Eau de Lierre 2007

Gaukeleya
21.11.2020 - 12:52 Uhr
44
Top Rezension
10
Flakon
4
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft

Einundzwanzig

Meinen ersten Kontakt zu Eau de Lierre hatte ich durch Hervé le Tellier in seinem von mir - unschwer zu erraten - sehr verehrten Buch "Kein Wort mehr über Liebe".
Auch wenn ich an dieser Stelle nicht zu tief in das literarische Werk eintauchen möchte, so komme ich natürlich nicht umhin, hier zumindest diesen Rahmen darzulegen.

Einer der Protagonisten, ein Pariser Schriftsteller, Yves, beginnt ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau, Anna, der er am Ende ihrer Beziehung ein kleines Büchlein zu ihrem 40. Geburtstag schenkt. Dort hat er 40 unterschiedliche Erinnerungen an Momente mit ihr und an sie unchronologisch zusammengefasst.

Seine Erinnerung Nummer Einundzwanzig widmet sich ihrem Duft, ihrem Parfum, das sie als Signatur trägt. Eau de Lierre.
Die Worte sind knapp gehalten, doch treffen sie, wie auch seine anderen, geradezu nüchtern gelisteten Erinnerungen, direkt ins Herz. Die Kunst, mit klaren, fast sachlichen Worten eine wundervolle Poesie zu formen, berührt mich in diesem Buch auch an anderen Stellen sehr.

Dass sie mich insbesondere auch neugierig auf Eau de Lierre gemacht hat, kann man einer Duftliebhaberin natürlich nicht verdenken. Dennoch hat es - retrospektiv auch für mich erstaunlich - ein paar Jahre gedauert, ehe ich mich zu einem intensiveren Test aufgemacht habe.

Hervé Le Tellier spricht - im Grunde hier den Parfümeur zitierend - von "tiefgrünen Noten", "vegetabiler Eleganz", "trockenem Holz", "Stein". Und vor allem, und so sei der Duft an Anna, seiner Geliebten, von "warmen Tönen von Gewürz und Moschus." Jedenfalls vordergründig - der Rest ist Poesie, Liebe, Sehnsucht, diese Frau.

Und an mir, für mich? Nach einem übergrünen, grasigen Auftakt verflüchtigt sich die Schärfe bald, gibt einem weichen, saftigen, kühlen Grün viel Raum. Doch nicht nur dem Grün, sondern auch einer sanften Hautnote, die dem Duft, der Haut selbst, eine feingliedrige Sinnlichkeit gibt, ein Flirren, ein Oszillieren zwischen Kühle und Wärme. Nicht stark, aber immer präsent: die Haltbarkeit ist überraschend gut an mir. Ich rieche mich immer wieder, noch nach Stunden, es umweht mich eine Aura von feiner, sanfter, leicht herben Frische, die immer präsent ist und doch nicht greifbar.

Protagonist Yves schafft es nicht, die Duftnoten genau wiederzugeben, so lauten seine eigenen Worte. Er kann nur die Gefühle beschreiben, die der Duft in ihm auslöst. Für ihn wird Eau de Lierre auf immer Anna sein und das, was er für sie empfindet.

Auch wenn es für ihre Geschichte eigentlich kein Happy End gibt: als Poet, der er ist, nimmt er diese vergängliche Liebe, die Sehnsucht, die gelebten Momente der Schönheit und Sinnlichkeit, als ein Geschenk des Lebens an und atmet sie für immer in Eau de Lierre.
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