31.08.2019 - 08:32 Uhr
Yatagan
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Yatagan
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Ein Erbe: unser Familienduft
Die Überschrift ist vielleicht missverständlich, denn der Duft ist mitnichten ein Favorit unserer Familie, sondern eigentlich fast das Gegenteil, - und das kam so: Ich hatte schon immer ein ausgeprägtes Faible für Klassiker und deshalb schenkte ich meiner Mutter vor vielen Jahren diesen Duft, der aus dem fernen und düsteren Jahr 1933 stammt und keinesfalls mit dem neueren, völlig anderen Fleur de Rocaille (ohne Plural-"s" hinter der Blume) aus dem Jahre 1993 verwechselt werden darf. Tatsächlich gefiel meiner Mutter der Duft nicht sonderlich, was ich erst viel später erfuhr, und er fand sich bald in der Sammlung meiner Großmutter, von der er ziemlich sicher auch nicht allzu häufig benutzt wurde, wenigstens erinnere ich mich nicht daran, dass sie ihn trug (sie bevorzugte zu dieser Zeit Scherrer No. 2). Als meine Großmutter starb, wanderten ihre Düfte (und das finde ich angemessen und rührend schön) in die Sammlungen ihrer Tochter und Schwiegertochter (Scherrer No. 2 und Penhalgon's English Fern erbten meine Tante, die anderen Düfte meine Mutter). Irgendwie fand sich da auch Fleurs de Rocaille wieder und meine Mutter gestand mir bei einem Besuch, dass ihr der Duft zu seifig sei. Da sie keine Verwendung für ihn hatte, nahm ich ihn mit. Zu Hause stand er eine Weile wie Aschenputtel abseits neben den anderen Düften meiner Frau, die ihn auch nicht recht zu schätzen wusste. Da ich in den letzten Wochen sehr viele aldehydlastige Düfte, seifige Düfte und Chypre-Düfte testete, passte Fleurs de Rocaille gut in alle Schemata und ich zog ihn hervor. Dabei fiel mir auf, dass ich selbst ihn seinerzeit gut bewertet hatte (8.0). Aschenputtel ist ein hübsches Mädchen, auch wenn sie aus einer anderen Zeit stammt. Offenbar bin ich als männlicher Nachkomme in unserer Familie der einzige, der diesen Damen(?)-Duft zu schätzen weiß und ihn auch als Mann gerne trage. Nach einem längeren Test bewerte ich den Duft nun noch höher und freue mich über wunderbare Aldehydblüten mit deutlich seifigen Akzenten. Aldehyde sind zwar in der Duftpyramide gar nicht angegeben, wurden aber auch schon von anderen Tester*innen bemerkt und sind unverkennbar von der Kopf- bis zur Herznote vorhanden. In dieser Phase hat Fleurs de Rocaile ganz offenbar eine starke Ähnlichkeit mit Chanel No. 5. Auch hier ist zwar eine Chypre-Textur erkennbar, denn der Duft enthält Bergamotte, Rose, Jasmin und Moschus; für den typischen Chypre-Dreiklang fehlt aber bei beiden Düften eine starke Dosis Eichenmoos (vermutlich enthalten, aber deutlich sparsamer als beim phänotypischen Chypre). Einen besonderen Reiz der Chypredüfte macht jedoch gerade ihre wandelbare Struktur aus - und Eichenmoos kann durch Patchouli, Vetiver, Sandelholz (Chanel No. 5) und Moschus ersetzt werden. Das ist auch hier der Fall und so gibt es offenbar doch eine Verwandtschaft mit den Chypres. Im Gegensatz zu Chanel No. 5 flirren die Aldehyde bei den "Steinblumen" nicht wie die Lichter in einer klaren Sternennacht, sondern liegen hinter einer Wolkendecke. Das ist übrigens ebenso schön.
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