19.12.2016 - 12:32 Uhr
Palonera
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Palonera
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die eine Welt
Sechs Jahre war ich alt, als "Cristalle" geboren wurde, sechsundzwanzig, als wir einander kennenlernten, und sechsundvierzig, als sie bei mir einzog.
Jeweils zwanzig Jahre lagen zwischen diesen Daten, jeweils zwanzig Jahre mußten es auch sein.
Als ich ein Kind war, trug niemand Düfte wie "Cristalle", nicht in der Welt, in der ich damals lebte – Patchouli und Moschus waren die Noten, die meine Kindernase umgaben, ganz gleich, ob deren Träger nun männlich waren oder weiblich, lange Haare oder kurze, Bärte oder keine trugen.
Ein wenig Sandelholz und sehr viel Avon gehörten zum olfaktorischen Repertoire meiner Mutter, jedoch kein Chanel, nicht "Cristalle" und auch keine Nummer 5.
Das war nicht ihre Welt und damit nicht die meine.
Zwanzig Jahre später hatten sich unsere Welten getrennt, hatte ich mich aufgemacht, die meine zu erobern.
Begegnet waren mir Menschen beiderlei Geschlechts und aller Farben, braun und weiß und schwarz – Menschen, die mit allen Sinnen lebten, Menschen, denen einer fehlte oder zwei.
Begegnet war mir mittlerweile auch Chanel, die Große, Schöne, Übermächtige in Gestalt von Coco, "Antaeus" und der Nummer 5.
Düfte, die mich schüchtern machten, klein und unscheinbar nach meinem Selbstgefühl und ganz bestimmt nicht reif genug für sie.
"Versuch 'Cristalle'!" riet man mir. "Das ist ein junger Chanel, ein Duft für junge Frauen – die Einstiegsdroge in die Chanel-Welt."
Das klang gut, dem würde ich gewachsen sein, dachte ich.
Und nahm ein an "Senso", "Moschino" und Konsorten gewöhntes Näschen, das Warmes kannte, Weiches, Sanftes...
...doch nicht das herbe, grüne Klar, das zuckerfreie Morgenfrisch, das sich von meiner Haut erhob.
Hochgewachsen, schlank und blond, sehr klassisch und sehr kühl erschien "Cristalle" mir, viel erwachsener, als ich es war, und ganz gewiß nicht "jung".
Designerjeans und Perlenkette, halblang das Haar und akkurat sein Schnitt, die Augen hell und ungeschminkt, ganz fein die Haut.
Ich spürte, wie ich kleiner wurde – das war nicht ich, das würde ich nie sein.
Chanel war halt nicht meine Welt, wir würden uns nie finden.
Dachte ich.
Wiederum zwanzig Jahre später: Ein kleines Fläschchen rollt aus einem Brief, geschickt von einer Freundin, die Düfte ähnlich leidenschaftlich liebt wie ich.
Sehr klein ist es, das Fläschchen, gefüllt mit Goldengelb, "Cristalle" auf dem Etikett.
"Du mußt sie kennenlernen – und Du wirst sie lieben!" steht im beigefügten Brief.
Wir kennen uns doch, denke ich – und zögere.
Ist das so?
Kennen wir uns wirklich, "Cristalle", du und ich?
Noch immer bist du kühl und klar und edel auf eine leise, unprätentiöse Art – erwachsen, ja, und ernst, jedoch nicht streng, nicht distanziert, nicht überheblich gar.
Deine Füße stehen fest auf grünem Boden, versinken leicht in waldigweichem Moos.
Dein Rücken gerade, die Augen hell und klar, die Haut noch immer fein und leicht gekräuselt rings um den Blick und um den zarten Mund.
Du streifst durch Wald und Wiesen, stehst sicher auf Parkett, liebst Sonne, Wind und Regen, Frühlingsblumen, Seife, dunkles Holz.
Du bist gelassen, verbindlich, freundlich-heiter, hältst dich zurück, bist leise, doch nicht still.
Ich stehe neben dir und darf hier auch bestehen, nichts macht mich klein noch unscheinbar noch stumm.
Bin ich gewachsen und endlich auch erwachsen?
Ich fühl' mich wohl, es geht mir gut mit dir.
Und manchmal seh' ich dich in meinem Spiegel und denk', es ist doch nur die eine Welt...
Jeweils zwanzig Jahre lagen zwischen diesen Daten, jeweils zwanzig Jahre mußten es auch sein.
Als ich ein Kind war, trug niemand Düfte wie "Cristalle", nicht in der Welt, in der ich damals lebte – Patchouli und Moschus waren die Noten, die meine Kindernase umgaben, ganz gleich, ob deren Träger nun männlich waren oder weiblich, lange Haare oder kurze, Bärte oder keine trugen.
Ein wenig Sandelholz und sehr viel Avon gehörten zum olfaktorischen Repertoire meiner Mutter, jedoch kein Chanel, nicht "Cristalle" und auch keine Nummer 5.
Das war nicht ihre Welt und damit nicht die meine.
Zwanzig Jahre später hatten sich unsere Welten getrennt, hatte ich mich aufgemacht, die meine zu erobern.
Begegnet waren mir Menschen beiderlei Geschlechts und aller Farben, braun und weiß und schwarz – Menschen, die mit allen Sinnen lebten, Menschen, denen einer fehlte oder zwei.
Begegnet war mir mittlerweile auch Chanel, die Große, Schöne, Übermächtige in Gestalt von Coco, "Antaeus" und der Nummer 5.
Düfte, die mich schüchtern machten, klein und unscheinbar nach meinem Selbstgefühl und ganz bestimmt nicht reif genug für sie.
"Versuch 'Cristalle'!" riet man mir. "Das ist ein junger Chanel, ein Duft für junge Frauen – die Einstiegsdroge in die Chanel-Welt."
Das klang gut, dem würde ich gewachsen sein, dachte ich.
Und nahm ein an "Senso", "Moschino" und Konsorten gewöhntes Näschen, das Warmes kannte, Weiches, Sanftes...
...doch nicht das herbe, grüne Klar, das zuckerfreie Morgenfrisch, das sich von meiner Haut erhob.
Hochgewachsen, schlank und blond, sehr klassisch und sehr kühl erschien "Cristalle" mir, viel erwachsener, als ich es war, und ganz gewiß nicht "jung".
Designerjeans und Perlenkette, halblang das Haar und akkurat sein Schnitt, die Augen hell und ungeschminkt, ganz fein die Haut.
Ich spürte, wie ich kleiner wurde – das war nicht ich, das würde ich nie sein.
Chanel war halt nicht meine Welt, wir würden uns nie finden.
Dachte ich.
Wiederum zwanzig Jahre später: Ein kleines Fläschchen rollt aus einem Brief, geschickt von einer Freundin, die Düfte ähnlich leidenschaftlich liebt wie ich.
Sehr klein ist es, das Fläschchen, gefüllt mit Goldengelb, "Cristalle" auf dem Etikett.
"Du mußt sie kennenlernen – und Du wirst sie lieben!" steht im beigefügten Brief.
Wir kennen uns doch, denke ich – und zögere.
Ist das so?
Kennen wir uns wirklich, "Cristalle", du und ich?
Noch immer bist du kühl und klar und edel auf eine leise, unprätentiöse Art – erwachsen, ja, und ernst, jedoch nicht streng, nicht distanziert, nicht überheblich gar.
Deine Füße stehen fest auf grünem Boden, versinken leicht in waldigweichem Moos.
Dein Rücken gerade, die Augen hell und klar, die Haut noch immer fein und leicht gekräuselt rings um den Blick und um den zarten Mund.
Du streifst durch Wald und Wiesen, stehst sicher auf Parkett, liebst Sonne, Wind und Regen, Frühlingsblumen, Seife, dunkles Holz.
Du bist gelassen, verbindlich, freundlich-heiter, hältst dich zurück, bist leise, doch nicht still.
Ich stehe neben dir und darf hier auch bestehen, nichts macht mich klein noch unscheinbar noch stumm.
Bin ich gewachsen und endlich auch erwachsen?
Ich fühl' mich wohl, es geht mir gut mit dir.
Und manchmal seh' ich dich in meinem Spiegel und denk', es ist doch nur die eine Welt...
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