Cedre Blanc begegnete mir - wenig glamourös - in Form einer Probe, die der Parfumverkäufer meines Vertrauens in meine Einkaufstüte geschmuggelt hatte. Geiz ist mir eigentlich fremd; mit diesen zwei Millilitern aber ging ich um wie Dagobert Duck mit seinen Talern. Nur deshalb konnte mich Creeds Zedernwasser regelmäßig auf’s heimische Sofa begleiten, um mir den Abend olfaktorisch zu versüßen.
Inzwischen bereichert der Duft meine Sammlung – und ist ein schlagender Beweis für die These, dass es auf die inneren Werte ankommt: Äußerlich erscheint mir dieser amphoren-inspirierte Flakon zwar durchaus wertig, aber einigermaßen altbacken; so hätte man auch Omas Rosenwasser abfüllen können.
Was macht der geneigte Kommentator, wenn er einem Duft erlegen ist? Er bedient sich verschiedener Tricks, um die Schwächen des Objekts in freundliches Licht zu tauchen. Selbstverständlich wird er den sprachlichen Weichzeichner und dekorative poetische Bilder bemühen, um seiner Begeisterung Ausdruck zu verleihen. Idealerweise ergänzt er seinen Bericht mit einem Erlebnis, das untrennbar mit dem Duft verflochten ist; persönliche Betroffenheit zieht immer! Vielleicht macht er es sich auch leicht und vernachlässigt vorhandene Mängel zugunsten einer wortgewandten Hymne mit möglichst eingängiger Melodie.
Dass auch ich mich gerne entflammen lasse, will ich nicht leugnen. In letzter Zeit sind mir einige Düfte unter die Nase gekommen, die mich schwer beeindruckten. Beinahe allen aber ist eines gemein: Mein Urteil fußte immer auch auf dem Respekt vor der Expertise, die sich in diesen Kompositionen manifestiert – ungeachtet (oder dank) einer gewissen Distanz, die zwischen mir und dem Duft blieb.
Manchmal wächst eine Brücke der Zuneigung, und die Distanz schwindet – so geschehen mit Pradas Infusion d’Homme. Die letzte Begegnung aber, die einen echten emotionalen Overkill auslöste, war Kenzo Air Intense; Encre Noire als dessen Wiedergänger ließ mich immerhin den Nachhall dieser Emotionen hören.
Nun hat Creeds Zedernwasser eingeschlagen. Das ist umso verblüffender, als der Duft in vielerlei Hinsicht nicht dem entspricht, was sonst meine Rezeptoren erfreut. Ich mag präsente, projizierende Düfte – die Sillage dieses Creeds ist eher zurückhaltend. Seine Haltbarkeit immerhin ist nicht gar so bescheiden wie mancherorts im Netz kolportiert: Gute sechs bis sieben Stunden bleibt Cedre Blanc mir treu, bevor er ins Duftnirwana entschwindet.
Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zu meinen üblichen Vorlieben ist die wunderbare, geradezu ätherische Leichtigkeit, die dieses Acqua Originale auszeichnet. Cedre Blanc ist ein Elbenduft par excellence – hell, rein und dabei distanziert, ohne kalt zu erscheinen. Seine Stärke ist seine Schwäche: Er bettelt nicht um Aufmerksamkeit, fordert keine Bewunderung, ist frei von jeder Exaltation. Geschichten zu erzählen liegt ihm nicht; Cedre Blanc ist ein Stimmungszauberer, kein Entertainer. Seine Präsenz ist transparent, seine Farbe Licht.
Vor allem die Zeder ist es, die für diesen Eindruck verantwortlich zeichnet: Wie frisch geschlagen weht ihr Duft im Wind. Galbanum flüstert von zartgrünen Nadeln, während die Bergamotte ohne jede Bitterkeit die Erinnerung an einen mediterranen Frühling beisteuert. Ihr assistiert dezent der Lorbeer, dessen Frische dem Duft mattierten Glanz verleiht. [Auch Kardamon findet sich in der Liste der Ingredienzien; bei dessen Verwendung muss Creed hahnemannschen Lehren gefolgt sein.]
Stürbe Cedre Blanc hier einen frühen Tod, der Duft hätte nicht umsonst gelebt: Die Kopfnote ist ein perfekt orchestriertes Meisterwerk, das auch als „Unvollendete“ Vollendung demonstrieren würde.
Noch aber verwelkt Cedre Blanc nicht, sondern blüht buchstäblich auf: Florale Noten bereichern das Bouquet und schenken der Komposition eine berückende Lieblichkeit. Die ist frei von jeder Sirupsüße - und ganz gewiss nicht kuschelig. Cedre Blanc bleibt seiner Zurückhaltung treu und bringt mit Nymphaea olfaktorisch ins Spiel, was assoziativ bereits im Zedernhain schwebt: kaum sichtbaren Naturgeistern gleich treibt ein Hauch von Wasserlilie im Aroma. Jasminsträucher verströmen Duft, als hätten Zedern ihre Blüten getrieben. Der Rosengeranie hingegen kommt meine Nase nicht auf die Spur; möglicherweise ist sie nur verbindendes, wenn auch kaum wahrnehmbares Glied dieser köstlichen Kette.
Dass sich irgendwo in diesem Duft auch eine Prise Vetiver verbirgt, liegt angesichts meiner Vorliebe für das Süßgras nah. Sein Auftritt erfolgt spät – und beinahe am Rande der Wahrnehmungsschwelle. Die Zeder behauptet im Drydown ihren Führungsanspruch, ohne je die Stimme erheben zu müssen; das Sandelholz vertieft den mild-holzigen Charakter.
Wer bei Zeder, Sandel und Vetiver an Wald denkt, verkennt den Duftcharakter (nicht nur) der Basis: Cedre Blanc ist die Lichtung im Zedernhain, die Sonne, deren Strahlen durch die Baumkronen blinzeln, ist die leichte Brise im Geäst und das Licht, das auf dem Boden tanzt…
Eines ist Cedre Blanc also sicher nicht: ein Heldenduft. Er verkörpert die olfaktorische Entsprechung zu kontemplativer Ruhe – oder ist nur „…ein ausgewaschenes, ausgelaugtes, ausgebleichtes Holzparfum…“, wie Leimbacher schreibt.
Hat er unrecht? Möglicherweise nicht - auch wenn meine Rezeptoren den Duft völlig anders deuten. Zumindest nehmen wir übereinstimmend nichts Dunkles in Cedre Blanc wahr.
Einen weiteren Vorwurf kann ich denken, ohne ihn erheben zu dürfen: Der Duft ist zum Einschlafen schön. Das könnte von mir stammen (tut’s ja auch); es beschreibt aber nicht, was Cedre Blanc in mir auslöst. Richtig ist: Wer Ecken und Kanten sucht, wird hier nicht fündig werden. Cedre Blanc ist eine Ode an das Ebenmaß - der duftgewordene goldene Schnitt.
Wieso mich in diesem Fall umhaut, was mich sonst langweilt - das ist die offene Frage, auf die ich noch keine Antwort habe. Vielleicht lasse ich sie einfach unbeantwortet – und stelle in einem halben Jahr fest, dass eine solche Überdosis L’art pour l’art tatsächlich fad ist. Aktuell aber möchte ich nichts lieber als mich von oben bis unten mit dem Wässerchen eindieseln. (Interner Vermerk: morgen früh Alternativduft wählen!).
Kann der denn auch was - außer schön sein? Sagen wir – er wirkt, auch wenn dazu die übliche Fluchtdistanz unterschritten werden muss (Ihr erinnert euch: Die Sillage ist von der diskreten Sorte). „Hui, was ist das denn?“, „Du riechst aber fein!“, „Kann ich noch mal schnuppern?“ – das waren nur einige der Reaktionen, die Cedre Blanc innerhalb kurzer Zeit provozierte. Deren Häufung hat mich dann doch überrascht. Frage an die Spezialisten: Ist das die Creed-DNA? [Ich habe übrigens gerade kein nervöses Zucken am Auge; ich zwinkere]
Wer kann’s tragen? Cedre Blanc ist für mich ein perfekter Unisex-Vertreter - und ein Immergeher dazu. Bestenfalls fürs Clubbing mag seine Sillage etwas zu knapp bemessen sein, aber das bleibt Ansichtssache. Das gilt auch für den Preis: Ich verstehe Leimbachers Einwand – und widerspreche doch. Auch mir wäre preiswerter lieber – aber weil es nun ausgerechnet Creed ist, die dieses Zauberwasser herstellen, muss ich wohl auch die hypertrophe Preispolitik des Herstellers schlucken. Im Gegenzug erhalte ich immerhin ein Produkt, das durch Komposition, Qualität und emotionale Wirkung überzeugt. (Außerdem wollen die greedy Creedies sicher auch mal was Anderes verkaufen als dieses Zeug, das angeblich Höschen vom Leib beamt…)
Fazit: Auch wenn man um Liebe lieben soll und nicht um Schönheit – Cedre Blanc überzeugt vor allem durch Letztere. Sein kontemplativ-heiter-besinnlicher Charakter allerdings verträgt sich schlecht mit Blendern und Posern; da gibt’s stärkere Waffen im Arsenal der Duftindustrie…