Black Afghan El Nabil Extrait de Parfum
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Top Rezension
Angekommen
Als Kind hatte er geglaubt, in Afghanistan sei es warm. Und jetzt stand er fröstelnd hier, wieder hier, an einem Abhang des südlichen Hindukuschs und blickte auf die Nadelwälder der Provinz Nuristan hinab.
Er war vor einigen Jahren entgegen allen Widrigkeiten zunächst allein aus wissenschaftlichem Interesse an Sprache und Lebensweise angereist. Aber sogleich hatte ihn der karge Ernst der Landschaft gefangen genommen. Dazu die schlichte, aufrichtige Gastfreundschaft der Nuristani. Nur wenige Zehntausend von ihnen gab es; sie hatten sich in der Abgeschiedenheit viel von ihrer naturverbundenen Kultur bewahrt, welche aus einer Zeit weit vor der Islamisierung Ende des neunzehnten Jahrhunderts stammte. Und seit seinem ersten Besuch war er nun so oft wie möglich zu ihnen zurückgekehrt.
Wie üblich kannten lediglich die engsten Kollegen an der Uni sein Ziel. Familie hatte er nicht mehr und kein anderer hätte es verstanden, wo bekanntlich jeder, der diese Gegend aufsuchte, für einen Terroristen gehalten wurde. Seine Hautfarbe hätte ein Übriges dazu getan. Er lächelte grimmig bei dem Gedanken, dass er angesichts des kollektiven Misstrauens eben jene verschlungenen Pfade zur Einreise gebrauchte, für deren Nutzung man zum Verbrecher gestempelt wurde. Leute, die alles zwischen Mauretanien und Pakistan als arabisch-islamistisch verteufelten, würden nie etwas vom Leben der Menschen in Afghanistan verstehen wollen. Die allermeisten hier versuchten – wie überall auf der Welt sonst auch – doch nur, irgendwie ordentlich durchzukommen. Bloß hatten sie es damit unendlich viel schwerer als im gut gestopften Westen, wo man schon jammerte, wenn mal eine halbe Stunde der Strom ausfiel.
Tief atmete er den Geruch der Zedern ein, den er so liebte. Der Duft war um diese Jahreszeit schwächer als im Sommer, dennoch deutlich spürbar für den, der darum wusste. Das Aroma mischte sich mit der eiskalten Luft, in der die wohl ersten Schneeflöckchen des Jahres tanzten und wirbelten. In den Tälern war es noch recht mild gewesen und er spürte bei sich einen fernen Nachhall der warm-würzigen Gerüche von den Märkten, auf denen er sich unterwegs versorgt hatte. Aber jetzt füllten mehrere tiefe Atemzüge Nase und Lungenflügel mit der unvorstellbaren holzigen Frische, die sich ihm unauslöschlich ins Gemüt geschrieben hatte.
Zügig, gleichwohl mit Bedacht, trugen ihn seine Schritte vorwärts über den ausgetretenen Pfad. Der lange Fußmarsch neigte sich dem Ende zu - hinter einem niedrigen Bergkamm konnte er bereits den Rauch aufsteigen sehen. Er hatte sich nicht angekündigt. Wie auch? Sie würden sich trotzdem freuen, ihn zu sehen. Kein albernes Gejohle, kein ärgerliches Schulterklopfen. Sie würden einfach lächeln und es wäre das ehrlichste Lächeln der Welt. Sie würden ihr bescheidenes Mahl mit ihm teilen und ihm mit ein paar Handgriffen ein Lager bereiten.
Sie wäre ebenfalls da. Hoffentlich. Ihn überraschte, wie heftig er den bangen Stich in seinem Bauch spürte, sobald ihm einfiel, dass sie vielleicht nicht mehr die Tracht der Ledigen tragen würde. Normalerweise waren die Frauen in ihrem Alter längst verheiratet und hatten Kinder. Als ob sie auf ihn wartete, dachte er – oder hoffte er es? Er hatte solche Gedanken bei seinen letzten beiden Besuchen stets entschlossen niedergekämpft. Sie waren idiotisch. Oder? Nun, immerhin heirateten die Nuristani im Gegensatz zu vielen der übrigen Ethnien Afghanistans zumeist nicht innerhalb der engeren Familie. Was hielt ihn eigentlich in Deutschland, abgesehen von Gewohnheit und Bequemlichkeit? Dass er ein genügsames Leben führen konnte, wusste er von seinen bisherigen Reisen.
Er schwebte noch zwischen Denken und Träumen, als er plötzlich das Feuer erreichte, um das herum sich zum hereinbrechenden Abend alle soeben versammelten. Er schreckte auf; unwillkürlich streiften seine Augen umher, bis sie das gesuchte andere Paar gefunden hatten. Von grüner Farbe, wie so häufig bei ihrem Volk, obwohl kein zweites derart smaragden schimmern konnte. Ganz kurz hielt er inne, ruhte sein Blick in ihrem, bevor er sich wieder abwandte. Einstweilen. Er war angekommen.
Er war vor einigen Jahren entgegen allen Widrigkeiten zunächst allein aus wissenschaftlichem Interesse an Sprache und Lebensweise angereist. Aber sogleich hatte ihn der karge Ernst der Landschaft gefangen genommen. Dazu die schlichte, aufrichtige Gastfreundschaft der Nuristani. Nur wenige Zehntausend von ihnen gab es; sie hatten sich in der Abgeschiedenheit viel von ihrer naturverbundenen Kultur bewahrt, welche aus einer Zeit weit vor der Islamisierung Ende des neunzehnten Jahrhunderts stammte. Und seit seinem ersten Besuch war er nun so oft wie möglich zu ihnen zurückgekehrt.
Wie üblich kannten lediglich die engsten Kollegen an der Uni sein Ziel. Familie hatte er nicht mehr und kein anderer hätte es verstanden, wo bekanntlich jeder, der diese Gegend aufsuchte, für einen Terroristen gehalten wurde. Seine Hautfarbe hätte ein Übriges dazu getan. Er lächelte grimmig bei dem Gedanken, dass er angesichts des kollektiven Misstrauens eben jene verschlungenen Pfade zur Einreise gebrauchte, für deren Nutzung man zum Verbrecher gestempelt wurde. Leute, die alles zwischen Mauretanien und Pakistan als arabisch-islamistisch verteufelten, würden nie etwas vom Leben der Menschen in Afghanistan verstehen wollen. Die allermeisten hier versuchten – wie überall auf der Welt sonst auch – doch nur, irgendwie ordentlich durchzukommen. Bloß hatten sie es damit unendlich viel schwerer als im gut gestopften Westen, wo man schon jammerte, wenn mal eine halbe Stunde der Strom ausfiel.
Tief atmete er den Geruch der Zedern ein, den er so liebte. Der Duft war um diese Jahreszeit schwächer als im Sommer, dennoch deutlich spürbar für den, der darum wusste. Das Aroma mischte sich mit der eiskalten Luft, in der die wohl ersten Schneeflöckchen des Jahres tanzten und wirbelten. In den Tälern war es noch recht mild gewesen und er spürte bei sich einen fernen Nachhall der warm-würzigen Gerüche von den Märkten, auf denen er sich unterwegs versorgt hatte. Aber jetzt füllten mehrere tiefe Atemzüge Nase und Lungenflügel mit der unvorstellbaren holzigen Frische, die sich ihm unauslöschlich ins Gemüt geschrieben hatte.
Zügig, gleichwohl mit Bedacht, trugen ihn seine Schritte vorwärts über den ausgetretenen Pfad. Der lange Fußmarsch neigte sich dem Ende zu - hinter einem niedrigen Bergkamm konnte er bereits den Rauch aufsteigen sehen. Er hatte sich nicht angekündigt. Wie auch? Sie würden sich trotzdem freuen, ihn zu sehen. Kein albernes Gejohle, kein ärgerliches Schulterklopfen. Sie würden einfach lächeln und es wäre das ehrlichste Lächeln der Welt. Sie würden ihr bescheidenes Mahl mit ihm teilen und ihm mit ein paar Handgriffen ein Lager bereiten.
Sie wäre ebenfalls da. Hoffentlich. Ihn überraschte, wie heftig er den bangen Stich in seinem Bauch spürte, sobald ihm einfiel, dass sie vielleicht nicht mehr die Tracht der Ledigen tragen würde. Normalerweise waren die Frauen in ihrem Alter längst verheiratet und hatten Kinder. Als ob sie auf ihn wartete, dachte er – oder hoffte er es? Er hatte solche Gedanken bei seinen letzten beiden Besuchen stets entschlossen niedergekämpft. Sie waren idiotisch. Oder? Nun, immerhin heirateten die Nuristani im Gegensatz zu vielen der übrigen Ethnien Afghanistans zumeist nicht innerhalb der engeren Familie. Was hielt ihn eigentlich in Deutschland, abgesehen von Gewohnheit und Bequemlichkeit? Dass er ein genügsames Leben führen konnte, wusste er von seinen bisherigen Reisen.
Er schwebte noch zwischen Denken und Träumen, als er plötzlich das Feuer erreichte, um das herum sich zum hereinbrechenden Abend alle soeben versammelten. Er schreckte auf; unwillkürlich streiften seine Augen umher, bis sie das gesuchte andere Paar gefunden hatten. Von grüner Farbe, wie so häufig bei ihrem Volk, obwohl kein zweites derart smaragden schimmern konnte. Ganz kurz hielt er inne, ruhte sein Blick in ihrem, bevor er sich wieder abwandte. Einstweilen. Er war angekommen.
16 Antworten
SimpleLife vor 6 Jahren
2
Wow, ganz toll geschrieben! Solltest Bücher schreiben, falls du es nicht schon tust.
Stanze vor 7 Jahren
Toller Kommentar. Sehr schön geschrieben. In meiner Welt würde sie nicht mehr die Tracht der Ledigen tragen. Und er würde auch nicht dort leben können. Auf Dauer sind die Bedingungen für uns verwöhnte Westler bestimmt zu hart.
Hyazinthe vor 8 Jahren
auch wenn dein Kommi schon 3 Jahre alt ist...ich freue mich immer, zufällig auf einen deiner Kommis zu treffen. Dieser gefällt mir besonders gut, sehr emotional. - Bisch a Käpsele (großes schwäbisches Lob!)
Inger vor 11 Jahren
1
Herrlich geschrieben!
Palonera vor 11 Jahren
Ich flehe Dich an: Schreib. Das ist Deins, absolut.
Zora vor 11 Jahren
1
Wunderbar, habe mich richtig festgelesen, so das ich das Gefühl hatte den Duft schon riechen zu können. Toll.
Hexana vor 11 Jahren
Du bist ein begnadeter Storyteller! Dafür schnitze ich dir gleich einen hölzernen Pokal. Den Duft mag ich ja sowieso!
Dobbs vor 11 Jahren
Der Duft und deine Geschichte gefallen mir richtig gut!
Kleopatra vor 11 Jahren
Schön zu lesende Geschichte. Ob der was für Moschus-Kleo wäre? Obwohl, ich hab ja meinen heiligen Moschus-Gral bereits gefunden...
Tanne vor 11 Jahren
Bist ein Fäßle (das ist ein großes Kompliment :D )
Ormeli vor 11 Jahren
Eine schöne Begebenheit; vor allem auch schön beschrieben – weckt Fernweh. Empfinde ihn auch kühl aber nicht zu sehr. Das ist mir einen Pokal, der auf einem Zedernholzsockel montiert wurde wert.
Yatagan vor 11 Jahren
Sehr schön!
DuftJunkie vor 11 Jahren
Sehr schöner Kommentar mit Neugier-Effekt. Den Duft würde ich gern kennenlernen, und die grünäugige Schönheit eventuell auch :-).
0815abc vor 11 Jahren
großartig!
MisterE vor 11 Jahren
Eine feine Geschichte hast Du wieder einmal erzählt. Macht neugierig auf den Duft, der Dich zu solch gehaltvollen Worten anspornt......
Ergoproxy vor 11 Jahren
Mir hat der richtig gut gefallen.

