Cologne du 68 2006

Wolf
17.06.2015 - 15:23 Uhr
10
Sehr hilfreiche Rezension
7.5
Flakon
5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
9
Duft

Eau de Cologne merveilleuse

Lange schon stand Cologne du 68 auf meiner mentalen Liste der intensiver zu testenden Düfte. Ich fand ihn beim ersten Kennenlernen recht interessant, aber irgendwie geriet er dann doch in Vergessenheit. Nun habe ich ihn mir mal wieder vorgenommen und bin begeistert von diesem ungewöhnlichen und so gar nicht „colognigen“ Cologne, geht es doch deutlich und weit über das hinaus, was ein Eau de Cologne, vor allem die klassischen Vertreter dieser Gattung, üblicherweise ausmacht.

Die Kopfnote bringt zwar noch eine Bergamotte-Kräuternote mit, jedoch fehlt die für ein klassisches Eau de Cologne typische, scharfe Nerolinote. Hingegen drängt sich hier sofort eine dunkelgrün-krautige Anmutung in den Vordergrund und unterstreicht so die dunkleren und bittereren Töne der Bergamotte. Der Duft wirkt saftig, aber eben nicht erfrischend-saftig, sondern dunkelgrün-bitter-saftig wie ein Bündel frisch gehackter Kräuter. Erste Anzeichen von Holz kommen hier auch schon ins Spiel.

Im weiteren Verlauf zeichnet sich der Duft dann durch ein Wechselspiel mannigfaltiger Düfte, Noten und Nuancen aus. Ob es sich hierbei wirklich um 68 Ingredienzien handelt, wie auf dem Flakon angegeben oder um deutlich mehr oder gar erheblich weniger, fest steht, dass hier ein hochinteressantes und komplexes Wechselspiel der unterschiedlichsten Komponenten kreiert wurde. Ich würde sogar fast so weit gehen, von einem Cologne im sechsdimensionalen Raum zu sprechen, denn der Duft spannt sich zwischen insgesamt sechs Achsen aus: zitrisch, blumig, holzig, krautig, würzig, süß. So entsteht ein changierender Duft, der Gegensätze benennt, aber eben nicht gegenüberstellt, sondern sie harmonisch zu einem Ganzen vereint. Er erscheint warm und kühl, holzig und frisch, transparent und komplex. Dabei wirkt er jedoch keinesfalls überladen. Vielmehr entsteht durch diese Vielzahl an Nuancen - und so würde ich die angegebenen Duftnoten am ehesten verstehen wollen - ein seidig-perlmutten schimmerndes Parfum.

Als Konstante zieht sich nach dem Abflauen der frisch-dunkelgrünen Kopfnote eine moderne Interpretation der Guerlinade durch den Duft: Die Ahnung eines Sträußchens Kräuter der Provence, ein Hauch Bergamotte, sowie Tonkabohne, eine sanft-rauchige Vanille und ein Hauch von Schokolade und Karamell, wodurch die Vanille eher in Richtung Gianduja oder, wie auf dem Flakon angegeben, Praliné geht. Auch ein wenig schwarzer Tee mit einem Schuss Milch schwappt mir immer wieder in die Nase. Später schiebt sich auch immer wieder ein holziger Eindruck in den Vordergrund. Und um all dies herum der zarte Perlmuttglanz und das Farbspiel der vielen Nuancen und Facetten. Aber all das geschieht immer wohl dosiert und sehr fein ziseliert.

Vermutlich liegt hier aber auch für mich der Knackpunkt, warum ich diesem feinen Parfum „nur“ 90% gebe. Die Schönheit, Ausgewogenheit und Feinheit wird auf Dauer dann doch auch ein wenig langweilig. Das ist zugegebenermaßen auf hohem Niveau gejammert, aber zu einem wirklichen 100%-Knaller fehlt mir das letzte Quentchen, der gewisse unerwartete oder genialische Kick. Cologne du 68 ist, kulinarisch gesprochen, ein sehr sehr gutes Drei-Gänge-Menü, aber eben kein Acht-Gänge-Gourmet-Menü mit dazu passenden Weinen.
Trotzdem ist es große Parfumeurskunst: Ein durchaus moderner und zeitgemäßer Duft, der aber seine Wurzeln nicht verleugnen kann und will, eine moderne Neu-Interpretation und Evolution des Themas Eau de Cologne gepaart mit Traditionsbewusstsein und der typischen Qualität dieses großen Hauses.

Ein echter Guerlain. Bravo!
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