Frosted Moon
Lune de Givre
2013

Marieposa
08.05.2021 - 07:37 Uhr
37
Top Rezension
6
Flakon
6
Sillage
6
Haltbarkeit
9
Duft

Die Mondscheinsonate

Ich streife die Schuhe ab. Sanft berühren meine Füße den Waldboden. Auf samtigen Mooskissen bilden sich schon Tautropfen, doch die glatten, runden Steine geben die Wärme des Tages nur langsam ab. Auch die Bäume atmen warm gegen die Kühle der Nacht an. Ich halte inne, will mich noch nicht losreißen von diesem Gefühl. Mein Pfad führt hinab zum Moorsee, der sich am Rande der Lichtung verbirgt. Flüsternd schwappen kleine Wellen ans Ufer. Eine verspätete Amsel singt ihr bittersüßes Lied. Plötzlich bin ich wieder ein kleines Mädchen mit Zöpfen und Ringelsocken. Auch im Garten meiner Eltern begleitet mich der Gesang der Amsel, während ich im Zwielicht auf der Schaukel schwinge und darauf warte, dass meine Mutter mich ins Haus ruft, wo goldenes Licht hinter den Fenstern glimmt.
Das Wasser des Sees empfängt mich mit einer Umarmung. Lind und warm an der Oberfläche. Erst wenn ich tiefer hinabtauche, überläuft mich ein wohlig kühler Schauer. Ich lasse mich treiben. Das Wasser trägt mich. Mondlicht schimmert auf meiner Haut. Wie lange ich so verweile? Ich weiß es nicht. Minuten, Stunden, eine Ewigkeit … Was ist schon Zeit?
Zurück am Ufer strecke ich mich auf den runden Steinen aus. Genieße ihre Wärme auf der kühlen Haut. Wassertropfen perlen aus meinem Haar und versinkt im weichen Moos.

*

Jetzt ist es passiert: Ich bin etwas geworden, das ich nie sein wollte. Nämliche eine Frau mit Bunkerflakon. Aber was hätte ich tun sollen? Die Not war groß. Immerhin geht es hier um Lune de Givre beziehungsweise Frosted Moon, das erst umbenannt und dann eingestellt wurde. Ruhe in Frieden, mein sanfter Freund und treuer Begleiter! Diesen Duft hatte Parfumeurin Delphine Thierry ursprünglich zum Eigengebrauch komponiert, bis es Margaret Mangan und Julian Checkley gelang, ihr die Formel dieser ätherischen Schönheit für ihr frisch gegründetes Parfumlabel Cloon Keen zu entlocken.
Frosted Moon ist ein zarter, transparenter Irisduft, der mit erdiger Karotte und den herb-grünen Noten von Angelika und Galbanum startet. Trotz dieser anfänglichen Kühle und Frische sorgen helle Hölzer, Moschus und Vetiver für Wärme und so wird die silbrig schimmernde Iris von reizvollen Gegensätzen umkränzt, von denen mal dieser und mal jeder die Oberhand gewinnt. Frosted Moon spricht mit leiser Stimme, doch demjenigen, der zuhören möchte, erzählt es eine wundervolle Geschichte von Nähe und Distanz, von Kühle und Wärme. Als würde man in einer Vollmondnacht, wenn der Mond so nah erscheint, die Hand nach ihm ausstrecken.
Diese sanften, melancholischen Klänge, die Frosted Moon anschlägt, finde ich in Beethovens „Mondscheinsonate“ wieder. Und das Gefühl des Insichselbstversinkens, umgeben von einem zartgrünen Irisschleier, beschwört das Bild einer unglaublich schönen lebenden Skulptur in Heligan’s Lost Gardens herauf, die leider auf den recht prosaischen Namen „Mud Maid“ getauft wurde.

Frosted Moon ist ein fast schon meditativer Duft, der mich wieder mit mir selbst in Kontakt bringt, wenn mich der Alltag überrollt. Mir fällt kein Anlass ein, zu dem er nicht passen würde, keine Situation, in der er unangemessen erscheinen könnte. Über mangelnde Haltbarkeit kann ich übrigens auch nicht klagen: Zwar schwächelt die Engelswurz in der Kopfnote recht bald, aber die schöne Iris-Galbanum-Moschus-Kombination rieche ich auch noch einen Tag später in meiner Kleidung.
Ein Parfum mit großem Signaturduftpotenzial und ich bin froh, dass ich verschwenderisch mit dem kleinen Rest in meinem Flakon umgehen kann, weil noch satte hundert Milliliter auf mich warten.
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