L'Heure Bleue 1912 Eau de Toilette

MonsieurTest
16.10.2022 - 13:36 Uhr
50
Top Rezension
8
Preis
9
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft

TERZINEN über VEILCH VANI NELKIGKEIT. Die unvergängliche, mel ANIS cholischste Schönheit seit es Guerlinade gibt

Meilenstein, Meisterwerk, Monument: Jacques Guerlains 'Blaue Stunde' bezaubert noch heute.
Wie fass ich Dich, Du dunkelpudrig feinst abgestimmtes Duftjuwel?
Direkt geht das wohl nicht; einen Umweg braucht es.
Mit Goethes Tasso soufflieren wir:
Und wenn der Teste bei so nem Duft verstummt,
Gab mir ein Hofmannsthal zu sagen, was ich fühle.
Will sagen: Mit diesem wunderschönen, dunklen, sentimentalen, sinnlichen, tiefen, blumig pudrig schattierten doch keineswegs pfauenhaften Duft verbinde ich ein paar Erinnerungen. Den oft beschriebenen Jahrhundertduft von Jacques Guerlain hier analytisch aufzudröseln und seine mild melancholischen, dabei absolut kunstvoll gefassten Duftstimmungen mit unauffindbaren eigenen Zeilen zu kommentieren, das verschlägt mir die Worte. WIE soll man solch runde, tiefe, matte Duftschönheit in Prosa nachbuchstabieren? Wie schreibt man solche traumhaft dunkle Vanille, die in der Nase klingt wie Vanalle oder Vanulle? Wie?
Was ich schon lange mit mir rumtrage, soll nun with a little help from Hugo von Hofmannsthal, am Gängelband seiner 'Terzinen über Vergänglichkeit', mitgesummt, nachgehaucht und aufgeschrieben werden.
Die Stimmung, die Hofmannsthal gut 15 Jahre vor Guerlains Duftkomposition evozierte, trifft den Duft wohl ganz gut. Es bedurfte nur ein paar kleiner Umdichtungen / Reformulierungen für diese Annäherung an die Blaue Stunde, die bei Guerlain aus dem Jugendstil-Flakon und bei Hofmannsthal aus seinen Fin de Siècle Zeilen stimmungsvoll, sentimental, anrührend aufsteigt. Also, los mit den Terzinen über Blaustundigkeit, Terzinen über Anis-Nelkigkeit, Terzinen über Vanill-Iriskeit

I
Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen:
Wie kann es sein, dass diese hellen Stunden
Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?

Dies ist ein Duft, den keiner voll aussinnt
Und viel zu wundervoll, als daß man klage:
Daß alles gleitet und vorüberrinnt.

Und daß Paris, Anis, durch nichts gehemmt
Vorüberglitt mit sanfter Bergamotte
Und Neroli, fast stumm, heimlich, dezent.
Dann: daß DAS auch vor hundert Jahren war,
Ich mein zu ahnen, wie dies Stimmungsbild
Mit mir verwandt ist wie mein eignes Haar,

So eins mit mir als wie ihr eignes Haar.
II
Die Stunden! wo wir auf das helle Blauen
Des Duftes achten und den Tod verstehen
So leicht und feierlich, ganz ohne Pfauen
Wie kleine Veilchen, die sehr blaß aussehn,
Mit hübschen Blüten und die nimmer frieren
An einem Abend stumm vor sich hinstehn
Und duften, daß die NELKEN jetzt aus ihren
Schlaftrunknen Kelchen nun doch überfließen
In Bäum' und Gras, und sich matt lächelnd zieren

Wie eine Selige, die ihrn Duft versprüht.
III
Das ist aus solchem Zeug, wie das zu Träumen,
Und Träume schlagen so die Augen auf
Wie Jacques Guerlain einst am Kriegsvorabend,

Auf Guerlainade den blaßgoldnen Lauf
Von Iris, Tonka und Vanille-Benzoe.
… Nicht anders lagern solche Träume auf

Sind da und leben wie ein Duft, der sacht,
Nicht minder groß im Auf- und Niederschweben
Als Vollmond, aus Baumkronen aufgewacht.

Das Unterste steht offen ihrem Weben,
Wie Geisterlüfte in versperrtem Raum
Sind sie in uns und haben immer Leben.

Und drei sind Eins: ein Kopf, ein Herz, ein Fond.
IV
Zuweilen kommen niegeliebte Noten
Im Traum als dunkle Düfte uns entgegen
Und sind unsäglich rührend einzuotmen
Als wären sie mit uns auf fernen Wegen
Einmal an einem Abend lang gegangen,
Indes die Wipfel atmend sich bewegen

Und Duft herunterfällt und Nacht und Bangen,
Und längs des Weges, unsres Wegs, des dunkeln,
Im Abendschein die stummen Weiher prangen

Und, Spiegel unsrer Sehnsucht, traumhaft funkeln,
Und allen leisen Düften, allem Schweben
Der Abendluft und erstem Sternefunkeln

Die Seelen schwesterlich und tief erbeben
Und traurig sind und voll Triumphgepränge
Vor tiefer Ahnung, die das große Leben

Begreift und seine Herrlichkeit und Strenge.
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