Platinum Égoïste 1993 Eau de Toilette

TomGehFord
25.01.2022 - 05:45 Uhr
19
Top Rezension
9
Preis
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft

Welten zwischen "Egoiste Platinum" (1993) und "Platinum Egoiste" (heute)

Nachdem ich einige Chanel-Düfte für mich entdeckt habe, weil sie größtenteils unkompliziert, jederzeit tragbar und doch von sehr hoher Qualität sind, führte zwangsläufig kein Weg mehr am "Chanel Platinum Cologne" (Zitat von Notorious B. I. G.) vorbei. Wenn selbst Biggie das Teil nennt, muss es einfach ein Brett sein.

Doch auch insbesondere als olfaktorischen "Gegenangriff" auf den derzeit laufenden, sich eindeutig von klassischer Männlichkeit entfernenden Zeitgeist, wollte ich einige der absoluten Klassiker testen, um mich quasi per Nase auf alte Werte und Maskulinität zu besinnen. Mein Geruchssinn ermöglichte mir schließlich schon immer starke Emotionen, Assoziationen und entsprechendes "Uplifting". Also bin ich bei einem Ausflug mit meiner Mutter ab zur Parfümerie, um einige Evergreens zu begutachten, das Thema der Reformulierungen stets im Hinterkopf. Insbesondere dieser "Platinum Egoiste" hier stand ganz oben auf meiner Liste. Neugierig war ich auch, ob meine Mutter als 1962er Baujahr beim Schnüffeln in die Vergangenheit zurückversetzt wird.

In die frühen 90er - dahin wollte ich mich persönlich zurückbeamen. Meine ersten Erinnerungen datiere ich auf ca. 1993, also das Alter, in dem ich gerade in den Kindergarten gekommen war. Ich erinnere mich z. B. an einen Ausflug mit meinem Vater zu einem Geflügelzuchtverein, bei dem mich eines der Tiere in einem unachtsamen Moment durch den Zaun hindurch gebissen hat. Im Anschluss gab es zuhause lustigerweise Hähnchen und Ofenkartoffeln. Die Abrechnung? Man weiß es nicht.
Es war jedenfalls eine wunderbare Zeit, in der Chanel noch lauter Frauen "Egoiste!" aus dem Fenster schreien ließ (in der Werbung für das gleichnamige Originalparfum ohne Zusatz "Platinum"), in der Mann noch Mann war, und dies auch sein durfte. Eine heute fast schon unvorstellbare Zeit, in dem den Egoisten unter uns sogar noch ein Duft gewidmet wurde. Etwas Egoiste sollte schließlich in jedem von uns stecken.

Jedenfalls war ich besonders neugierig auf diesen Duft als erhoffte Zeitreise. Also ab zur Chanel-Ecke, Tester in die Hand nehmen und sprühen. "Mhm, das riecht gut, ja. Etwas krautig. Sehr klassisch und edel, und gar nicht soo egoistisch. Tatsächlich riecht er auch stark nach 90er Jahre. Könnte allerdings etwas stärker sein." Ich war durchaus positiv beeindruckt von dem relativ simplen Duftcharakter, und wollte mir den "Platinum Egoiste" auch kaufen, zumal der originale (und vermutlich erst recht reformulierte) "Egoiste" meiner Meinung nach nicht an den platinfarbenen Flanker herankam, da ich die zimtige Note nicht mag. Jedoch musste ich vorher einfach wissen, wie sehr der Duft über die Jahre an Federn lassen musste. Die IFRA mit ihren Schwachsinnsregelungen, die kein Mensch braucht, hat ja schon so einige Düfte an Qualität einbüßen lassen. Wie konnten wir früher nur all die Düfte überleben? Durch ein dickeres Fell, zum Beispiel in Form von Brustbehaarung? Möglich wäre es.

Nach einigem Googlen fand ich schließlich heraus, dass "Platinum Egoiste" in den ersten Jahren "Egoiste Platinum" hieß, stärker war, und eine metallische Note vorweisen konnte. Ich konnte mir diese nicht so recht vorstellen, also favorisierte ich auf eBay einen noch original verpackten "Egoiste Platinum" (100 ml) mit 1993er Batch Code, bestellte aber erst einmal zwei 4 ml-Miniaturen eben dieser Variante aus Litauen, um keinen Fehlkauf zu begehen. Nach einigen Tagen waren die süßen Miniflakons da, und ich konnte nicht glauben, wie sehr sich der Duft von den aktuellen Batches unterscheidet. Nix da mit krautig und trocken, das Teil riecht deutlich "flüssiger" (was man vermutlich mit der metallischen Note meint, schwer zu beschreiben), "nussiger", und vor allem stärker. Er hält fast den ganzen Tag. Wir reden hier von ca. 10 Stunden. Die neuen Batches schaffen in etwa die Hälfte. Absolut kein Vergleich!
Vor allem aber hatte ich das Gefühl, den längst vergessenen Duft der damals erwachsenen Männer wieder wahrzunehmen, welcher sich aufgrund meines damals jungen Alters als einer DER männlichsten Düfte überhaupt in mein olfaktorisches Gedächtnis gebrannt hatte, und erst durch dieses "Wiederriechen" zum Leben erweckt wurde. "Ja, so rochen Männer damals tatsächlich. Ich erinnere mich jetzt." Was für Zeiten! Hätte ich diese Vintagevariante nicht getestet, so wäre diese Erinnerung wohl für immer in der letzten Ecke meines Gedächtnisses untergegangen.

Also ab zu eBay, und sofort den originalen "Egoiste Platinum" zu einem fairen Preis aus Russland (ja, tatsächlich ein Original) bestellt. Momentan nutze ich noch die Miniaturen, aber sobald ich den Flakon anbreche, werde ich mir überlegen müssen, ob ich ggf. noch einen weiteren als Reserve fürs restliche Leben zulegen muss.

Wenn ich den vermittelten Vibe dieses Duftes als Szene aus einem (zugegebenermaßen deutlich älteren) Bond-Klassiker beschreiben müsste, wäre es folgende:

Bond zum Bondgirl "Tink": "Tink, meet Felix Leiter! Felix, say hello to Tink."
Felix: "Hi, Tink."
Bond: "Tink, say goodbye to Felix. Man talk."
(Bond dreht Tink um und schickt sie mit einem Klaps auf den Hintern weg)

Bond-Fans dürfen gern den Film erraten.

Es geht in diesem Review übrigens nicht um die Duftnoten im Detail. Davon habe ich keine Ahnung - für mich zählt das Gesamtbild und die vermittelte Botschaft bzw. Emotion. Und darin ist der "Egoiste Platinum" wirklich mehr als gut. Ein gewisses Alter ist hierbei deutlich von Vorteil, um das Maximum an Emotion herauszuholen. Doch auch "neutral" betrachtet kann man den größtenteils nur klassisch gut finden. Die neuen Batches sind okay, aber der Originalformel nur wenig würdig.

Ach ja - Mutti gefiel das Düftchen wie erwartet sehr gut.
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