Orphéon 2021

Rivegauche
10.03.2021 - 18:28 Uhr
38
Top Rezension
8
Preis
9
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
6.5
Duft

Paris bei Nacht?

Als Inspirationsquelle zu Orphéon diente wohl die gleichnamige Nachtbar, die direkt an das Stammhaus Diptyque’s auf dem Boulevard Saint-Germain, zugegebenermaßen am weniger trubeligen unteren Ende dessen, angrenzte.

Orphéon soll uns nun in die Atmosphäre dieser seit langem nicht mehr existierenden Bar, dem wohl zweiten Wohnzimmer der drei Firmengründer, entführen. Und wenn dieser Duft tatsächlich an diese Bar erinnern soll, ist es kein Wunder, dass sie nicht mehr existiert.

Der Duft selbst ist relativ schnell beschrieben. Dem schon oft gerochenen fruchtig frischen Start (Johannisbeere als Reminiszenz an L’Ombre dans L’Eau?) folgt ein unschuldig floraler Hauch von Jasmin, hier von allen menschelnden Facetten nahezu unkenntlich gemacht, gerührt in einer Basis von zurückhaltendem Shampoomoschus, der immerhin leicht pudrige Kosmetikfacetten geschminkter Gesichter im Halbdunkel erkennen lässt....und luftig leichten Hölzern mit moderater Süße, die glücklicherweise nicht gezuckert wirken. Tonkabohne wird die natürlich cremige Süße beisteuern, während die trockene Zeder alles im Zaum hält, Wacholder bringt wohl die leichte Aromatik mit bei. Orphéon behält durchgehend eine eher unbeschwerte Klarheit, die immerhin langanhaltend ist.

Aber wo bitteschön ist jetzt das Pariser Nachtleben? Dieser Duft soll uns in eine Nachtbar zurückführen, in eine Nachtbar des hippen linken Seineufers, dem rive gauche in Paris...also in das Paris der Sechziger bis Achtziger Jahre. In die Zeit der sexuellen Befreiung, dem Paris des YSL, dem Paris des Karl Lagerfeld, der Sonia Rykiel, Sartre, Gréco, Gainsbourg, Hallyday etc, der Couture, dem Schick des Café de Flore, dem Deux Magots, den ersten großen Drogenerfahrungen, dem Paris des Weines, des Champagners...und am wichtigsten: dem rauchenden Paris!
Dieser Duft vermittelt leider das komplette Gegenteil, es ist Paris in Zeiten von Corona: Alle sind zu Hause, die Bar ist zu und keiner raucht mehr, die Klimaanlage funktioniert hervorragend und vegan gegessen wird eh schon lange.

Mir ist schon klar, dass nicht in jeder Nachtbar permanent ungezügeltes Leben gelebt wurde, aber bei Orphéon fehlt jegliche Leidenschaft. Nicht mal ein bis drei Funken Rauch dürfen in diesem Duft glimmen...damals haben doch alle überall permanent gequarzt was das Zeug hielt, vor allem die Franzosen mit ihren Gauloises und Gitanes. Auch der hier verwendete Jasmin ist leider frei von undesodorierten körperlichen eng an ang stehenden menschlichen Facetten am Abend, und dunkel (dunkel!) ist Orphéon gar nicht, hier scheint die 100 Watt Klarglasbirne.

Nicht falsch verstehen, der Duft ist ganz wunderbar unkompliziert und leicht tragbar, tendenziell wahrscheinlich eher feminin. Er ist sorgfältig komponiert, gut verblendet, wirkt hochwertig, ist gut haltbar und verfügt über genügend Abstrahlung. Liebhabern von Philosykos, Eau Rose oder Eau Mohéli könnte er gefallen, auch die Hermès Gärten oder die harmloseren Maison Dior Düfte kommen mir noch in den Sinn.
Wie man lesen konnte gefällt er mir nicht so, weil ich einfach das Thema komplett verfehlt finde...und den Duft halt leider auch eher langweilig. Aber als ein großer langjähriger Fan der Marke darf ich ja auch mal was nicht so toll finden.
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