Uncut Gem Editions de Parfums Frédéric Malle 2022
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Top Rezension
Einen raushängen lassen
Normalerweise polarisieren Düfte mit animalischen Beimischungen – man denke nur an ‚Kouros’.
Aber auch Düfte ohne nennenswerte tierische Anteile, wie dieser hier, vermögen die Geister offenbar unversöhnlich zu scheiden. Was beide Lager trennt, ist vor allem die Frage, wie empfänglich man für die Reize moderner ‚Woody Ambers’ ist, oder ob man eher allergisch auf sie reagiert. Lauwarme, unentschiedene Haltungen finden sich kaum, stattdessen wahlweise Anerkennung, ja Bewunderung, oder Kopfschütteln, bis hin zu brüsker Ablehnung. ‚Woody Ambers’ sind wahrlich nicht neu, aber sie haben seit einigen Jahren die Dufthoheit überall dort gewonnen, wo junge Männer zusammen kommen. All ihre Pflege-Produkte duften danach: Duschgele und Deos, ihre Parfums sowieso. Insofern sollte also eine Art Reizadaption diese süßlich-holzige Synthetik unserer Aufmerksamkeit längst entzogen haben, ganz so wie einen Hut, den man zwar trägt, aber gar nicht mehr merkt dass man ihn auf hat, da unsere Wahrnehmung den Dauerreiz nach einer Weile zu unterdrücken beginnt, um offen für Neues zu sein.
Hier knallt uns die Aromachemikalie ‚Ambrocenide’ der Firma Symrise aber mit einer Intensität in die Nase, die keine Reizadaption zulässt . Maurice Roucel hat sie in ‚Uncut Gem’ quasi in Übergröße ins Schaufenster gestellt – sie bildet den Dreh- und Angelpunkt des Duftes. Die Holzmindener Firma Symrise charakterisiert den Geruch ihres Produktes als ‚extremely powerful woody-ambery note’, deren massiver Einsatz einer ‚nuclear armament’ gleichkäme, einer atomaren Aufrüstung, so Frédéric Malle.
Da wird man hellhörig, gerade in diesen Zeiten.
Und tatsächlich detoniert hier eine Synthetikbombe sondergleich. Alles was der Duft sonst noch bereithalten mag, so wunderbare Noten, wie Magnolie, Weihrauch, Angelika, Labdanum: begraben unter nuklearem Ambrocenide-Fallout.
Mein Empfinden jedenfalls.
Andere vermögen offenbar einen prägnanten scharf-würzigen Ingwer-Auftakt, einen ledrig-rauchigen Ausklang zu erriechen, unterlegt von ordentlich Moschus – und wenn einer Moschus kann, dann Roucel: man denke nur an ‚Musc Ravageur’, an ‚Dans tes Bras’ und an die beiden ‚Helmut Lang’-Düfte, das Cologne und das EdP!
Allein, ich rieche (fast) nichts davon.
Was ich rieche, ist ein sprödes, scharf-holziges Aroma mit plastikartigen Untertönen und synthetischer Ambersüße, eine herb-grüne, ebenso unnatürlich wirkende vegetabile Note, die entfernt an Galbanum erinnert, und nach langem hineinschnuppern tatsächlich eine Ahnung von ‚French Lover’ – einen leisen Hauch magenbitterwürzige Angelika , einige kühle, rauchige Schlieren, sowie eine sterile Kunstlederfacette.
That’s it.
Zugegeben, ich gehöre zu jenen, die ab einer gewissen Intensität allergisch auf ‚Woody Amber’-Aromen reagieren. Womöglich ist das meinem Alter geschuldet. Ich bin schlicht in einem geruchlich völlig anderen Umfeld aufgewachsen und meine olfaktorische Sozialisation prägten Leder-Chpyres wie ‚Antaeus', aromatische Fougères wie ‚Azzaro pour Homme’ und selbst noch das Jahre später erschienene Dihydromyrcenol-gesättigte ‚Cool Water’. Apropos Dihydromyrcenol: damals fanden meine älteren Kollegen den Davidoff-Duft fürchterlich synthetisch, was ich gar nicht verstehen konnte. Da sie aber ebenfalls eine andere olfaktorische Sozialisation erlebt hatten, waren sie für die Reize des neuen Duftmoleküls nicht mehr empfänglich. Ich wiederum hätte zeitweise darin baden können.
Vermutlich haben sich mit den Jahren die Fronten verkehrt, und heute gehöre ich zu jenen, die mit den aktuell populären Aromachemikalien fremdeln. Das ging schon vor Jahren mit ‚Bleu de Chanel’ los, gipfelte schließlich in dem für mein Empfinden unerträglichen ‚Sauvage’, das ob seines Erfolges zahllose kaum unterscheidbare Nachkommen gebar (ganz wie seinerzeit ‚Cool Water’).
Und nun also: ‚Uncut Gem’.
Wäre der Duft von irgendeinem x-beliebigen Designer-Haus veröffentlicht worden, hätte es mich nicht weiter gewundert, zu groß ist offenbar das Bedürfnis nach immer neuen ‚Woody-Amber’-Kreationen, zu groß offenbar noch immer ihr Erfolg.
Dass ein Haus wie Frédéric Malle nun auch dieses massentaugliche Pferd reitet, ist natürlich einerseits verständlich, da man schlicht ein Stück vom Kuchen abhaben will, schon gar mit einem Estée Lauder-Konzern im Rücken, der vermutlich darauf gepocht haben wird, dass man sich dem Mainstream öffnen solle. Andererseits hat die Editions de Parfums ihr Selbstverständnis von Anfang an in einer Abgrenzung vom Massenmarkt gefunden, hat immer Wert darauf gelegt eigenständige, tragbare Duftcharaktere zu kreieren, die eher in der Tradition der französischen ‚Haute Parfumerie’ wurzeln, als im eigentlichen Nischenmarkt, der die Duft-Palette noch viel weiter, ja bis hin zur Untragbarkeit ausreizt.
In diesem Spannungsfeld, zwischen Mainstream hier und Konzept-Duft seligem Nischenmarkt dort, verortete sich das Haus Frédéric Malle viele Jahre mit einigem Erfolg und erwarb sich gerade unter Duft-Aficionados einen überaus soliden Ruf.
Dieser Ruf hat nun erste Risse bekommen. Wenn der soignierte Monsieur Malle höchstselbst im Werbeclip zu ‚Uncut Gem’ von Marlon Brando und der Welt von Elia Kazan schwärmt, die diesem Duft angeblich entfleuche, gerät diese Götteranrufung zum Versuch der Schadensbegrenzung. Abgesehen davon, dass mir diese ‚Promi-Washings’ schon immer suspekt war, zumal sich die Vereinnahmten nicht mehr dagegen verwahren können. Zugleich wird eine andere Stoßrichtung ersichtlich: wider die zeitgeistige Gender-Ambiguity, die gerade ältere Herren häufig zu überfordern scheint! ‚Uncut Gem’ als Manifest der Eindeutigkeit, das die Männlichkeit ungeniert feiert, das allem ‚Me Too’ zum Trotz sein Uncut Gem mal eben raushängen lässt.
Dieser Name!
Natürlich möchte man ein bisschen provozieren, aber dieses Provokatiönchen erinnert mich eher an pennälerhafte Witzeleien lüsterner Rentner, als an Brandos virile erotische Wucht. Auch geht der Namensgebung jegliche augenzwinkernde Flirtiness à la ‚French Lover’ ab, mag man auch scheinheilig darauf verweisen, man referiere doch eigentlich nur auf die Gegensätzlichkeit von elegant und sophisticated versus roh und ungeschliffen. Wenn dann aber zugleich ständig eine ausgebeulte Hosenfront eingeblendet wird, über der lässig eine Hand baumelt, ahnt man recht schnell, was selbige gleich umfassen wird – ‚Sticky Fingers’ von den Stones lassen grüßen! Mit seiner charmanten Frivolität ist Andy Warhols Cover allerdings näher an ‚French Lover’, als am vergleichsweise steril geratenen fotografischen Zitat (das in puncto Sterilität aber wieder gut mit ‚Uncut Gem’ korrespondiert).
Fazit: ein in meinen Augen unnötiger Versuch sich dem Massenmarkt anzudienen, auf den Malle und Roucel - Vorsicht, Treppenwitz! - scheinbar selbst keinen Bock haben, denn welche Heerscharen reicher junger Männer wollen sie denn auftun, die bereit sind 300 Euro für einen einzigen Flakon hinzublättern, wenn sie dafür drei Pullen ‚Sauvage’ haben können?
Angeblich arbeitet Tom Ford schon an einem neuen Duft: Arbeitstitel ‚Cut Gem’.
Ein Witz.
Aber auch Düfte ohne nennenswerte tierische Anteile, wie dieser hier, vermögen die Geister offenbar unversöhnlich zu scheiden. Was beide Lager trennt, ist vor allem die Frage, wie empfänglich man für die Reize moderner ‚Woody Ambers’ ist, oder ob man eher allergisch auf sie reagiert. Lauwarme, unentschiedene Haltungen finden sich kaum, stattdessen wahlweise Anerkennung, ja Bewunderung, oder Kopfschütteln, bis hin zu brüsker Ablehnung. ‚Woody Ambers’ sind wahrlich nicht neu, aber sie haben seit einigen Jahren die Dufthoheit überall dort gewonnen, wo junge Männer zusammen kommen. All ihre Pflege-Produkte duften danach: Duschgele und Deos, ihre Parfums sowieso. Insofern sollte also eine Art Reizadaption diese süßlich-holzige Synthetik unserer Aufmerksamkeit längst entzogen haben, ganz so wie einen Hut, den man zwar trägt, aber gar nicht mehr merkt dass man ihn auf hat, da unsere Wahrnehmung den Dauerreiz nach einer Weile zu unterdrücken beginnt, um offen für Neues zu sein.
Hier knallt uns die Aromachemikalie ‚Ambrocenide’ der Firma Symrise aber mit einer Intensität in die Nase, die keine Reizadaption zulässt . Maurice Roucel hat sie in ‚Uncut Gem’ quasi in Übergröße ins Schaufenster gestellt – sie bildet den Dreh- und Angelpunkt des Duftes. Die Holzmindener Firma Symrise charakterisiert den Geruch ihres Produktes als ‚extremely powerful woody-ambery note’, deren massiver Einsatz einer ‚nuclear armament’ gleichkäme, einer atomaren Aufrüstung, so Frédéric Malle.
Da wird man hellhörig, gerade in diesen Zeiten.
Und tatsächlich detoniert hier eine Synthetikbombe sondergleich. Alles was der Duft sonst noch bereithalten mag, so wunderbare Noten, wie Magnolie, Weihrauch, Angelika, Labdanum: begraben unter nuklearem Ambrocenide-Fallout.
Mein Empfinden jedenfalls.
Andere vermögen offenbar einen prägnanten scharf-würzigen Ingwer-Auftakt, einen ledrig-rauchigen Ausklang zu erriechen, unterlegt von ordentlich Moschus – und wenn einer Moschus kann, dann Roucel: man denke nur an ‚Musc Ravageur’, an ‚Dans tes Bras’ und an die beiden ‚Helmut Lang’-Düfte, das Cologne und das EdP!
Allein, ich rieche (fast) nichts davon.
Was ich rieche, ist ein sprödes, scharf-holziges Aroma mit plastikartigen Untertönen und synthetischer Ambersüße, eine herb-grüne, ebenso unnatürlich wirkende vegetabile Note, die entfernt an Galbanum erinnert, und nach langem hineinschnuppern tatsächlich eine Ahnung von ‚French Lover’ – einen leisen Hauch magenbitterwürzige Angelika , einige kühle, rauchige Schlieren, sowie eine sterile Kunstlederfacette.
That’s it.
Zugegeben, ich gehöre zu jenen, die ab einer gewissen Intensität allergisch auf ‚Woody Amber’-Aromen reagieren. Womöglich ist das meinem Alter geschuldet. Ich bin schlicht in einem geruchlich völlig anderen Umfeld aufgewachsen und meine olfaktorische Sozialisation prägten Leder-Chpyres wie ‚Antaeus', aromatische Fougères wie ‚Azzaro pour Homme’ und selbst noch das Jahre später erschienene Dihydromyrcenol-gesättigte ‚Cool Water’. Apropos Dihydromyrcenol: damals fanden meine älteren Kollegen den Davidoff-Duft fürchterlich synthetisch, was ich gar nicht verstehen konnte. Da sie aber ebenfalls eine andere olfaktorische Sozialisation erlebt hatten, waren sie für die Reize des neuen Duftmoleküls nicht mehr empfänglich. Ich wiederum hätte zeitweise darin baden können.
Vermutlich haben sich mit den Jahren die Fronten verkehrt, und heute gehöre ich zu jenen, die mit den aktuell populären Aromachemikalien fremdeln. Das ging schon vor Jahren mit ‚Bleu de Chanel’ los, gipfelte schließlich in dem für mein Empfinden unerträglichen ‚Sauvage’, das ob seines Erfolges zahllose kaum unterscheidbare Nachkommen gebar (ganz wie seinerzeit ‚Cool Water’).
Und nun also: ‚Uncut Gem’.
Wäre der Duft von irgendeinem x-beliebigen Designer-Haus veröffentlicht worden, hätte es mich nicht weiter gewundert, zu groß ist offenbar das Bedürfnis nach immer neuen ‚Woody-Amber’-Kreationen, zu groß offenbar noch immer ihr Erfolg.
Dass ein Haus wie Frédéric Malle nun auch dieses massentaugliche Pferd reitet, ist natürlich einerseits verständlich, da man schlicht ein Stück vom Kuchen abhaben will, schon gar mit einem Estée Lauder-Konzern im Rücken, der vermutlich darauf gepocht haben wird, dass man sich dem Mainstream öffnen solle. Andererseits hat die Editions de Parfums ihr Selbstverständnis von Anfang an in einer Abgrenzung vom Massenmarkt gefunden, hat immer Wert darauf gelegt eigenständige, tragbare Duftcharaktere zu kreieren, die eher in der Tradition der französischen ‚Haute Parfumerie’ wurzeln, als im eigentlichen Nischenmarkt, der die Duft-Palette noch viel weiter, ja bis hin zur Untragbarkeit ausreizt.
In diesem Spannungsfeld, zwischen Mainstream hier und Konzept-Duft seligem Nischenmarkt dort, verortete sich das Haus Frédéric Malle viele Jahre mit einigem Erfolg und erwarb sich gerade unter Duft-Aficionados einen überaus soliden Ruf.
Dieser Ruf hat nun erste Risse bekommen. Wenn der soignierte Monsieur Malle höchstselbst im Werbeclip zu ‚Uncut Gem’ von Marlon Brando und der Welt von Elia Kazan schwärmt, die diesem Duft angeblich entfleuche, gerät diese Götteranrufung zum Versuch der Schadensbegrenzung. Abgesehen davon, dass mir diese ‚Promi-Washings’ schon immer suspekt war, zumal sich die Vereinnahmten nicht mehr dagegen verwahren können. Zugleich wird eine andere Stoßrichtung ersichtlich: wider die zeitgeistige Gender-Ambiguity, die gerade ältere Herren häufig zu überfordern scheint! ‚Uncut Gem’ als Manifest der Eindeutigkeit, das die Männlichkeit ungeniert feiert, das allem ‚Me Too’ zum Trotz sein Uncut Gem mal eben raushängen lässt.
Dieser Name!
Natürlich möchte man ein bisschen provozieren, aber dieses Provokatiönchen erinnert mich eher an pennälerhafte Witzeleien lüsterner Rentner, als an Brandos virile erotische Wucht. Auch geht der Namensgebung jegliche augenzwinkernde Flirtiness à la ‚French Lover’ ab, mag man auch scheinheilig darauf verweisen, man referiere doch eigentlich nur auf die Gegensätzlichkeit von elegant und sophisticated versus roh und ungeschliffen. Wenn dann aber zugleich ständig eine ausgebeulte Hosenfront eingeblendet wird, über der lässig eine Hand baumelt, ahnt man recht schnell, was selbige gleich umfassen wird – ‚Sticky Fingers’ von den Stones lassen grüßen! Mit seiner charmanten Frivolität ist Andy Warhols Cover allerdings näher an ‚French Lover’, als am vergleichsweise steril geratenen fotografischen Zitat (das in puncto Sterilität aber wieder gut mit ‚Uncut Gem’ korrespondiert).
Fazit: ein in meinen Augen unnötiger Versuch sich dem Massenmarkt anzudienen, auf den Malle und Roucel - Vorsicht, Treppenwitz! - scheinbar selbst keinen Bock haben, denn welche Heerscharen reicher junger Männer wollen sie denn auftun, die bereit sind 300 Euro für einen einzigen Flakon hinzublättern, wenn sie dafür drei Pullen ‚Sauvage’ haben können?
Angeblich arbeitet Tom Ford schon an einem neuen Duft: Arbeitstitel ‚Cut Gem’.
Ein Witz.
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