L'Être Aimé Homme 2008

Intersport
31.03.2022 - 06:01 Uhr
13
Top Rezension

Detour IX: Immortelle Ikebana

Das 1986 von Yvon Mouchel gegründete Marke Divine [diˈvĩːne] könnte auf den ersten Blick als weiterer Veteran französischer Autorenparfumerie durchgehen - neben Goutal, l'Artisan oder Maître Parfumeur et Gantier - und obwohl Divine sogar mehr eigene Ladengeschäfte in Frankreich führt als mache dieser Häuser, ist das Portfolio für ein über 30 Jahre gewachsenes Unternehmen sehr überschaubar. Zwischen Veröffentlichung zu Veröffentlichung vergehen gerne Jahre, das Team der mitwirkenden Parfumeure ist ultrakompakt. Bis heute, Richard Ibanez und Yann Vasnier, wie hier bei l’être aimé au masculin. Alles Sachen die mir sympathisch sind, die Veröffentlichungen die ich kenne sind allesamt picobello, überdurchschnittlich gut - fast scheint es als ob sich das Zeit lassen lohnt, aber vielleicht noch mehr, dass, wie hier, Mouchel und Vasnier einfach miteinander gut können; dass der Parfumeur auch zwischenzeitlich mit anderen Jobs am Ball bleibt und weiss was in der Branche los ist, und der Markengründer ein stimmiges Narrativ geduldig weiterspinnen kann.

Divine's exotisch-feingliedrigtes und perfektioniert-verblendetes (Herren) Parfum ist (bis jetzt) vielleicht l’homme sage (2005), auf das 2008 l’être aimé folgen sollte. Mein Favorit ist jedoch letzteres. L’être aimé wirkt neben l’homme sage's smoother Oberfläche und tiefgründigen Volumen wie eine handgewebte Leinen Textilie oder ein indischer Khadi Loom, die Fänden sind rau, die Webung hat Spiel und ist luftdurchlässig, der Griff, leicht kratzig, funktional, robust, verlässlich - aber nicht von minderer Qualität als der samtig seidene Vorgänger. Laut Divine dreht sich bei l’être aimé alles um die Immortelle (die auch bei l’homme sage schon ein Wörtchen, sehr leise, mitzureden wusste), ja, sehe ich ganz genau so. Der Gedanke an Goutal's Meilenstein Sables (1985) liegt nahe, doch ist l’être aimé, herb, bitter, aromatisch, und vielleicht eher bretonisch (wie Divine's Herkunft), mit allen Wettern gewaschen als korsisch und sun-dried.

Wem das jetzt zu sehr nach Kräutertinktur klingt, die vielleicht eher im aktuellen Darkweb der fiktiven Heimbauparfumeure aus Vermont oder Oregon zu Hause sein könnte - Yann Vasnier ist durch und durch professioneller, industrieller Parfumeur, ein ausgezeichneter dazu, der auch hier bei l’être aimé Präzisionsarbeit geleistet hat. Exotische Gewürze, Ingwer und Kardamom kommen wie auch schon bei l’homme sage zum Einsatz, bei l’être aimé in der micro-dosing Größenordnung, bei aller bitteren Direktheit, startet l’être aimé mit einer leichten Basilikum Pfeffer Note, gerundet, geschärft und erfrischt von eben diesen Gewürzen. Sellerie, sitzt für mich hier eher an der Schnittstelle Bockshornklee/Liebstöckel, vielleicht mit einer Prise Cumin garniert. Diese Note ist nicht etwa einem Sellerie Absolut oder ähnlichem geschuldet, vielmehr koennte sie von Sotolon stammen, oder einer Facetten der Immortelle, die immer wieder der zugehörigen Deskriptoren Sprache auftaucht - also bereits an Bord und gewusst betont, getuned. Wer schon mal hochwertige Immortelle Absolut vor der Nase hatte, weiss wie vielgestaltig diese sind und dass es da bittere, kaffeeartige wie gemüseartige Facetten gibt - und nicht nur ausschließlich süsses und würziges.

Dass all diese anderen Bestandteile hier wichtige Stützfunktionen haben, ist nicht unbedingt einer geringen Dosierung geschuldet, vielmehr ist Yann Vasnier, als Meister der Dosierung, ein Immortelle zentrierter Duft gelungen, der eben nicht im dreikomponenten Schema daherkommt, vielmehr: vieles ist mikromoduliert, alles schillert. Mal blitzt ein Nuance Vétiver hervor, mal sandel-holzt es, mal grünt es minimal patchoulig. Schrieben Mouchel und Vasnier ein neues Kapitel bei Immortelle zentrierten Parfums? Yes and No. Es gibt nur eine Hand voll Parfums die sich Immortelle so unvoreingenommen vorknöpfen. Profumo's unterstehender Kommentar zu l’être aimé folgt diesen Spuren auf schönste Weise. In den vielen Fällen wird die Zutat ordentlich entschärft, entbittert, entwürzt, entsüsst, so dass sie nur mehr als wärmendes, effektives Füllmaterial daherkommt. L'Artisan's mittlerweile wieder eingestelltes Mont de Narcisse (2018) oder das ebenfalls aufgelassene Voyage en Méditerranée - Immortelle de Corse (2011) sind Paradebeispiele entcharakteririserter Immortelle. Daher, Chapeau an Divine für l’être aimé.

Fast: denn einen Haken, der aber letztendlich kein Haken mehr ist, hat die Sache: die betörend originelle Immortelle-Sellerie-Bockshornklee-usw-Note ähnelt dem im Jahr zuvor erschienenen Series Luxe: Patchouli (2007) auf überraschende Weise. L’être aimé ist heller, offener, und Series Luxe: Patchouli im Gesamteindruck ein gutes Kilohertz tiefer - aber die Schnittmenge ist erstaunlich: Letzteres ist seit Jahren eingestellt und l’être aimé glücklicher Weise nicht, erledigt, erfreulich.

Abgesehen davon, ist es vielleicht l’être aimé's räumliche Konstruktion die beeindruckt. Vasnier und Mouchel ist es gelungen ein luftiges Koordinatensystem zu entwicklen, in dem die doch oft als dicht wahrgenommene Immortelle Note mit viel 'Platz' dazwischen schwebt, fast wie ein japanisches Ikebana, bei dem der Raum zwischen den Zweigen, dieser negative Raum zwischen Volumen so wichtig ist, wie die Äste, Blätter und Pflanzen selbst - diese Eleganz zeichnet l’être aimé aus und ich denke ja, ein wunderbares und viel zu selten gelesenes Kapitel.
8 Antworten