15.12.2020 - 06:31 Uhr
Trollo
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Trollo
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"Liebe keinen außer mir!" - "N'aimez que moi!"
Paris, 1916.
Auf dem Bahnhof herrscht dichtes Gedränge. Junge Paare stehen dicht vor den offenen Türen eines langen Zuges beisammen, verabschieden sich mit leisen Worten. Auf dem Bahnsteig ganz hinten fährt ein langer Zug ein. Die Türen öffnen sich, heraus steigen langsam und müde viele Männer in schmutzigen Uniformen. Müde Augen schauen ins Leere. Aus den Schiebetüren heben Soldaten andere Männer auf Tragen heraus. Ihre Rufe und ihr Stöhnen dringt durch das leise Flüstern auf dem anderen Bahnsteig. Die Paare halten inne und schauen hinüber. Schnell blicken sie wieder weg und heften ihre Blicke fest aufeinander. Ein schriller Pfiff ertönt.
Bevor er in den Zug einsteigt, drückt er ihr ein kleines Paket in die Hand, das in Paketpapier eingewickelt ist und flüstert: „N’aimez que moi!“ - "Liebe keinen außer mir!" Die Türen schließen sich, der Zug rollt langsam aus dem Bahnhof heraus. Lange steht sie da, das kleine Päckchen in der Hand und schaut dem Zug hinterher. Schließlich blickt sie auf das kleine Paket und wickelt langsam das Packpapier ab: „N’aimez que moi“.
Machthungrige Männer hatten Europa in einen Krieg hineingetrieben, der für Jahrzehnte in seiner Grausamkeit seinesgleichen suchen sollte, der die ganze Welt schließlich erfasste und Millionen von Menschenleben kosten sollte. Frankreich befand sich 1916 in einem Stellungskrieg gegen das kaiserliche Deutschland, der großenteils als Materialschlacht vor allem vor Verdun ausgetragen wurde ist: Züge brachten Tote und Verwundete zurück, gesunde junge Männer wurden mit ihnen zum Kampf gegen "den Feind" – junge Männer einer anderen Nation – an die Fronten in ihre Stellungen verbracht, die Maschinerie der Industrienationen belieferte den Höllenschlund zuverlässig mit Nachschub an Menschen und Munition. Die Männer in den Gräben mussten permanentes ohrenbetäubendes Bombardement und Gasangriffe aushalten; nicht wenige von Ihnen trugen irreparable psychische Schäden davon, so sie denn der Hölle entkamen.
In dieser bedrückenden Situation schuf Ernest Daltroff einen Duft, zum Trost und als Geschenk für die zurückbleibenden Bräute dieser jungen Soldaten: „N’aimez que moi“.
Den opulenten Auftakt bildet ein berückend schönes Bouquet aus zartem durchdringenden Flieder und durchdrungen von dunkelroten Rosen, edel und mit ihrem Duft den Garten beherrschend: Flieder steht für den Mai, einen Monat, in dem die Bäume und Sträucher ausgeschlagen sind und Hoffnung auf das Ende des Winters machen. Ein Fliederbusch ist über und über mit Blüten bedeckt, deren süßlicher Duft schon von weitem wahrzunehmen ist. Der Mai ist traditionell der Monat für die Verliebtheit, die junge Liebe, die im Laufe des Sommers reift. Die Rose tritt als Sommerblume entsprechend dem Flieder an die Seite. So typisch unterstützt die etwas pudrige Iris als Blume der Beständigkeit und Treue die beiden ausladenden Duftschönheiten. Der Geruch von Zeder durchdringt dieses puderzarte und zugleich ausdrucksstarke Trio und erdet sie, stärkt sie, gibt ihm Tiefe und Ruhe. und auch die Zeder, Zeichen für Beständigkeit und Stärke. Sandelholz und Vanille gelten nicht nur als kostbar, sondern auch aphrodisierend, in keinem Parfum wie diesem mit der Liebe als Thema sollten sie fehlen. Sie fügen dem Bouquet weiche und sanfte Süße hinzu und runden ihn so ab, ohne dass die Vanille wie in heutigen Düften überbordend wirken würde. Die klassische Caron'sche Mousse de Saxe aus Vetiver und Eichenmoos sowie Moschus geben dem Duft im weiteren Verlauf schließlich einen düsteren, gar schwermütigen Verlauf, der wie die Gefühle der Menschen "ewig" anhält. Die dunkle Basis in Verbindung mit der immer noch vorherrschenden blütigen vanillesandelholzigen Süße drückt als regelrecht olfaktorisches Oxymoron ein Paradoxon der Liebe zwischen Leidenschaft und Verlust aus - erneut eine Verbeugung Daltroffs vor dem Opfer dieser jungen Menschen.
Daltroffs Schöpfung „N’aimez que moi“ verwebt Hoffnung und Verzweiflung der Menschen jener Zeit in ein olfaktorisches Meisterwerk. Der Duft lebt und zehrt von dem Widerspruch hell (Flieder, Rose) und dunkel (Zeder, Mousse de Saxe), romantische Liebe und Verlust, und spiegelt so letztlich auch die Gedanken und Gefühle der jungen Frauen, die ihre Geliebten und Ehemänner sehenden Auges in einen grausamen Krieg ziehen lassen müssen, sich erinnernd an die wunderbare Liebe, wehmütig wegen der verlorenen Zeit und sorgenvoll in die Zukunft blickend. „N’aimez que moi“ hat eine zutiefst melancholische Seite: Er ist der Beitrag eines begnadeten Parfumeurs für sein Land, für die Menschen seiner Heimat, in einem Krieg, der keinen echten Sieger hervorbringen sollte. Wie beispielsweise "Tabac Blond" oder "En Avion" ist "N'aimez que moi" ein thematischer Duft, jedoch ein im Vergleich zu den genannten Caron'schen Ikonen eher wenig bekanntes frühes Meisterwerk Ernest Daltroffs.
Auf dem Bahnhof herrscht dichtes Gedränge. Junge Paare stehen dicht vor den offenen Türen eines langen Zuges beisammen, verabschieden sich mit leisen Worten. Auf dem Bahnsteig ganz hinten fährt ein langer Zug ein. Die Türen öffnen sich, heraus steigen langsam und müde viele Männer in schmutzigen Uniformen. Müde Augen schauen ins Leere. Aus den Schiebetüren heben Soldaten andere Männer auf Tragen heraus. Ihre Rufe und ihr Stöhnen dringt durch das leise Flüstern auf dem anderen Bahnsteig. Die Paare halten inne und schauen hinüber. Schnell blicken sie wieder weg und heften ihre Blicke fest aufeinander. Ein schriller Pfiff ertönt.
Bevor er in den Zug einsteigt, drückt er ihr ein kleines Paket in die Hand, das in Paketpapier eingewickelt ist und flüstert: „N’aimez que moi!“ - "Liebe keinen außer mir!" Die Türen schließen sich, der Zug rollt langsam aus dem Bahnhof heraus. Lange steht sie da, das kleine Päckchen in der Hand und schaut dem Zug hinterher. Schließlich blickt sie auf das kleine Paket und wickelt langsam das Packpapier ab: „N’aimez que moi“.
Machthungrige Männer hatten Europa in einen Krieg hineingetrieben, der für Jahrzehnte in seiner Grausamkeit seinesgleichen suchen sollte, der die ganze Welt schließlich erfasste und Millionen von Menschenleben kosten sollte. Frankreich befand sich 1916 in einem Stellungskrieg gegen das kaiserliche Deutschland, der großenteils als Materialschlacht vor allem vor Verdun ausgetragen wurde ist: Züge brachten Tote und Verwundete zurück, gesunde junge Männer wurden mit ihnen zum Kampf gegen "den Feind" – junge Männer einer anderen Nation – an die Fronten in ihre Stellungen verbracht, die Maschinerie der Industrienationen belieferte den Höllenschlund zuverlässig mit Nachschub an Menschen und Munition. Die Männer in den Gräben mussten permanentes ohrenbetäubendes Bombardement und Gasangriffe aushalten; nicht wenige von Ihnen trugen irreparable psychische Schäden davon, so sie denn der Hölle entkamen.
In dieser bedrückenden Situation schuf Ernest Daltroff einen Duft, zum Trost und als Geschenk für die zurückbleibenden Bräute dieser jungen Soldaten: „N’aimez que moi“.
Den opulenten Auftakt bildet ein berückend schönes Bouquet aus zartem durchdringenden Flieder und durchdrungen von dunkelroten Rosen, edel und mit ihrem Duft den Garten beherrschend: Flieder steht für den Mai, einen Monat, in dem die Bäume und Sträucher ausgeschlagen sind und Hoffnung auf das Ende des Winters machen. Ein Fliederbusch ist über und über mit Blüten bedeckt, deren süßlicher Duft schon von weitem wahrzunehmen ist. Der Mai ist traditionell der Monat für die Verliebtheit, die junge Liebe, die im Laufe des Sommers reift. Die Rose tritt als Sommerblume entsprechend dem Flieder an die Seite. So typisch unterstützt die etwas pudrige Iris als Blume der Beständigkeit und Treue die beiden ausladenden Duftschönheiten. Der Geruch von Zeder durchdringt dieses puderzarte und zugleich ausdrucksstarke Trio und erdet sie, stärkt sie, gibt ihm Tiefe und Ruhe. und auch die Zeder, Zeichen für Beständigkeit und Stärke. Sandelholz und Vanille gelten nicht nur als kostbar, sondern auch aphrodisierend, in keinem Parfum wie diesem mit der Liebe als Thema sollten sie fehlen. Sie fügen dem Bouquet weiche und sanfte Süße hinzu und runden ihn so ab, ohne dass die Vanille wie in heutigen Düften überbordend wirken würde. Die klassische Caron'sche Mousse de Saxe aus Vetiver und Eichenmoos sowie Moschus geben dem Duft im weiteren Verlauf schließlich einen düsteren, gar schwermütigen Verlauf, der wie die Gefühle der Menschen "ewig" anhält. Die dunkle Basis in Verbindung mit der immer noch vorherrschenden blütigen vanillesandelholzigen Süße drückt als regelrecht olfaktorisches Oxymoron ein Paradoxon der Liebe zwischen Leidenschaft und Verlust aus - erneut eine Verbeugung Daltroffs vor dem Opfer dieser jungen Menschen.
Daltroffs Schöpfung „N’aimez que moi“ verwebt Hoffnung und Verzweiflung der Menschen jener Zeit in ein olfaktorisches Meisterwerk. Der Duft lebt und zehrt von dem Widerspruch hell (Flieder, Rose) und dunkel (Zeder, Mousse de Saxe), romantische Liebe und Verlust, und spiegelt so letztlich auch die Gedanken und Gefühle der jungen Frauen, die ihre Geliebten und Ehemänner sehenden Auges in einen grausamen Krieg ziehen lassen müssen, sich erinnernd an die wunderbare Liebe, wehmütig wegen der verlorenen Zeit und sorgenvoll in die Zukunft blickend. „N’aimez que moi“ hat eine zutiefst melancholische Seite: Er ist der Beitrag eines begnadeten Parfumeurs für sein Land, für die Menschen seiner Heimat, in einem Krieg, der keinen echten Sieger hervorbringen sollte. Wie beispielsweise "Tabac Blond" oder "En Avion" ist "N'aimez que moi" ein thematischer Duft, jedoch ein im Vergleich zu den genannten Caron'schen Ikonen eher wenig bekanntes frühes Meisterwerk Ernest Daltroffs.
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