Jules 1980 Eau de Toilette

Profumo
23.04.2010 - 05:04 Uhr
27
Top Rezension
10
Haltbarkeit
9
Duft

Riecht das noch, oder stinkt das schon?

16 Jahre nach dem großen Erfolg mit Eau Sauvage kam Dior mit einem neuen maskulinen Parfum auf den Markt: Jules (frz. umgangsprachlich für: der Kerl, der Galan, oder auch der Zuhälter). Die ‚Nase’ hinter diesem Duft: Jean Martel, der wenige Jahre zuvor mit Paco Rabanne pour Homme ein neues Genre begründete, das der aromatischen Fougères. Auch Jules ist ein aromatisches Fougère, und was für eines! Heute wiederum, 30 Jahre nach der Einführung von Jules liegt dieses Genre danieder, quasi im Wachkoma: zum Glück noch gerade so am Leben, aber auch nicht viel mehr. Ob dessen Revitalisierung eines Tages bevorsteht bleibt abzuwarten, aber angesichts des unbedingten Frischedogmas, das die Herrenparfümerie seit vielen Jahren beherrscht, fällt es mehr als schwer sich vorzustellen, dass der junge, metrosexuelle Mann von Heute statt zu Acqua di Giò wieder zu Yatagan, Kouros oder eben Jules greifen sollte. Nun denn, wir werden sehen: Moden kommen, Moden gehen, diese hält sich aber nun schon verdammt lange...

Zum Duft: der Gegensatz zu seinem Vorgänger, Eau Sauvage, könnte kaum größer sein! War letzterer noch ein frisch-herbes Chypre, elegant, dabei zurückhaltend im Auftritt, ist Jules eine echte männliche Diva: laut, fast schrill, alle Blicke auf sich ziehend, keinen Nebenbuhler duldend, von beinahe raumsprengender Präsenz (ähnlich gegensätzlich sind Chanels Pour Monsieur und dessen Nachfolger Antaeus!). Jules nicht wahrzunehmen ist schier unmöglich, aber die Konkurrenz war eben auch eine andere als zu Zeiten von Eau Sauvage.
Yatagan, Paco Rabanne pour Homme, Azzaro pour Homme, Halston Z-14, Patou pour Homme, das waren die Mitstreiter um die Gunst des Käufers – schwere, kraftstrotzende Düfte mit teilweise starken animalischen Akzenten (Azzaro, Yatagan). Da war ein schüchterner Auftritt nicht opportun und so versah man den neuen Duft mit kräftigen Muskeln, einem breiten Kreuz und einem deftigen Schuss Virilität. Wie schon für Eau Sauvage zeichnete René Gruau, der berühmte Illustrator und Freund Christan Diors, den Jules-Mann auf´s Papier, allerdings nicht als schmächtigen Jüngling von lässiger Eleganz, sondern als einen Schrank von Mann in schwarzer Lederjacke, mal alleine, mal eine blonde Frau in den Armen haltend, die ob seines Duftes in Ohnmacht zu sinken scheint.
Ob einem nun angesichts dieses Mannsbildes ('Fort et tendre' war der Werbeslogan) die Sinne schwinden oder nicht, dieser Duft hat es jedenfalls in sich. Kräftige Galbanum-Noten zum Auftakt, balsamisch abgerundet und mit ordentlich Pfeffer und einer Vielzahl von Kräutern gewürzt: Lavendel, Basilikum und jede Menge Salbei. Ein paar Blüten lugen unter all dem Grün hervor und ziemlich rasch wird das Geschehen von einem aufreizend animalischen Aroma durchzogen, das so seine Tücken hat. Russisch-Leder, herb-süßer Honig, Coumarin, Eichenmoos und etwas Amber beenden den Reigen.

Ein inhaltsschwerer Duft, der vor allem seiner animalischen Intensität wegen keinen ungeteilten Beifall findet, heute noch weniger als damals. Im Gegenteil: die meisten stößt er ab, sie fühlen sich häufig an den Geruch von Urin erinnert, an Katzenpisse, an Toilette im Allgemeinen. Selten findet sich jemand der diesem Duft uneingeschränkt Bewunderung zollt. Offenbar ist Jean Martel mit Jules ziemlich weit gegangen in Sachen animalischer Beimischungen, vielleicht zu weit, ich weiß es nicht. Mir geht es da auch nicht anders als den meisten – selten kann ich mich diesem Duft so richtig hingeben. In der Regel sprühe ich nur ein klein wenig auf das Handgelenk und begnüge mich mit einem Jules-Erlebnis im Kleinen. Das reicht mir dann auch meistens: ich bin begeistert und kurz darauf abgeschreckt, es ist – fast – immer das Gleiche. Ganz, ganz selten nur kann ich in diesen Duft förmlich hineintauchen, kann mich an ihm berauschen und ihn in allen Facetten genießen – zumeist steht mir dessen animalische Seite im Wege und ich, der Düfte mit ein bisschen ‚haut goût’ eindeutig schätzt, bin mir nicht mehr sicher: riecht das noch, oder stinkt das schon?

Diese, meine eigenen Unentschiedenheit hält mich dann letztlich davon ab Jules zu tragen, leider. Denn Jules ist, glaube ich, ein richtig gut gemachter Duft – man riecht die Qualität, der Komposition wie der Inhaltstoffe, förmlich. Dies ist, denke ich, auch der Grund warum Dior die Produktion dieses Duftes nie gänzlich eingestellt hat, er war immer zu haben, wenn auch nur an wenigen, ausgewählten Orten, zumeist in Frankreich und Belgien. Man machte sich sogar die Mühe den Duft den Regeln der IFRA gemäß zu reformulieren. Und so hat Jules auch diese Hürde genommen, ohne in den Orkus der vom Markt genommenen Düfte zu verschwinden – offensichtlich ist man sich bei Dior bewusst welchen Schatz man mit Jules im Portfolio hat!

Mein Fläschchen Jules (ich habe sogar ein zweites, da ich mal Angst hatte es würde eingestellt...) werde ich immer in Ehren halten, und mich weiterhin an ihm abarbeiten...
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