Senso 1987 Eau de Parfum

Antoine
07.11.2013 - 17:46 Uhr
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Duft

Wer ist denn Nastassja Kinski?

1987 war das Jahr, als Mathias Rust auf dem roten Platz landete, als Madonna "La Isla Bonita" besang, und als in der alten Bundesrepublik die Barschelaffäre hohe Wellen schlug. Ungaro lancierte 1987 seinen Duft Senso, mit Nastassja Kinski als Gesicht der Werbekampagne. Und in der weiblichen Duftwelt waren 1987 die Florientals angesagt - eine aus den Wörtern floral und orientalisch gebildete Bezeichnung für blumige und zugleich orientalisch anmutende Düfte. Charakteristisch ist ein blumig-süßes Grundthema, das durch eine üppige, harzig-würzige Basis eine orientalische Prägung bekommt. Loulou von Cacharel dürfte der bis heute bekannteste damalige Vertreter dieser Richtung sein, und auch Ungaros Senso würde ich als Florientalen einordnen. Für damalige Nasen muteten die Florientalen auf eine unerhört neuartige Weise extrem süß an. Heute, in Zeiten von Flowerbomb und Prada Candy, kommt mir Senso überhaupt nicht mehr extrem süß vor, streckenweise nehme ich fast herbe Anklänge wahr.

An einer Reformulierung, die ihn vielleicht ereilt hat, kann es nicht liegen, denn ich teste anhand einer Original-Herstellerprobe, die sich seit vielen Jahren in meinem Fundus befindet. Die fruchtige Kopfnote ist weitgehend hinüber und lässt sich nur noch erahnen. Aber die weitere Duftentwicklung ist so, wie sie sein soll und wie ich sie von damals in Erinnerung habe: Ein üppiges, exotisch anmutendes Blumenbouquet entfaltet sich auf einem reichhaltigen Bett aus Harzen, Hölzern, Gewürzen und Patchouli – süß und intensiv, balsamisch, würzig, vanillig, animalisch. Dabei ist die Basis nicht uferlos süß und geglättet, wie heute bei Frauendüften aus dem Mainstreambereich oft anzutreffen, sondern erhält durch Hölzer und Patchouli immer wieder winzige Wendungen ins Herbe, Bittere. Wie bei vielen Düften aus den 80er Jahren wird eine riesige Fülle von Duftnoten geboten; Transparenz und Beschränkung auf wenige Noten waren damals rein gar nicht angesagt. Trotzdem wirkt Senso bei aller Reichhaltigkeit auf mich weder überfrachtet noch erschlagend; ich empfinde ihn als subtilen Duft. Senso - das italienische Wort bedeutet übersetzt Gefühl oder auch Sinn - hat eine sehr feminine und sehr eindeutig erotische Aussage, und die vermittelt er, ohne plakativ oder gar ordinär zu werden. Nastassia Kinski mit ihrer starken erotischen Ausstrahlung, die trotzdem unaufgesetzt natürlich wirkte, war die ideale Werbeträgerin für Senso; sie verkörperte dessen Duftbotschaft geradezu perfekt.

Kinski, deutsche Stilikone der 80er, deren Hollywoodkarriere wider alle Erwartungen nie so richtig in die Gänge kam, geht inzwischen auf die 60 zu, und der Release von Senso liegt bald 30 Jahre zurück. Aus heutiger Sicht wirkt der Duft auf mich immer noch schön, aber dennoch angejahrt; seine Entstehung in den 80-er Jahren ist nicht zu verleugnen, und ich bin mir nicht sicher, ob sich noch viele Abnehmerinnen fänden, wenn es ihn noch zu kaufen gäbe. Oben steht zwar, Senso werde noch produziert; aber tatsächlich habe ich ihn schon sehr lange nicht mehr in den Parfümerien stehen sehen. Und die Preise und Mengen, zu denen auf Ebay zu finden ist, lassen eher vermuten, dass er auf dem ersten Markt nicht mehr erhältlich ist.

Dennoch finde ich überraschend, dass Senso - zu seiner Zeit ein durchaus gängiger Duft - hier auf Parfumo so wenig präsent ist. Bisher noch kein Kommentar, kaum in Sammlungen vertreten, kaum Bilder, keine Erwähnung in Diskussionen. Daran, dass er nicht mehr ohne weiteres erhältlich ist, kann es nicht liegen, denn gerade das trifft für viele hier "gehypte" Düfte auch zu. Ich glaube eher, es gibt Düfte - wie auch Bücher, Musikstücke, Kleidungsmoden -, die in ganz besonderem Maß ihrer Entstehungszeit verhaftet sind. Vielleicht gehört Senso zu dieser Art Düfte.
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