Vetiver Essence 2014

MonsieurTest
27.01.2021 - 11:44 Uhr
30
Top Rezension
9
Preis
7
Sillage
7
Haltbarkeit
7.5
Duft

E-Bike mit Holzrahmen oder Bobby-Car? Vetiver-Düfte mit falschen Namen

Nein, Die Essenz von Vetiver bietet dieser Duft NICHT. Stattdessen ein sanftes, von leichter Zitrik, Kardamom und Nussholz gerahmtes Vetiver, das auch manchem Süssgrasswurzel-Phobiker oder Vetiver-Einsteiger gefallen könnte. Für einen Duft, der den Namen Vetiver-Essenz verdient, wendet euch bitte an die Mönche des Monastère von Ganagobie; deren monothematischer Vétyver-Duft bietet einen wundersam genußreichen Parcours (kein Kreuzgang!) durch die vielen Vetiver-Aspekte von ätherischer Frische über wurzelherbe bis erdig-schokoladige Noten.

Dass man als Parfumliebhaber durch die Lektüre von Parfumo-Artikeln zu Düften verführt wird, deren Marken- oder Lizenzgeber einem weltanschaulich sowie Lifestyle-mäßig fern liegen, gehört zu den (vorübergehend) irritierenden Aspekten des Parfumo-Daseins. Von den irgendwie naheliegenden Designern (Armani, Boss, Cerruti etc.) landet man – wiewohl man lieber Fahrrad fährt und Autofetischisten doof findet – unversehens bei Bentley, Jaguar und Ferrari. Oder gar – als doch eher weltlich gesinnter Hedonist – bei südfranzösischen Mönchen. Und reibt sich die Augen, welche Marken und Images da nun plötzlich im (meinem?! Bin das noch Ich? Wenn ja, wie viele?) Regal prangen.

Was solls: Immer der Nase nach, immer den einleuchtendsten und verführerischsten Parfumo-Kommentaren folgen, so lautet die bewährte Pilger-Regel ins Duft-Paradies.

Vetiver gehört zu den schwierigen Noten, die viele Parfum-Liebhaber abschrecken. Bei Parfumo.de tummeln sich viele bekennende Vetiverskeptiker und Süssgraswurzelangsthasen. Doch auch manche Konversionsberichte von erfolgreich bewältigten Konfrontationstherapien kann man hier lesen. Auch der Unterzeichnende zählt eher zu den Konvertiten, hat das Würzgras (genauer: dessen Wurzeln) nicht zur Muttermilch gefressen.
Mir ist der mittelstarke Schock noch gut in Erinnerung, als ich erstmals das herbe Guerlain-Vetiver von 1959 unter der Nase hatte. Es brauchte wahrlich einige Annäherungsversuche, um diesen Klassiker des Lieblingshauses zu schätzen. Doch trag ich diesen schweren, erdigeren Gesellen der alten Schule immer noch seltener als seinen gefälligen, mit Tonka-Zeder eingehegten von Herbtabak befreiten, mithin gebremsten und weit weniger extremen Sohn. Welcher auf den Namen Guerlain Vetiver Extrême getauft wurde; Duftnamen sind oft irre!

Dieser Ferrari-Duft ist zwar nicht irre, doch fürchten muss sich eigentlich kaum jemand vor ihm. Dieser Vetiver kommt nicht laut dröhnend um die Ecke (wie das unschuldig benamste Encre Noir von Lalique), er schleicht eher sanft surrend wie ein E-Bike heran. Ein wenig zitrische Frische mit Grapefruit und Petigrain (aber nix von der genial ellena‘schen Schärfe eines Terre de Hermes) im Köpfchen; ein paar sanfte Würzeleien mit Kardamom-, Kaffee- und Iris-Stäubchen rund ums Vetiver-Herz – und schließlich ein wenig Holz untenrum und hintenraus. Wobei meines Erachtens die sanfte Nussholznote tatsächlich ein raffiniertes, elegantes Gegenlager zum grünherben Vetiver bietet.

Fazit: Das Vetyver der Mönche vom Monastère de Ganagobie ist der echte, naturnahe Wander- oder Fahrrad-Duft: die Vétyver-Essenz! Guerlains alter Vetiver ist ein zwar ziemlich kantiger und wuchtiger, doch herb-eleganter Klassiker der Duftrichtung: ein stark motorisierter Oldtimer mit abgewetzten Ledersitzen, in dem mal geraucht wurde.
Ferrari (näherhin: die lizenznehmende Perfume Holding) bietet ein nicht schlecht gemachtes, heutiges Vetiver-Vergnügen, das praktisch und wendig ist. Wobei die Materialien hier schon ein wenig künstlich wirken – und zu einem womöglich etwas wackelig verschraubten Aromenakkord gefügt wurden: gleichsam ein E-Klapprad mit mauem Akku. Das passt in die S-Bahn, den Zug und in den Kofferraum. Das kann man mal urban einsetzen, aber es geht auch in der Natur. Eher sportlich als elegant wirkt es; passt folglich besser zu Jeans & T-Shirt als zu Anzug und Manschettenknöpfen.
Das freundliche Wässerchen taugt mehr für Übergangsjahreszeiten als für Extremtemperaturen. Haltbarkeit und Sillage sind moderat und widersprechen somit definitiv dem Beast Mode, jenem Aufdröhnen, welches man von Ferrari doch markengerecht erwarten würde.
Noch gibt es diesen humanen, ein wenig lahmen Duft, eher Bobby-Car als Bolide (das ist ein Kompliment, Leute!), online zu moderaten Preisen.

EPILOG und kleiner VORSCHLAG zur Anpassungen von Säften, Namen und Marken:
Als Sprach- und Nasenarbeiter ist man, nun ja, stets bemüht, die Worte und die Dinge (Les mots et les choses – um ein wenig mit Foucault zu fuchteln) in Übereinstimmung zu bringen. Ordnung soll sein, finden wir, ganz unneurotisch!
Wir bitten also Guerlain, die Namen auf ihren Vetiver und Vetiver Extrême Abfüllungen auszutauschen. Ferner wird folgender Ringtausch beantragt: Lalique reicht den scharf-lauten Inhalt seines Kunst-Vetiver-Dröhners ‚Encre Noir‘ an den Ferrari-Lizenznehmer weiter. Unter dieser Marke darfs richtig röhren! Ferraris/Perfume Holdings schon schönes, wiewohl doch durchschnittliches Mitteklasse-Gebräu soll nun von Ford vertrieben werden als Grey Vetiver (so passt es!).
Während der freigewordene Name Vetiver Essence jetzt mit gutem Recht an die Mönche des Ganagobie-Klosters übergeht, die genau dies (zu christlichen Preisen!) bieten. Deren elegant ypsilonierter Vétyver-Name mag jetzt meinetwegen an Lalique gehen – wobei ich nun den Überblick ein wenig zu verlieren drohe, was denn Lalique künftig in diese tollen Flacons füllen soll, deren bisheriger Inhalt ja nun als Ferrari vermarktet wird. Sachdienliche Hinweise bitte an Monsieur Teste, c/o Paul Valéry, Cimetière Marin, Sète, France – oder an Lalique.
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