Antaeus 1981 Eau de Toilette

Profumo
18.03.2010 - 12:58 Uhr
62
Top Rezension
9
Flakon
8
Sillage
10
Haltbarkeit
9
Duft

No 5 pour Homme

16 Jahre war ich alt, als der Duft auf den Markt kam. Ich trug damals mein erstes, von eigenem Geld erstandenes Parfum, ‚Armani pour Homme’, das mir die Verkäuferin in der Parfümerie – damals trugen sie noch weiße Kittel! – empfohlen hatte. Ich bestand nicht darauf anderes zu probieren, vermutlich traute ich mich nicht, sondern beugte mich ihrer Autorität, kaufte es und trug es tapfer bis es leer war. Dann war ich wieder zur Stelle. Diesmal zeigte ich auf einen Flakon der mir gefiel: ein schwarzer, eckiger. Die strenge Dame sagte, oh Chanel, das sei aber ziemlich teuer! Aha, ob ich es mal probieren dürfte. Aber bitte, und sprühte es mir auf. Wohin weiß ich nicht mehr, ist auch egal. Wie vom Donner gerührt stand ich da – das war ES, ich konnte gar nicht aufhören an mir zu schnuppern - und stammelte nur noch, ja, das nehm´ ich. Die Dame packte es umständlich ein, was vergeudete Liebesmüh war, denn kaum auf der Straße, riss ich die Packung auf und nebelte mich ordentlich ein. Ich war selig. Mein Parfum! Ich hatte mein Parfum gefunden! Im Überschwang der Jugend war ich mir sicher, mein Leben lang würde ich kein anderes Parfum mehr benutzen als dieses. Und wie ich es benutzte– verschwenderisch und im Übermaß.
Aber es waren die 80er, da trugen Jungs wie ich nicht nur kräftige und recht süße Düfte (Lagerfeld und Zino waren andere Beispiele), wir malten uns auch Kajal unter die Augen, lackierten uns manchen Fingernagel, blondierten die Haare, färbten sie anschließend grell-bunt und schufen gewagte Frisuren mit Tonnen von Haarspray – nun ja, die 80er eben.
Meinem Vorhaben immer Antaeus tragen zu wollen, blieb ich tatsächlich ziemlich lange treu, jedenfalls einige Jahre. Erst als Davidoff mit Cool Water auf den Markt kam, brach ich mein Gelöbnis. Den ‚neuern’ trug ich mit ebensolcher Begeisterung, allerdings nicht ganz so lange, denn wenige Jahre später kam Egoïste und schon war ich wieder bei Chanel gelandet....
Auch wenn ich Antaeus einige Zeit selten bis gar nicht getragen habe, ich hatte immer ein Fläschchen daheim im Regal. Bis heute. Ich kann mir auch gar nicht vorstellen keines zu haben, es muss irgendwie da sein, es gehört zu mir, zu meinem Leben. Dabei fand ich es zwischenzeitlich mal ganz abscheulich und klagte mich an, wie konntest du nur! Das war in der Zeit, als ich hinter den bekannten, gängigen Namen die vielen exklusiven und weniger exklusiven Nischenmarken entdeckte- das ganze mir bis dato unbekannte Universum der Parfumkunst! Ich war wie paralysiert! Kaufte ein Creed nach dem anderen, Etro, Mazzolari, Artisan, Maitre Parfumeur et Gantier usw. – die Hälfte, wenn nicht mehr, habe ich schon längst wieder per Ebay verkauft. Geblieben ist: Antaeus, meinem olfakrorischen Snobismus zum Trotz. Interessant war auch, je länger ich mich mit all den kleinen und kleinsten Nischenfirmen beschäftigt habe, desto eher konnte ich wieder anerkennen was die ‚Big Boys’ zuwege brachten – zumindest bis vor einigen Jahren. Denn die wirklich großen Parfumeure – J.P.Guerlain, Edmond Roudnitska, Henri Robert und Jacques Polge - waren ja auch bei den großen Häusern, bei Guerlain, Dior und Chanel.
Antaeus war Jacques Polges erstes Parfum für Chanel. Mitte der 70er Jahre konnte das Haus Chanel den Herren im Grunde überhaupt keinen Duft mehr anbieten. ‚Pour Monsieur’ war eingestellt, desgleichen das einstmals berühmte ‚Cuir de Russie’ – der Markt für Herrendüfte, allzu lange äußerst stiefmütterlich behandelt ja mitunter gänzlich missachtet, dieser nunmehr geradezu explodierende Markt verlangte unbedingt einen Herrenduft aus dem Hause Chanel. Man durfte nicht mehr länger abseits stehen, ein großer Wurf musste her. Da lag es nahe, den gigantischen Erfolg des firmeneigenen Schlachtrosses No 5 auf maskulinem Terrain wiederholen zu wollen.
Die Götter wurden bemüht, zumindest die noch einigermaßen erdverbundenen. Herkules war wohl ein wenig zu kraftstrotzend und übermächtig, also entschied man sich für dessen Antipoden Antaios, von Herkules allein dadurch besiegt, dass er ihn in die Luft zu heben vermochte – Antaios unbesiegbare Kräfte schwanden sobald er die Erde nicht mehr berührte. Kraftvoll und Erdverbunden – ein gutes Motto für Chanels neuen Duft. Und wie duften Götter (auch Kouros ist einer)? Nun, vielleicht: süß-balsamisch, nach Wachs und Honig, aromatisch nach Kräutern wie Salbei und Lavendel, von Blumen bekränzt und von edlem Holz umgeben - auch mal mehr, mal weniger nach erhitztem Körper, da beständig im Kampf stehend, mit Neben- bzw. Konkurrenzgöttern ringend.
Riecht so Antaeus? Auf papierenem Teststreifen, nein. Auf der Haut, vor allem schweißfeuchter, ja. Auf Papier oder auch Textil entfaltet der Duft vor allem ein Aroma von edlem, mit herbem Honig und (Bienen-) wachsigen Essenzen behandeltem Holz. Auf der Haut aber verschmilzt dieses Mahagoni-Aroma mit einer dezenten aber deutlich wahrnehmbaren animalischen Note, vermutlich Castoreum. Interssanterweise tritt diese Note nicht ganz so deutlich hervor wenn Frauen diesen Duft tragen. Dann entfalten sich vor allem die süß-balsamischen, holzigen Noten. Auf männlicher Haut entwickelt er sich jedoch in eine weitere Dimension – eine körperliche, leicht schweißige und daher prekäre. Kouros, Jules und Yatagan gehen da ein gutes Stück weiter und werden von vielen, gerade heute, auch folgerichtig als untragbar empfunden. ‚Mann’ riecht nicht mehr nach Mann, schon gar nicht wenn geduscht und parfümiert. Dann riecht er frisch. Das war nicht immer so. In den 70er und frühen 80er Jahren wurde verstärkt mit animalischen Essenzen experimentiert, die ein männliches Aroma kreieren sollten, in der Annahme, dass wir ein solches anziehend und verführerisch empfinden, und nicht abstoßend oder gar stinkend. Nun, Antaeus wagt sich da nicht sonderlich weit hervor, zumindest im Vergleich mit anderen Düften dieser Epoche. Dennoch hat es eine animalische Note, die heutige Nasen, besonders jene die in Zeiten ozonisch-aquatischer Duftwasser geschult wurden, befremdet. Nicht umsonst wirbt ein Duft der heute ähnlich erfolgreich ist wie Antaeus damals war - Terre d´ Hermès – damit, frei von jeglicher animalischer Beimischung zu sein. Man muss es heutzutage betonen: seht her, ich bin ganz unanimalisch (sondern mineralisch). Wie die Zeiten sich ändern!
Apropos verändern: Antaeus, so offensiv wir es heute empfinden, war früher noch weit kräftiger. Anfang der 90er Jahre wurde es zum ersten Mal reformuliert, vermutlich aufgrund damals neuester IFRA-Bestimmungen (wir erleben heute nicht die erste Reformulierungs-Welle!). Jacques Polge nutzte diese Umarbeitung dazu den Duft etwas leiser zu machen, ohne dessen Charakter, Präsenz und Langlebigkeit zu gefährden. Es ist ihm, wie ich finde, gelungen. Andere bedauern bis heute, dass Antaeus nicht mehr das ist, was es einmal war, ja behaupten, es sei nur noch ein Schatten seiner selbst. Ich kann dem nicht zustimmen. Antaeus ist immer noch Antaeus, hat allerdings ein paar Pfunde verloren und ist etwas transparenter geworden. Nichts schlechtes, per se, wie ich meine. Glücklicherweise ist, wann immer an diesem Duft Hand angelegt wurde, Jacques Polge, der Schöpfer, daran beteiligt.
Fast 30 Jahre sind seit seiner Einführung vergangen und ich denke Antaeus ist durchaus zum Klassiker avanciert – auch wenn Luca Turin rät ihn die nächste Dekade den Frauen zu überlassen. Als klassischer, holzig-aromatischer Herrenduft der zwischen Chypre und orientalischem Genre changiert, wird er bleiben. Und vielleicht erlebt er ja schon bald eine Renaissance, wer weiß?! Wir leben doch seit Jahren in einer Zeit des ‚Retro’ - in der Mode, der Architektur, der Einrichtung - warum nicht auch der olfaktorischen Vorlieben? Zurück zur goldenen Zeit, als noch aus dem Vollen geschöpft wurde – bei den Damen die 20er und 30er Jahre, bei den Herren die 70er und 80er Jahre!
Für diese Epochen stehen No 5 und Antaeus.
Es kommt mir auch so vor als seien beide Düfte irgendwie miteinander verwandt. Ich weiß nur nicht wie, denn sie riechen völlig verschieden. Aber vielleicht besitzen beide ja eine annähernd gleiche DNA, denn auch im Habitus sind sie sich sehr ähnlich – wie zweieiige Zwillinge!
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