Destillierte man die seit einigen Wochen in den einschlägigen Internetforen und Blogs auftauchenden geradezu hymnischen Beschreibungen dieses Duftes, so bekäme man vielleicht folgende begriffliche Quintessenz:
-Hommage an Edmond Roudnitska (dessen Credo folgend, mit kurzen Formeln höchstmögliche Raffinesse zu kreieren)
-Heu-artig duftender Mate-Tee
-kombiniert mit einem animalischen Akkord, der an eine Pferdemähne erinnern soll
-leichte Chypre-Basis mit ledriger Nuance.
Stante pede, da ich ahnte, dass mir dies Werk gefallen könnte, eilte ich zum Duft-Händler meines Vertrauens (nein, kein Cartier-Geschäft, das gibt es hier zwar auch, aber die haben keine Ahnung von ihren Düften, sind ziemlich versnobt und unfreundlich) und ließ mir ‚L’Heure Fougueuse’ auf Tüchlein und Handrücken sprühen. Apropos Handrücken: man kann mir noch so oft erzählen, dass der Pulsbereich sich eher als der Handrücken zum Aufsprühen eines Duftes eigne, da er die Körperwärme besser transportiere und den Duft auf diese Weise schöner aufblühen ließe. Das mag ja sein, aber ich erlebe immer wieder, wie sich der Duft auf der Innenseite des Handgelenks zwar kräftiger entfaltet, aber auch umso schneller entwickelt. Da ich aber den Duft in all seinen Phasen kennen lernen und nachspüren möchte, ist mir die ‚Slow-Motion’ mit verminderter Abstrahlung auf dem Handrücken allemal lieber, als der Schnelldurchlauf mit vollem Volumen auf dem Puls (abgesehen davon lässt sich ein Handrücken unauffälliger und beiläufiger zum wiederholten Schnuppern an die Nase führen, als der Innenarm).
Doch zurück zum Duft: nachdem also der Handrücken beduftet wurde und nicht - wie seitens der Verkäuferin angemahnt - der Pulsbereich, bedankte ich mich artig und schnupperte die restlichen Stunden des Tages an meiner Hand und jenem Tüchlein.
Schon anderentags war ich wieder vorstellig, nicht ohne mir zuvor innerlich den Schwur abgerungen zu haben, dass dies auch ganz bestimmt das letzte Parfum für eine lange, eine sehr lange Zeit sei – großes Ehrenwort! (Die Länge des Zeitraumes ließ ich wohlweislich offen...)
Nun, und wie´s halt so ist: das latent schlechte Gewissen verfliegt doch zumeinst recht schnell – oft schneller als der flüchtigste Duft - hat man das begehrte Objekt erst einmal in Händen, bzw. auf der Haut.
Und was da von dieser emporsteigt – wow! Ein unglaublich raffinierter, sehr feiner, frisch-herber und sonnig-heiterer Duft, mit süchtig machender animalischer Nuance.
Als Kind verbrachte ich ein paar Jahre lang über die Osterferien auf einem Reiterhof in der hessischen Wetterau. Ich hatte mich um zwei Pferde zu kümmern musste ihre Boxen sauber halten, sie striegeln, auf die Koppel führen und bekam Reitunterricht. Die Arbeit mit den Pferden machte mir Spaß und ich mochte die Tiere. Seither ist mir deren Geruch vertraut, der mir schon als Kind nicht unangenehm war. Ohne Sattel zu reiten lernten wir ebenso, und so hielt ich mich oftmals – in Ermangelung an Halt – an der Mähne der Pferde fest, um nicht seitwärts herunter zu rutschen. Gerade im Galopp, mit nach vorne gebeugtem Oberkörper, kam ich dem Hals und der Mähne der Pferde so nahe, dass mir deren Haar ins Gesicht flatterte und der Dunst der warmen Körper in die Nase stieg.
Nicht dass ‚L’Heure Fougueuse’ exakt diesen Duft einfinge, aber das Parfum nähert sich diesem natürlichen Dufterlebnis an, und idealisiert es in gewisser Weise: Pferdehaar und Pferdehaut, wie sie besser nicht duften können, und wie sie in der Wirklichkeit vermutlich nie duften würden. Doch die Assoziation ist da und funktioniert – zumindest bei mir - ausgezeichnet.
Man stelle sich diesen Pferd(haar)-Akkord aber nicht als die Sinne vernebelnd schweißig, urinös oder gar fäkal duftend vor. Nein, er ist so gar nicht dreckig und flirtet ebenso wenig mit einem erotisierenden, an der Schwelle zum Gestank sich entwickelnden Odeur. Im Gegenteil: er ist fein und anregend, dezent in Szene gesetzt, dabei gepflegt, ja sauber. Dieses Tier ist nicht nur ein frisch gestriegeltes, sonder obendrein auch ein stolzes und heißblütiges (frz.‚fougueuse’, auch für hitzig, ungestüm). Es riecht nicht, es duftet – ein (idealisiertes) Bild von einem Pferd.
Der zweite Hauptakkord des Duftes harmoniert ganz natürlich und selbstverständlich mit dessen animalischer Seite: das facettenreiche Aroma des Mate-Tees. Wer einmal an ihm gerochen hat, der kennt die frischen, grünen und strohigen Nuancen dieses Duftes. Und wie die Böden der Pferdeboxen mit Stroh ausgestreut sind und sich der Geruch der Pferde mit dem Duft des Strohs vermischt, so vereint sich das Aroma des Mate-Tees mit dem Pferdemähnen-Akkord auf ideale Weise. Der Duft des Mate-Tees sublimiert den Geruch von Heu und Stroh, wie der Mähnen-Akkord den des Pferdes.
Dieser prägnante Doppelakkord von etwas frischer Bergamotte eingeleitet, sowie von ein paar unscheinbaren Blüten begleitet, die allerdings dezent im Hintergrund bleiben. Zur Basis hin runden schließlich etwas Coumarin (leichter, Vanille-artig süßer Heu-Akkord), eine Spur grün-erdiges Vetiver, sowie ein Hauch bitter-würziger Chyprenoten den Duft ab. Gemeinsam mit dem animalischen Tee-Akkord in der Mitte des Gemäldes, vervollständigen sie das Bild eines heiteren und sonnigen Tages auf dem Land.
Mathilde Laurent erwähnte einmal in einem Interview, sie verwende den Duft des Mate-Tees gerne in Verbindung mit Eichen- und Baummoos, da sich hierdurch ein Chypre-Effekt erzielen ließe, der heute mit den klassischen Ingredienzien aufgrund strikter Limitierung des Eichenmoos-Anteiles nicht mehr erreichbar sei. Der Mate-Tee ersetzt sozusagen die fehlenden moosigen Anteile, was zwar wunderbar funktioniert, aber man erwarte dennoch nicht einen herb-bitteren Fond à la ‚Mitsouko’ oder ‚Diorella’ – das kann die Tee-Note nicht leisten. Und trotzdem verleiht sie mit ihren krautig-würzigen, bitteren Untertönen dem Duft ein delikates Chypre-Gepräge, das auch ein weiteres Werk der ‚Heure’-Serie auszeichnet: ‚La Treizierme Heure’.
Manche behaupten, beide Düfte besäßen eine gewisse Ähnlichkeit. Das mag sein, jedenfalls gibt es Schnittmengen: besagte Mate-Tee-Note (in ‚L´Heure Fougueuse prominenter) und deutliche Lederakzente (prononcierter in ‚La Treizieme Heure’). Darüber hinaus aber ist der eine Duft ein Essay über einen animalischen Akkord, der andere über rauchiges Leder. Sie sind sich nahe, aber keineswegs identisch – die Unterschiede werden deutlicher, je mehr man sich mit ihnen beschäftigt.
So ist ‚La Treizieme Heure’ auch eher große Oper, während ‚L´Heure Fougueuse’ ein kleines Orchesterwerk, mit minimaler Instrumentierung ist – ganz im Sinne Edmond Roudnitskas, oder seines Epigonen Jean-Claude Ellena. Letzterer hätte dieses Werk vielleicht auch komponieren können, doch vermutlich mit intellektuellerem, ja akademischerem Ansatz und mit letztlich verminderter sinnlicher Ausstrahlung (vielleicht wäre unter seinen Händen ein Duft unweit von ‚Poivre Samarcande’ entstanden - er erinnert ein wenig an ‚L´Heure Fougueuse’, ist aber steifer, trockener, eben akademischer).
Nun hat ihn aber glücklicherweise Mathilde Laurent komponiert, mit all ihrem Können in Sachen feinster Kalibrierung, und – begeistert wie ich bin – habe ich nichts, aber auch gar nichts an diesem Duft auszusetzen - außer vielleicht, dass ich ihn mir ein klein wenig haltbarer und kräftiger wünschte (im Gegensatz zu ‚La Treizieme Heure’ ist er ein EdT, kein EdP!). Aber wie Ellenas oder Roudnitskas beste Kreationen, hat auch dieses von Madame Laurent geschaffene Werk eher die Anmutung eines zarten Duftschleiers, als die lastende Schwere einer üppigen Duftrobe.
Dennoch hat ‚L´Heure Fougueuse’ eine deutliche, wenn auch nicht gerade offensive Präsenz, ist eher ein Hautduft, dafür aber ein denkbar schöner, und bleibt als solcher eine sehr lange Weile erkennbar.
In ähnlich klassischem Sinne wie ‚Tabac Blond’, ‚Jicky’ oder ‚Cuir de Russie’ ist der Duft weder Mann noch Frau gewidmet und ist für beide Geschlechter gleichermaßen geeignet – vorausgesetzt der, oder die Träger/in versteht es einen stilvollen und kultivierten Duft zu tragen (der irgendwie abgenutzte, ja fast schon ordinäre Begriff ‚Unisex’ mag hier einfach nicht passen).
Und während ich hier so sitze, mit ‚L´Heure Fougueuse’ auf den Arm gesprüht, und über diesen Duft schreibe, stelle ich fest, wie ungemein lustvoll es ist an ihm zu schnuppern – es entfaltet eine gewisse selbsterotische Komponente!
Sei´s drum: man muss auch sich selbst gefallen um anderen gefallen zu können!