Jicky 1889 Eau de Toilette

Serenissima
15.06.2021 - 00:13 Uhr
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Top Rezension
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Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8
Duft

zuerst der Duft der Dandys

In Familiengeschichten zu stöbern hat so seinen ganz eigenen Reiz.
Besonders natürlich, wenn diese Familie Guerlain heißt und so mit fünf Generationen die Duftwelt mit bemerkenswerten Kreationen beglückte.
Derartige Informationen um die großen und auch kleineren Klassiker der Düfte bringen mir diese näher. Denn ich liebe Düfte mit Geschichte und Geschichten.
So natürlich auch "Jicky".

Als die Söhne Guerlain 1864 ihrem Vater Pierre-François-Pascal folgten, war die Verteilung der Rollen im Unternehmen klar: der jüngere Bruder Gabriel übernimmt dessen Leitung; Aimé kann sich ganz den Kreationen von Düften widmen. Was er auch erfolgreich tut.
Nachdem er sich mit "Fleur d'Italie" und "Excellence" einen Namen gemacht hatte, wollte er andere, bis dahin unbekannte Wege gehen und produzierte auch prompt einen Skandal!
Es geht doch nichts über einen ordentlichen Skandal!
Das war sicher auch damals nicht anders!
Man zerriss sich die Mäuler; aber was machte das: meistens zog ein ordentlicher Skandal den Erfolg an!
So kam es natürlich auch bei "Jicky".

Die Zeit war reif, etwas Neues auszuprobieren und Aimé wagte es einfach:
Er verwendete für die Herstellung von "Jicky" die ersten synthetischen Duftstoffe; etwa Kumarin oder das der Vanille entnommene Aldehyd Vanillin. (Heute noch im gleichnamigen Zucker zu finden.)
Es rauschte schon ganz gehörig im Duft-Blätterwald: Was macht er denn? Er traut sich was!
Denn ein Damenparfum hatte doch nach Blumen duften; ein gut zusammengestelltes opulentes Bouquet, süß und blumig duftend, aus Rosen, Veilchen und Jasmin erwartete man.
Doch "Jicky" war plötzlich so anders, halb orientalisch und würzig-aromatisch.
Die Duftnoten purzelten mehr oder weniger durcheinander; "Jicky" war ein gänzlich neuer, undefinierbarer Duft, der nichts Bekanntem ähnelte.
Als "Jicky" auf den Markt kam, erschien etwas Unerwartetes: dieser Duft wurde plötzlich überwiegend von Männern gekauft. "Jicky" wurde der Duft der Dandys!
Sie hatten ihre Leidenschaft für dieses schwer zu entschlüsselnden Duftwesen entdeckt, und erst nachdem 1912 eine Zeitschrift "für die Dame" sich ihm widmete, konnte "Jicky" auch die Damenwelt erobern.

Mit dieser Geschichte im Hinterkopf testete ich "Jicky", das Eau de Toilette, zum zweiten Mal; die ersten Versuche hatten mich etwas verwirrt.
Nun, kein Wunder, wie ich jetzt weiß!

Gleich zu Beginn erinnert "Jicky" an ein Duftduett aus Bergamotte und Lavendel, von frischem Gesang durch Mandarine und Zitrone begleitet, wozu Rosmarin würzig vor sich hin brummt.
Ein sehr südfranzösischer Einstieg in dieses Dufterlebnis; die Provence mit ihren so unterschiedlich duftenden Landschaften lässt grüßen!
Diesen Eindruck vertieft noch die pfeffrige Würze von Basilikum, bevor die schweren Duftschwaden des weißen Jasmins und die edle, nicht weniger duftintensive Rose die Bühne betreten.
Nicht nur gefolgt von der Iris, die auch hier für etwas pudrige Weichheit sorgt, sondern erstaunlicherweise auch von Patchouli und Vertiver: was wollen diese zwei denn schon hier?
Sie hätte ich in einer Herznote nicht vermutet und nun wird mir klar, weshalb ich beim ersten Kennenlernen so fremdelte: Aimé Guerlain hat wirklich den sonst so geschmeidigen Aufbau der klassischen Duftpyramide durchgeschüttelt und so eine nicht blumig-weibliche, sondern auch würzig-erdige Mischung kreiert, die nicht ganz so weich und rund ist.
Dafür bleibt er in der Basis aber weitgehend dem Gewohnten treu: die schönsten Aromaten tauchen hier in trautem Beisammensein auf.
Schon allein durch das edle Rosenholz (wie liebte ich den seidigen Schimmer meines kleines Nähtischchens aus Rosenholz, den leichten Duft, wenn die Sonne auf ihn schien und das Holz erwärmte).
Es wird begleitet von einem überraschenden Akkord aus Gewürzen und Leder, bevor sich die rauchigen Wolken von Weihrauch und Amber melden; ein bisschen kratzig-harzig und so auf Sandelholz einstimmend, das ja auch nicht immer ganz anschmiegsam ist.
Diese Kreation behält ihren besonderen, nicht nur weiblichen Charme bei, versöhnt ein bisschen mit dem bisher Unerwarteten; der Duftfluss beginnt ruhiger dahinzuströmen, die Wirbel, die für einige Überraschungen sorgten, werden weniger.
Aber das scheint nur so: schockiert doch Zibet plötzlich mit einer Animalik, die niemand erwartet hätte. Vanille und Tonkabohne sorgen durch ihre sehr großzügig Wärme auch noch dafür, dass diese Nuance sinnlich aufblühen kann.
"Jicky" hat sein Finale - mit Pauken und Trompeten und einem überraschend erotischen Tusch!

Schon deshalb muss "Jicky" bei seinem ersten Erscheinen 1889 schockiert haben!
Wo waren die opulenten Blumengebinde, die feinen Hölzer und all das weiblich Verspielte, was von einem Damenduft erwartet wurde?
Erst der für verwöhnte Damennäschen herb-würzige Einstieg, der an urwüchsige mediterrane Natur erinnerte, und dann auch noch so deutlich auftretende Sinnlichkeit.
Eine "anständige Frau", und dafür hielten sich die Kundinnen des Hauses Guerlains Ausgang des 19. Jahrhunderts, trug so etwas nicht!
So ist es kein Wunder, dass sich die Dandys auf dieses neues Duftwesen stürzten: endlich hatten sie etwas entdeckt, wodurch sie ihre Persönlichkeit unterstreichen konnten.
Ein Blick auf die bekannten Jahreszahlen zeigt, dass das für gut zwanzig Jahre so blieb.

Inzwischen hat sich "Jicky", das ich hier als Eau de Toilette testete, seinen Platz erobert: es wird von Frauen und Männern getragen und die Brisanz seines schockierenden Auftritts ist längst Vergangenheit. Niemand fragt mehr danach.

Ein wenig fehlt mir der harmonisch-runde Duftverlauf, der mich bei den Guerlain-Düften immer wieder entzückt und dem ich mich hingeben kann, wie einer warmen liebevollen Umarmung.
"Jicky" unterbricht diese gleichmäßige Harmonie immer wieder durch unerwartete Untiefen im Duftstrom, einige Ecken und Kanten.

Das macht sicher den besonderen Reiz dieses Duftes aus; hält mich aber ein wenig auf Abstand.
Ich fremdele auch nach mehreren weiteren Tests und weiß: Du bist schön, charmant und leidenschaftlich - aber nichts für mich!
So gestehe ich "Un défait en amour" ein - eine Niederlage in einer Duftliebe, die so gern für mich gewinnen wollte.
Aber "Jicky" ist so vielgeliebt, dass ich ihm beruhigt den Rücken zukehren kann.
Ich freute mich trotzdem, diesen zweiten Versuch vorgenommen zu haben; weiß ich doch jetzt, woran es liegt: für "Jicky" ich bin zu sehr Weibchen!
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