Kelly Calèche 2007 Eau de Toilette

Pradia
01.05.2020 - 07:53 Uhr
15
Top Rezension
9
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft

Die Ausnahme

Es hat ja jeder so seine Duftnoten, die er einfach „nicht abkann“, die einem den schönsten Duft verleiden können und schon beim Studium der Duftpyramide eines verheißungsvollen Testkandidaten zur Vorsicht wappnen und den Enthusiasmus merklich schwinden lassen.
Für mich ist Maiglöckchen ein solches rotes Tuch, sobald es eine gewisse Intensität überschreitet. Diese Abneigung ist so stark, dass ich noch nicht mal eines längeren Parfumostudiums bedurfte, um diese zu identifizieren, Maiglöckchen und ich – nö.

Kelly Caleche habe ich gleich zum Beginn meiner Parfumozeit unter die Nase bekommen. Ich weiß nicht mehr, ob ich die Probe bewusst erstanden oder als Beigabe erhalten habe, ich weiß aber noch genau, dass nach dem ersten Test für mich sofort feststand, dass dieser Duft definitiv nichts für mich ist. Maiglöckchen-Overkill, da konnte die Rose danach so schön sein wie sie wollte – einfach nö.

Damit könnte der Kommentar jetzt zu Ende sein, ist er aber nicht.

Denn die Probe landete natürlich nicht im Müll, sondern in der - wohl in jedem Parfumohaushalt zu findenden – Probenkiste. Sammelort für alles, was einem an Proben und Abfüllungen so ins Haus kommt und auf wenig bis gar keine Begeisterung oder zumindest Indifferenz stößt. In reichlich unregelmäßigen Abständen packt es mich dann, die Kiste wird einmal „durchgeramscht“ und ich gebe einigen Düften eine zweite Chance. Obwohl, da es den Düften wohl ziemlich egal ist, ob ich sie gut finde oder nicht, gebe ich in dem Fall wohl eher mir eine zweite Chance.

So geriet mir auch Kelly nach längerer Zeit mal wieder unter die Nase, aber mit dem gleichen Ergebnis – geht gar nicht - nö bleibt nö.

Vor einiger Zeit nun habe ich meinen Testfokus auf Leder gelegt. Dass knarziges Sattelleder frisch vom Gerber nicht mein Ding ist, wird und muss sich auch nicht ändern, aber ein Wildlederschätzchen zu finden, wäre doch schön. Und so erschien beim Durchforsten der Parfumoseiten nach dem Best-of-best-of-Wildleder zwangsläufig auch Kelly Caleche wieder auf dem Radar. („Hatte ich da nicht noch eine Probe? Das war doch das Zeug, das gar nicht ging. Andererseits, wenn die noch da ist, was solls.... „) In der Tat, die Probe war noch da. Und in der Tat, es gibt eben immer mal eine Ausnahme von der Regel.
Denn diesmal – nein, fand ich den Duft nicht sofort supertoll, nein, diesmal fand ich die Kopfnote gar nicht so unerträglich. Eigentlich eher interessant. Durchaus interessant. Und vor allem ja doch recht kurz und ab der Herznote entwickelte sich diese tolle Rose. Frisch, aber nicht kalt. Ein wirklich warmer Rosenduft, der dennoch ohne Oud oder Vanille daherkommt, keine Patchoulikeule schwingt und kein bisschen (zu) reinlich wirkt.

War jetzt die Probe gekippt? Oder meine Nase?
Hier musste definitiv eine Abfüllung her. Murphy`s Gesetz zum Trotz („Es sind nie die Düfte im Souk erhältlich, die man doch gerade jetzt dringend testen MUSS“), habe ich von einer netten Parfuma auf Anfrage eine Abfüllung erhalten (vielen Dank noch mal an dieser Stelle!).
Und der darauf folgende intensive Test ergab, dass zum einen die Probe tatsächlich an Spritzigkeit eingebüßt hatte aber dass sich zum anderen wohl auch meine Nase durchaus mit Maiglöckchen arrangieren kann. Genau genommen, verloren die Maiglöckchen mit jedem weiteren Test an Dominanz, inzwischen nehme ich die Kopfnote ganz anders wahr. Hier also "die Wahrheit" über Kelly Caleche:

Der Duft startet cyphrig-bitter, in dem Sinne sehr erwachsen und für einen kurzen Moment auch recht intensiv. Der leicht bittere Grundton (dürfte die Grapefruit sein) ist deutlich wahrnehmbar, jedoch als angenehmer Kick, ein „Hinriecher“, sozusagen. Auf mich wirkt diese bittere Note – sei es nun Grapefruit oder nicht – auch hier schon wildledrig.

Relativ schnell blendet die Intensität der Kopfnote auch wieder aus und geht als (ledrig empfundener) Grundton in die Herznote über. Hier dominiert für meine Nase eindeutig die Rose, wie schon erwähnt, frisch, unseifig und kein bisschen zickig-unterkühlt, wie frische Rose für mich auch oft sein kann. Ich nehme an, dass die in der Duftpyramide erwähnten Tuberose und Mimose für die Hintergrundwärme sorgen, die mich an dem Duft so besonders fasziniert. Direkt herausriechen kann ich diese beiden jedoch nicht.

Ein direkter Übergang zur Basis findet nicht statt, die Rose blendet sich so nach und nach aus und überlässt dem Wildleder den Vorrang. Iris kann ich in der Basis nicht erkennen, jedenfalls keine Iris der üblichen frischen oder gar möhrigen Art. Ich empfinde die Basis als Wildleder pur im schönsten Sinne und als sehr langanhaltend.

Die Sillage dürfte – abhängig von der Sprühmenge – im eher mittleren Bereich liegen. Für mein Empfinden ist Kelly ein Duft, den man für sich selbst und seine Nächsten trägt, kein Partyknaller. Ein Duft, der einen in eine warme wohlriechende Aura hüllt, jedoch keinen Schleier über vier Etagen hinterlässt. Aufgefallen ist mir, dass auf meiner Haut das Wildleder stärker hervortritt, auf Kleidung dagegen die Rose.

Die Haltbarkeit ist mit ca. 4 h bis Basis-Grundton für ein EdT sehr ordentlich, man kann den Duft an sich selbst lange wahrnehmen und langsam ausklingen lassen oder auch problemlos nachsprühen, ohne dass es zu unerwünschten „Doppelungseffekten“ kommt.

Kelly Caleche ist mit Sicherheit ein Duft, der in Erinnerung bleibt, sich definitiv vom aktuellen süß-oudig-essbaren Duftschema abhebt und durchaus das Zeug zum Signaturduft hat.

Geeignet und tragbar ist Kelly meiner Meinung nach für alle Gelegenheiten und auch jahreszeitenübergreifend. Ob auch im Hochsommer, werde ich noch herausfinden.
Denn Kelly Caleche ist inzwischen als Flakon bei mir eingezogen. Das war ich ihr schuldig ;)
5 Antworten