Le 3ᵉ Homme 1985 Eau de Toilette

Seelanne
10.03.2017 - 16:31 Uhr
33
Top Rezension
10
Flakon
7.5
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft

Katzenhaftes

I. Das Jahr 1935: Ein Wiener in England und eine Katze erscheint

Der Wiener Erwin Schrödinger, Professor in Cambridge, war ein kluger Mann: Als Mitbegründer der Quantenphysik befasste er sich mit dem, was die Welt im Innersten zusammenhält: mit den Atomen.

Erkenntnisse über Protonen, Neutronen und wie die Teilchen alle heißen, sind schwierig, verhalten sie sich doch wie pubertierende Teenager: Man weiß irgendwie nie, wo sie exakt sind, was sie machen und insbesondere, warum. Lediglich Wahrscheinlichkeiten lassen sich bestimmen. Sie verhalten sich einfach anders, als die übrige physikalische Welt und stellen Gesetzmäßigkeiten auf den Kopf: ja, sie können sogar an zwei Orten gleichzeitig sein, so vermutete Schrödinger. Und das Schlimmste: Wenn man als Wissenschaftler im Experiment als treusorgende Mutter ins Kinderzimmer hineinblickt, setzen die Teilchen ihre Unschuldsmiene auf, als wenn sie kein Wässerchen trüben können. Kaum macht man aber die Tür wieder zu, geht das Chaos wieder los.

Schrödinger konnte zwar dies Chaos trotzdem in Gleichungen fassen, aber recht wohl war ihm dabei nie, weil die Gesetze der Quantenphysik zu absolut absurden Schlussfolgerungen führen, wenn man sie von der atomaren Dimension auf Dinge des Alltags überträgt, wo die klassische Physik gilt. Insbesondere: was passiert, wenn beide System sich berühren ?

Und so rief Schrödinger in einem Gedankenexperiment eine Katze auf den Plan, um dieses Paradoxon zu beschreiben: In diesem Gedankenspiel koppelt er den Zerfall eines Atoms an ein normales "Objekt": eine Katze. Die Katze wird gedanklich in eine Box gesperrt zusammen mit einem radioaktiven Präparat. Beim Zerfall des Atoms wird ein Mechanismus ausgelöst, der eine Giftampulle zertrümmert, sodass die Katze stirbt. Im Verlauf einer Stunde bspw. kann eines dieser Atome zerfallen, vielleicht jedoch auch nicht, es ist nicht vorhersehbar. Nach der alltäglichen Physik wäre nun alles klar: Nach einer Stunde ist die Katze entweder tot oder lebendig. Nach den Erkenntnissen der Quantentheorie aber ist die Katze weder das Eine noch das Andere, sondern beides, sie ist „sowohl-als-auch“, gleichzeitig tot als auch lebendig, gewissermaßen in einem Überlagerungszustand.

II. Das Jahr 1948: Ein Engländer in Wien und wieder erscheint eine Katze

Regisseur Carol Reed war sicherlich nicht so klug wie E. Schrödinger, aber er verstand viel von guten Geschichten. 1948 bekam er den Auftrag, mit dem Schriftsteller G. Greene dessen Thriller fürs Kino zu inszenieren: „Der dritte Mann“.

Reed verlegt die Story um einen Penicillin-Schwarzmarkt-Schieber ins zerstörte Nachkriegs-Wien. Hier entdeckt er auch zufällig einen einheimischen Zither–Spieler namens Anton Karas: er läßt ihn stundenlang sich fast die Finger blutig spielen, bis er ein Lied hört, was ihn fasziniert und er beschließt, den ganzen Film ausschließlich von Karas vertonen zu lassen. Für die Rolle des Bösewichts wird Orson Welles für eine horrende Gage engagiert, dieser bedankt sich mit seinem improvisierten und seither berühmten „Kuckucksuhr“-Kurzmonolog, der überhaupt nicht im Script stand.

Dabei vergeht im Film fast eine Stunde, bis Welles überhaupt auftaucht: Harry Lime alias O. Welles, wird für tot gehalten, bis einem Freund aus Kinderzeiten allmählich schwant, dass er vielleicht doch noch am Leben ist: Mit jedem Zweifel wird Lime gewissermaßen immer mehr zu Schrödingers Katze, bei dem man nicht weiß, ob er denn nun tot oder lebendig ist, bis dem Freund auf einem Spaziergang durchs nächtliche Wien tatsächlich eine Katze auffällt, die Lime - in einem Hauseingang stehend - "verrät".

III. Das Jahr 1985: Das Haus Caron möchte nach Pour Homme und Yatagan seinen dritten Herrenduft lancieren:

Ob Akiko Kamei und Richard Fraysse, Parfumeure des Hauses Caron, Katzen mögen, ist nicht bekannt. Was sie und der damalige Chef von Caron aber offenbar sehr gerne mochten, war „Der dritte Mann“ und sein Thema: die Unklarheit, das „sowohl-als-auch“, bei dem man nie recht weiß, was tatsächlich der Fall ist.

Dabei beginnt der Duft – wie der Film – noch recht überschaubar: Der Auftakt ist eine würzige Frische, wie sie noch in vielen Fougeres zu finden ist: Eine recht gezügelte Zitrone, die jederzeit durch eine dominantere Bergamotte abgedämpft wird, während ein leicht-süßer Mandarinen-Akzent alle potentiellen zitrischen Spitzen aus einer fruchtigen Mitte heraus gefangen hält, selbst aber zu keinem Zeitpunkt überschwänglich wird.

Dieser Duft hat jedoch eine große, pulsierende Seele und sodenn beginnen unmittelbar anschließend bereits die Dinge des Herzens die Komposition zu übernehmen: Lavendel und Koriander brechen als echte Frühaufsteher fast schon übermütig in die Kopfnote ein, wobei eine forsche Gewürznelke die anfänglichen frisch-fruchtigen Fäden recht zügig ablöst und danach flankierend als herbe Note weiterführt.

Und damit nicht genug: nach und nach entwickelt sich ein zusätzliches und deutlich zu vernehmendes florales Bouquet: Jasmin scheint im Spiel zu sein, zuweilen meint man auch, eine Brise Patchouli sei mit von der Partie, definitiv aber Moschus, da sich eine leichte balsamische Süße und Cremigkeit dazugesellt, die nicht von der fruchtigen Mandarine stammen kann.

Manche Düfte sind wie Katzen, man weiß nie ganz genau, woran man bei ihnen ist: Der Duft hat in dieser Phase bereits weit weniger mit einem klassischen Fougere gemein, als vielmehr mit den unergründlichen Augen einer Katze, die nie ganz preisgeben, was hinter ihnen gedacht oder geträumt wird, changierende Diamanten, die je nach Gemütslage erlebnisreich funkeln oder verschlafen-verhalten blinzeln.

Dieser Eindruck wird umso stärker, als dass auch das Vetiver als Hauptelement der Basis schon zeitig eifersüchtig seine Hände zum Herzen hin ausstreckt, es zu halten bekommt und dann nach Stunden auf einem warmen Moos-Bett zu Ende führt.

In seiner changierenden Reichhaltigkeit ist Le 3e Homme ein einziges "sowohl-als-auch", eine Katze des Schrödingers, ein Orson Welles im Schatten, ein Gespenst, welches in den Wiener Katakomben immer wieder neue Wege und Wendungen sucht und findet, um mal hier oder dort zum Vorschein zu kommen.

In seiner Gesamtheit ist der Duft dabei wirklich klassisch, aber zugleich auch dandyhaft, versnobt, ohne jedoch eine gewisse konservative Seriosität zu leugnen. Cary Grant kann ihn tragen, aber auch Oscar Wilde oder ein David Bowie.

Historisch steht der Duft ohnehin zwischen den Stühlen: Für 1985 ist er überraschend distinguiert und steht im Kontrast zu den sonstigen Powerhouse-Kreationen der 80iger-Jahre. Und auch hausintern rangiert Le 3e Homme zwischen den damaligen Herrendüften von Caron: Nicht so unverschämt wie "Yatagan", aber reicher und lebhafter als "Pour Homme".

IV. Das Jahr 2017:
Spätere Nobelpreisträger haben zwischenzeitlich bewiesen, dass Schrödinger Recht hatte und die Katze tatsächlich „sowohl-als-auch“, also tot und lebendig gleichzeitig ist, der dritte Mann wurde zwischenzeitlich zum besten britischen Film aller Zeiten gekürt und läuft bis heute 3 x wöchentlich im Wiener Burg-Kino. Und auch Le 3e Homme hat die Zeit überstanden und findet sich bis heute in allen guten Parfümerien oder Online.

Man muss diesen Duft nicht zwingend mögen, genauso wenig wie man Quantenphysik oder Kino mögen muss: Aber ohne Zweifel ist Le 3e Homme einer dieser „One-of-a-kind“-Düfte, ein Meisterwerk, zeitlos irgendwo zwischen Avantgarde und Klassik.

Und die Katzen ? Wer Düfte liebt, liebt Katzen. Sowieso.
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