loewenherz
18.01.2017 - 14:48 Uhr
20
Top Rezension
5
Flakon
3
Sillage
3
Haltbarkeit
7
Duft

Colorblind

Die Demetersche 'Duftbibliothek' habe ich bisher ziemlich absichtlich ignoriert. Hat mich nicht besonders interessiert, war mir auch nicht sympathisch. Die Vielzahl und die damit einhergehende Unübersichtlichkeit des Sortiments, die wenig ansprechend gestaltete Verpackung - das Prinzip des 'soll sich doch jeder zusammen layern, was er haben will' - und auch die bisher probierten Duftbeispiele - das alles war (und ist) so gar nicht meins.

Und gerade, wenn ein Parfum für sich beansprucht den Duft von etwas eingefangen zu haben bzw. wiedergeben zu können, das sich nur schwer beschreiben, geschweige denn klar umreißen lässt, ist die Fallhöhe oft besonders hoch. Mancher Duft rettet sich noch in eine wohlmeinende Metapher, doch gelingt die pure Wiedergabe eines Geruchseindrucks bei 'Rose' oder 'Schokolade' einfach leichter als bei 'Strand' oder bei 'Regen'.

Nein, Rain - das ist kein großer Duft. Ich scheue mich auch nach wie vor, die Fläschchen der Demeter Fragrance Library 'Parfums' zu nennen - wahrscheinlich nennen sie sie nicht einmal selber so. Er riecht auch kein bisschen so wie Regen. (Wie riecht denn Regen? So jedenfalls nicht.) Aber - und ist das nicht eigentlich viel wichtiger als olfaktorische Korrektheit und Akkuratesse? - er riecht schön! Er evoziert Erinnerungen. Er 'macht etwas mit mir'.

Nicht schön im Sinne von 'so möchte ich selber riechen'. Nicht schön im Sinne von 'Kunstwerk'. Aber unglaublich angenehm für die Nase - feuchtfrisch und - jede ohne Negativassoziation - synthetisch kühl, unaufgeregt, wohltuend, ruhig und - einfach schön. Und so wanderte die Nase immer wieder dorthin, wo ich Rain hingesprüht hatte, verweilte kurz, nur um ein paar Minuten später gleich wieder hinzugehen. Und ich habe gelächelt. Jedes Mal.

Vor Jahren habe ich eine Weile verschiedene YogalehrerInnen und ihre Kurse ausprobiert. 'Yoga' kann ja alles mögliche sein - mit Musik, ohne Musik, eher vergeistigt, eher körperorientiert. Eine Lehrerin war dabei - eine sehr gute, ihr Unterricht war ohne Duftkerzen, aber dafür mit Musik, mit westlicher - die wählte als Begleitung zu einer balanceorientierten Sequenz (für Eingeweihte: es ging zentral um Vrikshasana, den Baum, und dessen Variationen / für Nicht-Eingeweihte: man steht auf einem Bein, das andere Bein ist so hoch angewinkelt, wie man es kann, die Fußsohle ist an die Innenseite des Standbeins gedrückt, die Hände sind in Gebetshaltung vor der Brust verschränkt) den wunderbar ruhigen Song 'Colorblind' von den Counting Crows. Verwendet wurde er u.a. auch in 'Eiskalte Engel', der einzigen Variante des 'Gefährliche Liebschaften'-Themas, die ich gerne ignoriere. So duftet Rain.

Fazit: in einem leeren Raum in bleichem Licht in einer grauen Trainingshose auf einem Bein stehen. Sich konzentrieren. Der Blick geht geradeaus. Wer kann, der macht die Augen zu. Kann aber kaum jemand, man fängt sofort zu wackeln an. Die eigene Mitte suchen. Sie finden und in ihr verharren. Ein unerwartet wohltuendes Dufterlebnis. Nicht mehr. Aber auch kein bisschen weniger.
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