegen seiner ungewöhnlich ruhigen Rhythmik, auf die man sich einlassen muss. Und weil ich ihn erstmal richtig kennenlernen möchte. (Dann könnte ich bei Bedarf ja noch noch nachlegen in Sachen Punktzahl…)
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Update 15.03.2012: Meine Zuneigung zum Grünteewässerchen ist ungebrochen. Aber mittlerweile habe ich so viele Düfte kennengelernt, die ich ebenso gut oder noch besser finde, dass ich um der Maßstäbe willen die Bewertung korrigiere: 80 Prozent.
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