"Frau Tonis Parfum" aus Berlin ist ein recht junges und recht angesagtes Label, das seine minimalistisch verpackten Düfte (das Design erinnert an Byredo ebenso wie an einige Dupe-Abfüller) sowohl über eigene Kanäle, als auch über den Fachhandel (etwa über das KdW) vertreibt. Wenn man seine Werbeaussagen genau liest, so heißt es dort zwar, dass "Berliner Manufakturdüfte" vertrieben würden, von eigener Herstellung ist jedoch nicht die Rede. Leicht erkennbar ist (dies wird nicht betont, es wird aber auch kein Geheimnis daraus gemacht), dass es sich bei etwa die Hälfte der Frau-Toni-Düfte um Abfüllungen der (sich hier bei Parfumo zu Recht eines großen Freundeskreises erfreuenden) Traditionsfirma "Harry Lehmann" handelt. Dies ist bei "Vild" ganz offenbar nicht der Fall, sodass ich annehme, dass es sich um eine "Leihabfüllung" eines anderen Berliner Kleinunternehmens (oder tatsächlich doch um eine Toni-Eigenentwicklung) handelt.
Ich habe mich mit Toni-Düften bisher nie befasst, zumal ich die meisten Düfte der "Harry-Hälfte" des Sortiments vom "Original" her, also von den (preiswerteren, aber identischen) Lehmann-Produkten schon kenne. Als mir eine Freundin kürzlich eine Toni-Probe schenkte, an die sie in Gestalt eines Giveaways vom Rande der Fashion Week gekommen war, konnte ich also froh sein, dass es sich mit "Vild" um einen Duft aus der sozusagen transleithanischen, also der "Nicht-Harry-Reichshälfte" handelte, der mir bis dato folglich unbekannt war.
Mein erster Kontakt mit Frau Toni, er verlief etwas überraschend, aber letztlich erfreulich. Der Duft steht etwa 10 Sekunden lang auf seiner stechend-alkoholischen Startposition, ehe er (sozusagen etwas retardiert) zu laufen beginnt. Was dann kommt (und sich im weiteren Verlauf dann auch nur noch graduell weiterentwickelt), erinnert ganz fulminant an einen erzbekannten modernen "Markerduft", der mich (anders als andere) nie umgehauen hat, der aber schon sehr unverwechselbar ist, nämlich an Tuscan Leather. Ich hatte das nicht erwartet, auch der Name weist ja nicht unbedingt darauf hin, aber nach einigen Sekunden "ach um Gottes Willen, das ist ja genau wie...?" war mir der Referenzduft völlig klar.
Ein Blick auf die Inhaltsangaben hier bei Parfumo bestätigt das Bild: Die (deklarierten, in Wirklichkeit werden es ja sehr viel mehr sein) Inhaltsstoffe sind nahezu identisch: Leder, Safran, Himbeere, Thymian, Jasmin, Amber. Übrigens sind die Ingredienzen bei TL als klassische "Pyramide" formiert, bei Vild stehen sie nur linear nebeneinander. Das mag Zufall sein, korrespondiert aber mit meiner Wahrnehmung, dass TL entwicklungsstärker und Vild linearer daherkommt (das ist kein Qualitätsurteil). Wie auch immer, sowohl der subjektive Dufteindruck als auch die objektive Mixtur sind dem Tom-Ford'schen Kultduft schon recht schmerzfrei nahe.
Inwieweit das ein rechtliches Problem ist oder nicht, müssen die Leute bei "Toni's" wissen. Aus Käufer- und Nutzersicht ist die, sagen wir mal, Parallelschöpfung, jedenfalls uneingeschränkt zu begrüßen. Denn mir persönlich hat TL nie perfekt gefallen, ich finde den Duft etwas zu hart, zu trocken und phasenweise auch zu fruchtig. "Vild" empfinde ich als, wenn man genauer hinschnuppert, dann bei aller Ledrigkeit doch sehr viel harmonischer, weicher, voller, sanfter und runder als das "toskanische Original". Wenn man sich nochmal die Zutatenliste ansieht, kann man vermuten, woran das liegen könnte: Dem TL wurden die spitzen Holz- und Weihrauchzähne gezogen, und obwohl ich Weihrauchfan bin (Holzfan weniger) muss ich sagen: Das tut dem Duft sehr, sehr gut! So wirkt er zugleich "vild" (was, wie ich recherchiert habe, auf dänisch, schwedisch und isländisch "wild" bedeutet, je nach Sprache teils sowohl mit der positiven Nebenbedeutung "frei", als auch mit der negativen "wüst") und sanft. Das ist richtig schön!
Der Duft weist eine ordentliche, aber nicht mörderische Sillage auf, und die Haltbarkeit ist mit über 8 Stunden alleman befriedigend. Im Drydown kommen noch einmal Unterschiede zwischen Tom und Toni zum Vorschein. Wo Tom sich am Ende überraschend ins Süße dreht, klingt Tonis "Vild" auf einmal sehr grün, leicht und in einer fast zitrischen Frische aus, was ich (erneut) als den gelungeneren Ausgang des Stücks empfinde.
Da schlussendlich auch der Preis zwar alles andere als ramschig ist (ein deutlich dreistelliger Betrag wird für 100 ml schon aufgerufen) , aber immer noch etwa 50% unter dem Niveau des Amerikaners liegt, schließe ich mich der Wertung von Hoffi16 uneingeschränkt an: Vild - der bessere TL!