Anaïs Anaïs 1978

Antoine
14.03.2010 - 17:26 Uhr
10
Duft

Weichspüler


An Anais Anais kam man Anfang der 80er Jahre nicht vorbei. Auch wer diesen Duft nicht trug, begegnete Anais Anais ständig, denn ganz viele trugen es damals; es war außerordentlich beliebt und verbreitet. Deshalb ist Anais Anais für mich in erster Linie ein Stück Zeitgeist, wie Karottenhosen oder frühe Nena-Songs. Die Frage, ob ich Anais Anais gut oder schlecht finde, ob ich es mag oder nicht mag, stellt sich daher für mich, wenn überhaupt, erst nachrangig, denn es gehört für mich einfach zu dieser Zeit, auch wenn ich es damals selbst gar nicht getragen habe.

Anais Anais duftet romantisch, niedlich, wie weichgezeichnet, nach Blüten, angeblich vorwiegend nach weißen Blüten, aber mit einem verhalten schwülen Unterton. Anais Anais suggeriert Unschuld, Reinheit, Unberührtheit, verbunden mit einer Andeutung von Sinnlichkeit. Der Material des Flakons imitiert weißes Porzellan – ungewöhnlich damals, als Alltagsgegenstände oft aus buntem Plastik waren und „modern“ aussehen sollten. Die Werbekampagne zeigte junge, dezent miteinander schmusende Mädchen in nostalgisch fließenden weißen Gewändern, fotografiert in der damals beliebten Weichzeichner-Optik à la David Hamilton. Das ließ Raum für erotische Fantasie und wirkte trotzdem quietsch-sauber. Zusammen mit dem Duft ergab sich ein stimmiges Gesamtkonzept, das offenbar den Nerv einer breiten Schicht von Käuferinnen aller Altersstufen traf, denn Anais Anais war keineswegs nur bei ganz jungen Frauen beliebt.

Der Duft von Anais Anais hat mich immer an Lenor-Weichspüler erinnert, das klassische Lenor mit der Aprilfrische – ein anderes Lenor gab es damals Anfang der 80er nicht; die Zeiten der unbegrenzten Weichspülervielfalt waren noch nicht angebrochen. Vermutlich war es diese Überdosis von gefälliger Weichspüler-Duftromantik, verquickt mit harmlosen (homo-)erotischen Andeutungen, die den Erfolg von Anais Anais ausmachte. Anais Anais bildete eine Art olfaktorischen Gegenentwurf zu Emanzipation und Frauenbewegung. Im Grunde war es absurd. In Deutschland war es damals noch üblich, unverheiratete Frauen egal welchen Alters mit „Fräulein“ anzureden. Zugleich gab es eine Frauenbewegung, die unter anderem solche überkommenen Konventionen bekämpfte. Wer sich bei den Feministinnen engagierte, duftete wenn überhaupt nach Patchouli-Öl aus dem Indien-Laden. Aber das meistverkaufte Parfüm 1981 war Anais Anais mit dem romantischen Weichspülerduft und den Schmusejungfern in der Werbung.

Die breite Masse liebte die weichgezeichnete Duftromantik; Anais Anais löste einen regelrechten Boom der sogenannten „weißen Düfte“ aus: Düfte, die, so zumindest das gemeinsame Marketing-Konzept, vorwiegend nach weißen Blüten dufteten und quer durch alle Altersschichten zu Schulterpolstern und Gelfrisur getragen wurden. Viele Parfümhersteller schwammen Anfang bis Mitte der 80er Jahre auf der Erfolgswelle mit; andere besonders beliebte Vertreter dieser Richtung waren „Laura Biagotti“, Yves Rochers „Magnolia“, „Le Jardin“ von Factor, oder im Drogerie-Segment „White Flowers“ von Astor. Die meisten dieser Düfte sind längst wieder vom Markt verschwunden. Anais Anais ist aber als Klassiker noch immer in den Regalen der Parfümerien zu finden.
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