Chance Eau Tendre 2010 Eau de Toilette

Pinkdawn
10.10.2021 - 13:41 Uhr
45
Top Rezension
5
Preis
7
Flakon
5
Sillage
6
Haltbarkeit
6
Duft

Die besten Düfte für Personenaufzüge / Teil 1

Irgendwann im letzten, viel zu kurzen Sommer. Endlich! Das Paket ist da. Ich hab mir das EdP Rosa Nobile von Acqua di Parma für meine Rosendüftesammlung bestellt. Ich kenne es nicht, aber wenn mindestens zwei Leute es als besten Rosenduft ever bezeichnen, will ich es haben.
Diese kindliche Freude, wenn man das Päckchen öffnet … Und dann? Ein unbestellter, unbekannter Karton starrt mir aus der Verpackung entgegen:
Chance Eau Tendre, ein EdT von Chanel.
Eine Fehllieferung. Ich hab keine Ahnung, was das für ein Duft ist. Natürlich bin ich enttäuscht. Das Paket hat eine weite Reise hinter sich, und ich hab lang darauf gewartet.
Und jetzt soll ich das Ganze - womöglich auf meine Kosten - nach Spanien oder sonstwohin zurückschicken?
Chanel ist immerhin eine große Marke. Und ich hab einen Flakon mit ganzen 100 ml bekommen, der im Handel normalerweise zwischen € 100,- und € 190,- kostet.
Unsicher blicke ich auf den betont schlichten, zartvioletten Karton.
Parfumo verrät mir, es handelt sich um einen blumig-frischen, frühlingshaften Duft, der seit 2010 als Offspring des Chanel Chance EdP aus dem Jahr 2002 produziert wird, das bereits ähnliche Duftnoten wie Hyazinthe, Jasmin, Zitrusfrüchte und Moschus enthält.
Als Duftnoten werden bei Chance Eau Tendre EdT Grapefruit und Quitte in der Kopfnote genannt, Hyazinthe und Jasmin in der Herznote und Amber, Iris, Moschus und Zedernholz in der Basisnote.
Ich lese mich in den Rezensionen fest. Da wird der Duft als frisch, blumig, zart, hell, sanft, leicht, edel und lieblich, allerdings auch langweilig und altbacken beschrieben. Angeblich handelt es sich um einen sehr weiblichen, unaufdringlichen „Sauberduft“. Unkompliziert und nett. Hm. Das alles sind nicht unbedingt die Kriterien, die für mich bei einem Parfum an erster Stelle stehen. Insgeheim denke ich: Aha, alles Euphemismen für belanglos, unauffällig, lieb, brav und sauber. Mit einem Wort: ein Duft, der absolut nicht zu mir passt.
Nach Düften dieser Art halte ich normalerweise sonst nicht Ausschau. Aber da er nun schon einmal da ist …
Sollte er mir nicht so gut gefallen, werde ich ihn halt als sommerlichen Alltagsduft tragen, wenn ich zur Post oder einkaufen usw. gehe, rede ich mir ein. Es ist ja ein gar nicht so billiger Markenduft aus gutem Haus.
Immerhin Quitte. Das klingt schon reizvoll. Früher haben Frauen reife Quitten in den Wäschekasten gelegt und alles hat dann so lieblich, süß und frisch nach dieser wunderbaren Frucht geduftet.
Kreiert hat den zarten Damenduft der heute 78-jährige Jacques Polge, der von 1978 bis 2015 als Head Perfumer für die Chanel Düfte verantwortlich war. Seit 2015 leitet sein Sohn Olivier Polge Les Parfums Chanel. Jacques Polge hat viele große Düfte für Chanel geschaffen. Coco etwa, sowie Egoiste, Allure und eben Chance.
Noch zögere ich, die versiegelte Zellophanhülle aufzureißen. Denn dann wäre es vorbei mit einer Rücksendung. Chanel und ich waren bisher noch nie kompatibel. Das vielgepriesene Chanel 5 gefällt mir überhaupt nicht. Ich hab in meinem Leben schon viele Düfte namhafter Marken verwendet – aber noch nie einen von Chanel. Chanel – das bedeutete für mich immer elegant, damenhaft, edel, dezent, aber nicht aufregend oder innovativ.
Vielleicht gerade deshalb - oder trotzdem - siegt meine Neugier.
Natürlich hab ich inzwischen die Zellophanhülle aufgerissen, halte den runden Glasflakon mit dem zartrosa Parfum in der Hand – und sprühe drauf los. Zum Glück hab ich an diesem Tag noch keinen anderen Duft aufgetragen, der den Eindruck von Chance Eau Tendre EdT verfälschen könnte.
Der Duft wirkt anfangs kühlend, frisch und grün. Überraschend unsüß und angenehm. Irgendwie grasig. In der nächsten Phase macht sich Fruchtiges bemerkbar: eine recht gezähmte, zivilisierte Grapefruit und etwas, das mich erst an eine Birne denken lässt, sich aber dann als - leider für meinen Geschmack viel zu wenig intensive - Quitte herausstellt. Hier wäre die Chance von Chance gelegen, ein bisschen frecher, trendiger und eigenwilliger zu sein als der Mainstream. Aber sie wird verpasst. Vielleicht brachte Senior Jacques Polge nicht mehr den Mut für solche Keckheiten auf oder sein Harmoniebedürfnis hat die Lust an Neuem besiegt.
Bis Chance Eau Tendre bald mehr und mehr ins Blumige gleitet, hat es den kurzen jugendlichen Elan vom Anfang schon verloren.
Die Hyazinthe, die ich als möglicherweise zu betörend gefürchtet hatte, erweist sich ganz angepasst und gesittet, ohne jegliches nächtlich-sinnliche Brimborium, das ich ohnehin nicht gemocht hätte.
Und der Jasmin hat ebenfalls nichts Erotisches, sondern ist so was von sauber, ein richtiger frische-Wäsche-Duft. Wer damit nicht gepflegt wirkt, dem ist nicht mehr zu helfen.
Wahrscheinlich ist das der Duft, den Eltern gern an ihren (natürlich höheren) Töchtern wahrnehmen wollen, denke ich. Denn mit Chance Eau Tendre wird niemand anecken. Er ist einfach nur angepasst, freundlich, nett, ruhig, sanft und elegant. Aber es ist eine Eleganz, die eher zu höheren Töchtern als anspruchsvollen, erwachsenen Frauen passt.
Die Basis verebbt in unspezifischem Wohlgeruch – reinste Harmonie.
Gegen Ende zu entwickelt Chance Eau Tendre eine gewisse Cremigkeit, die sich sozusagen versöhnlich über alles Negative auf der Welt breitet. Da schwingt dann auch eine zarte Pudrigkeit mit. Die ansonsten aparte Iris mit ihrer faszinierenden Trockenheit erscheint hier wie ein sanftes Babypuder.
Alles in allem ist der Duft rund, gut ausgewogen und strahlt eine zurückhaltende, fast unschuldige Weiblichkeit aus.
Altmodisch empfinde ich Chance Eau Tendre nicht, aber konservativ. Nichts für Rebellinnen oder Individualistinnen. Der Duft liefert keinerlei Exzesse oder tiefergehende Denkanstöße und Inspirationen. Er ist easy going. Harmlos. Nichts für Alphafrauen, Partyqueens oder Damen, die auffallen wollen. Ein guter Duft für den Alltag, der so was von unauffällig ist, dass sogar die Süße der Blüten nicht wirklich ausgelebt wird. Reinste Zurückhaltung und völlig unexzessive Harmonie.
Jaques Polge war an die siebzig, als er diesen Duft schuf. Möglich, dass man das dem Parfum anmerkt – diese zarte, versöhnliche Harmonie, das Saubere, Liebliche, Gepflegte, Sanfte.
Vielleicht wird man diese klassisch-elegante Ruhe auch erst in der Abgeklärtheit des Alters zu würdigen wissen, wenn sich das laute Leben mehr und mehr zurückzieht.
Vom Charakter her passt der Duft allerdings – und dabei bleibe ich – vor allem zu jungen Mädchen. Aus gutem Haus. Versteht sich.
Das Wochenende ist gekommen. Ich muss noch das eine oder andere im Supermarkt besorgen. Katzenfutter und was man sonst noch alles so zum Leben braucht. Der Supermarkt ist zum Glück nicht weit entfernt. Noch ein kurzes Nachsprühen von Chance Eau Tendre EdT. Ich schnappe mir Einkaufstasche und FFP2-Maske. Der Aufzug bringt mich hinunter.
Nach dem kleinen Einkauf geht es wieder zurück in meine Wohnung. Im Aufzug nehme ich die Maske ab – und plötzlich umgibt mich der lieblichste, himmlischste Blütenduft. Ich erkenne ihn sofort: Das ist Chance Eau Tendre EdT! Er hat in der Aufzugskabine auf mich gewartet, um mich jetzt mit seiner delikaten Zärtlichkeit zu überraschen, weich und luftig. Und ich bin wirklich überrascht, wie angenehm es hier duftet. Ich genieße die Fahrt in den 5. Stock. Meinetwegen hätte sie auch gern länger dauern können.
Ist Chance Eau Tendre EdT vielleicht doch nicht ganz so banal, lieb und brav, wie es den Anschein hat? Nicht, dass ich einen Nachkauf plane, aber Ich werde dran bleiben.
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