Les Exclusifs de Chanel

Sycomore 2008 Eau de Toilette

Version von 2008
Blanche
29.03.2011 - 17:20 Uhr
35
Top Rezension
10
Haltbarkeit
4
Duft

Bitter-(Nein!)-Symphony

Wer meinen Parfumgeschmack ein bisschen kennt, der wird ahnen was dabei rauskommt, wenn ich Sycomore teste: Nichts Gutes! Es ist unvermeidlich, dass ich, um den Duft einigermassen beschreiben zu können, meinen Kommi in zwei Phasen auffächere, eine emotionale und eine rationale Beschreibung. Für die Letztere ist es essentiell, dass ich erst mal meine Gefühle loswerde (Ich bitte für das Folgende um Verzeihung an alle Liebhaber, ich mach´s im 2. Teil wieder gut, versprochen!).

Phase 1: Der Gefühlsausbruch
Meine erste Testrunde hat mich erschüttert. Mein Gott, dachte ich mir, was ist dieser Duft scheusslich! Bei aller Ablehnung ist es erstaunlich wie kreativ mich Sycomore in meiner Wortschöpfung werden liess. Mir fielen Wörter wie Leichenstreichler oder Kneifzangenduft ein und so gemein bin ich eigentlich selten. Ich dachte mir auch: Welche Frau will das denn bitte tragen? Jede Klischeekiste, die sich mir auftat, musste ich sogleich wieder schliessen. Und mir kam auch bei weiterer Überlegung keine Frau in den Sinn, die daran gefallen finden könnte. Das ist doch kein Damenduft, das ist mindestens Unisex, wobei – dachte ich – Sycomore würde ich nicht mal an einem Mann riechen wollen. Das ist nicht Unisex, das ist gar kein Sex, es ist eindeutig ein ES. Testrunde Nr. 2 und 3 fielen schon nicht mehr so gemein aus, festigten aber mein Gefühl: Sycomore und Blanche: Niemals!

Phase 2: Versuch einer objektiven Beschreibung und Ergründung
Beim Versuch fair zu bleiben und den Duft nicht zu verteufeln, bieten sich mir zwei Erklärungsansätze: (a) liest man die Noten, dann spiegelt Sycomore so etwas wie meine Anti-Duftrichtung wider (b) das ist teils auch Ausdruck davon, dass ich im tiefsten Inneren ein kleiner Mainstreamer bin.
(a) Sycomore ist auf eine zarte (!) Art und Weise sehr bitter. Die herbe Holzigkeit und die kühle Aura sind sehr präsent. Und das Wichtigste: Vetiver, sehr viel Vetiver! Den Pfeffer rieche ich nicht. Meiner Ansicht nach, kann man Sycomore locker und auch passend als Unisex deklarieren. Bildlich zeigt sich mir Sycomore als rauer, peitschender Wind an der Küste, gepaart mit den dumpfen Geräuschen der Wellen, welche mit voller Wucht an die Felsen prallen. Es zieht, zischt und peitscht, man kneift die Augen zusammen, doch der Wind entlockt einem dennoch ein paar Tränen, man zittert etwas und würde sich am liebsten die Ohren zuhalten. Aber trotzdem: Man bleibt, fasziniert vom Anblick, stehen!
(b) Das schöne an Sycomore ist, er macht es einem leicht eine Meinung über ihn zu haben und das hilft gleichzeitig auch den eigenen Duftgeschmack noch besser zu verstehen. Ich mag ihn nicht, weil ich mich in vielen weiblichen Duftschubladen - zugegebenermassen - wohl fühle, ob sexy/verrucht/verführerisch/lieblich/süss/frech, alles Assoziationen, die ich bei mir gerne wecken lasse. Sycomore ist nun aber ein Duft, der gar nicht das Interesse hat eine typisch – nicht mal eine untypisch (!) – feminine Seite der Trägerin herauszukehren. Er lässt sich nicht mit nur einem Frauenbild zusammenfassen, weil er eben dafür wirklich zu vielschichtig ist. Ich nehme die Bitterkeit und das Herbe in Sycomore als etwas Neutrales war, eine neutrale, nicht wertende Fraulichkeit! Sycomore ist ebenso kein Stimmungs- oder Jahreszeitenduft, die Trägerin durchtränkt ihn selber mit der Bedeutung, die sie ihm zumisst. Auf der Suche nach neuen Düften befinden wir uns ja auch immer auf der Suche nach der ultimativen Unterscheidung. Diesen einen Duft, der einfach anders ist, als alle anderen. Sycomore ist so eine ultimative Unterscheidung! Was meinen Duftgeschmack anbelangt bin ich sehr viel weniger individualistisch, als ich mir das insgeheim wünsche, aber gleichzeitig weiss ich auch: In Duftdingen ist immer und jederzeit erlaubt, was gefällt! Es geht um das gefallen und nicht um das was!

Ich vergebe 40% für den Mut diesen Duft geschaffen zu haben und nicht als Unisex zu deklarieren. Einen Sycomore-Test kann ich jeder Frau (und auch Mann) empfehlen, die sich satt gerochen hat an all den Kopien von Kopien von Kopien von Kopien nach Vorstellung einer typischen Frau. Wenn man lieber mal der Fels in der Brandung und nicht die sexy Welle sein will. Lieben wird man den Duft aber nur dann, wenn man keinen typischen Frauenduft sucht, sondern bereit ist für die ultimative Unterscheidung einen anderen, unbekannten Weg einzuschlagen, um vielleicht gefallen an der rauen, herben, bitteren Sycomore-Symphony zu finden.
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