Meggi
Top Rezension
36
Entschuldigung - gehört die tote Fliege da eigentlich rein?
Vor einigen Tagen habe ich mal wieder das Sortiment der Hamburger-Hof-Parfümerie in Nasenschein genommen, während sich meine Frau in der Kosmetik-Abteilung betüteln ließ. Ich hatte mich bereits verabschiedet und stand längst neben meinen Lieben, da kam die Verkäuferin noch einmal zu mir und drückte mir einen Tester mit Symphonie-Passion in die Hand. Als ich das Schätzchen freudig begutachtete, erspähte ich, flüssigkeits-gesättigt im edlen Saft treibend, eine Art Fruchtfliege. Im lupenhaft gewölbten Röhrchen schien sie auf bald das Doppelte des Normalen vergrößert, ein im Kontext geradezu grotesker Anblick.
Na ja, immerhin kennen wir hier einen Parfümeur, der eine seiner Kreationen mit einem Tröpfchen Pipi veredelt wissen will. Warum sollten andere derlei Alchemie nicht mit einer Fliege probieren? Daher habe ich ganz entspannt nachgefragt, ob die tote Fliege da eigentlich reingehöre. Rasch wurde ein zweites Röhrchen zutage gefördert - ohne Insekten-Einlage. Es handelte sich also wohl um einen Einzelfall, ein bedauernswertes Geschöpf war zum falschen Zeitpunkt in den falschen Glasbehälter gekrochen…
Zum Duft: Pfingstrose? Ein gewisses Stechen liegt in der Luft, ohne Phantasie kann ich der Angabe freilich zunächst nicht folgen. Symphonie-Passion legt vielmehr los mit einer beinahe lakritzhaften Vetiver-Holz-Anmutung, die – da hat der werte Herr Yatagan vollkommen recht – eine deutliche Anleihe bei Encre Noire genommen hat, aber ungnädiger daherkommt, wie ein Quervergleich bestätigt. Der Lakritz-Spur kann ich ohne Unterbrechung eine Weile nachgehen. Es genügt nicht allein der Begriff „süßholzhaft“, es lässt sich ohne weiteres gar an Salmiak denken. Ich könnte mir vorstellen, dass Symphonie-Passion in diesem Stadium gut gegen eine aufziehende Erkältung hilft.
Innerhalb einer Viertelstunde scheint der Duft in seinem bisher essenzhaft-eingedickten Auftritt wie von einem bitter-verkohlten Schleier überworfen. Er entwickelt dadurch einen stumpfen und düsteren Charakter, anspruchsvoll zu tragen. Zumindest bleibt die Sillage zurückhaltend. Binnen ein, zwei Stunden schält sich der Verdacht heraus, dass für den durchgängig diagnostizierbaren „Stich“ im vorderen Teil das entsprechende Vermögen der Päonie (mit)-verantwortlich sein könnte.
In den Nennen-wir-es-Verlauf kehrt in den folgenden Stunden eine relative Ruhe ein, das Lakritzmäßige weicht und der Duft wird insgesamt runder. Allerdings nur minimal, und ein Gedanke um die Mittagszeit, es gebe womöglich einen Schwenk in Richtung Süße (Sandelholz), entpuppt sich als temporäre bzw. Irr-Wahrnehmung. Nach meinem Empfinden haben wir es im Kern bis in den Abend hinein mit einem holzig-stichigen Missgelauntes-Vetiver-Duft mit lakritzartigem Rest zu tun. Allenfalls ein diffuses Halo mag auf staubige Zeder verweisen, bis ganz nach hinten raus bin ich mir dessen jedoch nicht sicher. Ich hätte abends zudem auf Thuja getippt, ihrerseits nicht eben ein geruchlicher Schmeichler.
Dass die Stich-Note sich im Laufe des Tages allmählich unmerklich von (mutmaßlich) Päonie zu (wahrscheinlich) Gummi-Bitter-Vetiver wandelt, ist technisch spannend gemacht. Bloß fällt mir das Stör-Element zu stark aus. Im Grunde ist der Stich kein Stich, er ist der letztlich vorherrschende Geruchs-Eindruck.
Meine Erwartungen an Symphonie-Passion waren hoch gewesen, schließlich ist LAVS aus demselben Hause ein Weihrauchduft der Oberklasse. Da kann der neue Kollege nicht mithalten – ich finde ihn lediglich ordentlich.
Nebenbei bemerkt: Seit langem hat mich kein Marketing-Text mehr derart bestirnrunzelt. Es mag an meinen – allemal für das angemessene Erfassen philosophisch-poetischer Ambitionen – unzulänglichen Englisch-Kenntnissen liegen. Aber ich habe eher das Gefühl, dem Dargebotenen wohnt jene Form von Unergründlichkeit inne, die sich nicht aus dem tieferen Welten-Verständnis eines größeren Geistes speist, sondern schlicht aus prätentiös-wirrem Gelabere herrührt.
Fazit: Sie hätten es vielleicht mal mit Fliege versuchen sollen.