Sun di Gioia 2016

AndYouAndI
31.05.2017 - 17:43 Uhr
23
Top Rezension
7
Flakon
6
Sillage
6
Haltbarkeit
7
Duft

Whatever floats your boat ...

Vor einigen Jahren, während meines Referendariats an einem Wolfsburger Gymnasium, trug ich täglich ein und denselben Duft (heute würde ich dazu ganz parfumocool „Signature Scent“ sagen), und zwar „Acqua di Gioia“. Ich kaufte den Duft sogar nach und verbrauchte während der zwei Jahre zwei große Flakons. Mit Düften hatte ich mich zu diesem Zeitpunkt kaum befasst, aber ich besaß seit meinem 14. Lebensjahr Parfums, vornehmlich Drogeriedüfte von Esprit etc., aber auch einige von Armani, Hugo Boss usw. Die Welt der Nischendüfte hatte sich mir zu jener Zeit noch nicht eröffnet. Auf besagten „Acqua di Gioia“ wurde ich während dieser zwei Jahre häufiger angesprochen, durchweg positiv. Er schien mir auch sehr geeignet für die Schule, nicht aufdringlich, gepflegt, frisch - wunderbar.

Mein damaliger Partner sah das etwas anders. Er mochte den Duft nicht sonderlich und befasste sich zu jener Zeit bereits mit Parfum, war häufiger auf der Parfumo-Seite. Und hat mich irgendwie angesteckt. Heute, Jahre später, besitze ich fast keinen Mainstreamer oder Drogerieduft mehr. Meine Sammlung ist seither stetig gewachsen, ich hatte schon viel unter der Nase und auf der Haut, und noch immer bin ich neugierig, will mehr testen, meine Nase schulen, meine Sinne, will Neues entdecken, meinen Geschmack weiter formen. Ich bilde mir ein, Duftnoten mitunter deutlich herauszuriechen und die Entwicklung mancher Düfte klar beschreiben zu können, habe „Lieblingsparfumeure“ und „Lieblingsmarken“, habe klare Vorlieben und Abneigungen, einen Hang zu Ecken und Kanten bei gleichzeitiger Tragbarkeit und eine Sammlung, die die Zahl 40 überschritten hat und in Teilen durchaus als höherpreisig zu bezeichnen ist, wenngleich es da nach oben ja keine Grenzen zu geben scheint. Ich besitze mehr Parfum, als ich je verbrauchen werde. Aber nicht genug.

Während dieser Zeit hat sich nicht nur meine Sammlung verändert, sondern auch mein Blick auf die Welt der Düfte. Ich ertappte mich zunehmend häufiger dabei, einen Mainstreamer, der mir unter die Nase kam, als „einfach“, „künstlich“, „platt“, „eindimensional“, „ohne Entwicklung“, „nervig“ und – ganz klar – für mich untragbar abzutun. Ich konnte mir zeitweilig wirklich nicht mehr erklären, wie mir „so etwas“ früher reichen, ja gar gefallen konnte. Mir fehlte – und fehlt – sehr oft das Außergewöhnliche, das Feine, das sorgsam Verwobene, der Charakter, eine deutliche Duftentwicklung, und ich störe mich mittlerweile auch daran, einen Duft quasi an jeder Ecke zu riechen – das hat mir früher nichts ausgemacht. Neulich nun bot jemand im Souk „Sun di Gioia“ an, zu einem unschlagbaren Preis, und ich musste zuschlagen. Ein Blindkauf für sehr wenig Geld, und ich war neugierig, ob die Verwandtschaft zu meinem einstigen Begleiter erkennbar sein würde. Und das ist sie.

Sun di Gioia startet mit einer spritzigen Bergamotte, die zartblumig umhüllt daherkommt, um sogleich an „Eau Océane“ zu erinnern, und an mein altes Acqua di Gioia. Es sind die „maritimen Noten“. Zwar sind bei Eau Océane und Sun di Gioia die Parfumeure je andere, aber das Haus, Firmenich, ist dasselbe. Mich würde also nicht wundern, wenn Cascalone und Paradisone -"von Firmenich entwickelte Duftmoleküle, die aquatisch-frisch riechen" -, auch hier enthalten sind. Sun di Gioia macht keine große Entwicklung durch. Das Frische wird bleiben, aber die Blüten und ein Hauch Kokos, milchig und cremig, umspielen den Träger nun einige Stunden. Der Duft wird nicht zu süß, aber bleibt etwas künstlich, die Sillage ist mäßig, aber bei Wärme nicht zu unterschätzen. Ich habe den Duft heute den ganzen Tag getragen und einmal nachgelegt, und ich habe mich wohl gefühlt, zart erinnert an eine Zeit, in der ich noch nicht auf der Suche war nach dem immer neuen olfaktorischen Kick.

Sun di Gioia ist für mich Bestätigung und Ermahnung gleichermaßen. Bestätigung, weil ich einmal mehr merke: Das wäre für mich heute einfach kein 9er oder 10er mehr. Zu flach, zu wenig komplex, zu unnatürlich, zu gefällig wohl auch. Und Ermahnung, weil ich ihn mag, heute, an mir. Weil er nicht die Welt kostet. Weil er gefällig ist, also gefällt, sicher auch nicht nur mir, sondern Menschen in meinem Umfeld. Weil es einen Grund gibt, warum ich seine Schwester, Acqua di Gioia, damals sogar nachgekauft habe. Um mal ein maritimes Bild zu bemühen: Whatever floats your boat. Sun di Gioia darf bleiben. Er passt gut in den Sommer. Und in meine Sammlung.
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