Parfums-Jardins

Un Jardin sur le Nil 2005

Pinkdawn
26.10.2021 - 13:52 Uhr
44
Top Rezension
5
Preis
9
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8
Duft

Wie naturbelassen müssen grüne Mangos in Parfums sein?

Anfang Mai ist es noch nicht so heiß in Ägypten. Eine gute Reisezeit. Jean-Claude Ellena hat diesen Monat nicht zufällig für seinen Besuch der Kitchener Insel gewählt, wo sich einer der schönsten botanischen Gärten der Welt befindet. Das kleine Eiland wurde Lord Kitchener für seine Verdienste als Kommandant der ägyptischen Armee – insbesondere für seinen Sieg gegen die Mahdisten 1899 - geschenkt, und er begann, dort seltene exotische Pflanzen zu züchten.

In seinem 2012 veröffentlichten Tagebuch „Der geträumte Duft“ erinnert sich Ellena an eine Allee mit Mangobäumen, die gerade ihre grünen Früchte trugen. Er pflückt eine Mango und riecht an ihr. Dieser Moment wird zur Inspiration eines seiner erfolgreichsten Parfums: Un Jardin sur le Nil – der preisgekrönte und beliebteste Duft der Jardin-Serie von Hermès.
Um diesen Duft der grünen Mango baut er seine Komposition. Sie entspricht genau seiner Vorstellung eines Gartens am Nil. Bisher wusste er nur, was er nicht wollte: ein olfaktorisches Klischee der Düfte, die man in der europäischen Tradition Ägypten zuschreibt, zu bedienen. Soll heißen: orientalisch-würzig, mit viel Weihrauch usw., das es so nie wirklich gegeben hat.

Zum Glück hat Ellena die Gabe, den Duft eines Gartens am Nil nach seiner Vorstellung neu zu erfinden. Dass die grüne Mango, die jeder in diesem Parfum sofort herausriecht, tatsächlich nicht in diesem Duft vorkommt, ist typisch für Ellena. Ihm geht es nicht um naturbelassene Noten, sondern um jene Illusion, die einen Duft nicht nur plastischer, dramatischer und aussagekräftiger darstellt als jedes 100%ige Naturöl selbst gesammelter Pflanzen, sondern auch das beabsichtigte Gefühl überträgt. Genau das mag ich an Ellena und seinen Parfums. Denn auch für mich ist ein künstlerisch erhöhter, meinetwegen auch synthetischer Duft die interessantere und anspruchsvollere Variante, weil sie sozusagen die Natur interpretiert und nicht nur banal 1:1 abbildet.

Im Gegensatz zu den weniger intellektuellen 100% Bio Natur- und Ethnodüften liefert die Ellena-Kreation zusätzliche Ebenen und Anregungen. Regietheater sozusagen. Die Natur bleibt Inspiration, derer man sich (räuberisch) bedient, aber die deutlicher, verfeinerter dargestellt wird – ein Verfahren, das Kreativen aller Kunstbereiche bestens bekannt ist. Ellena beschreibt sich daher auch gern als Schriftsteller unter den Parfumeuren, dem es mehr um Kreativität als pure Komposition geht. Un Jardin sur le Nil gilt als Masterpiece des Chefparfumeurs von Hermès.

Duftnoten wie Gemüse – hier Tomatenblätter und Karottensamen – erscheinen auch heute noch ungewöhnlich. Sie waren einer der Gründe, warum ich mir diesen Duft im Sommer gekauft hab. Ich kenne bzw. besitze inzwischen einige Düfte von Ellena. Einer meiner liebsten ist Un Jardin sur le Toit, 2011 erschienen. Ich habe aber bewusst aufgehört, die beiden Gartendüfte zu vergleichen.

Un Jardin sur le Nil startet kühl und grün. Der eigenwillige Duft ist sofort präsent – mit einer leisen Schärfe, die wohl den Tomatenblättern geschuldet ist. Ich spüre Wasser in der Nähe. Der mächtige Fluss – bewachsen mit Grünpflanzen an seinen schlammigen Ufern, deren große, dunkle Blätter, grapefruitgesprenkelt vom Sonnenlicht, in der Hitze Afrikas Kühle spenden. Du könntest diesem meditativ-wechselvollen Spiel der Kontraste stundenlang zusehen.

Die Zitrusnoten am Beginn erscheinen ungewöhnlich durch den rasch einsetzenden Kontrast der Tomatenblätter und der Karottensamen. Fast fremdartig, aber anziehend.

Das behäbige Gewässer gleitet langsam dahin und versetzt dich in eine tranceartige, träumerische Stimmung. Du spürst die Stärke und Gelassenheit des Nils. Alles ist friedlich, ruhig, entspannt.

Die aquatisch angehauchte Lieblichkeit des Lotus mag etwas Wasserblumen-Dunkles einbringen, aber nichts Düsteres. Eher Geheimnisvolles, das sich nicht genau einordnen lässt. Und eine exquisite, grasiggrüne Süße.

Der Fluss, die Ufer - eine Trance, der man sich gerne hingibt. Gräser und unbekannte Pflanzen spenden Frische. Die elegante Süße hat nichts Blumiges. Eher etwas Abstraktes. Das ist wohl die grüne Mango.

Die Stärke und Gelassenheit des Nils ist in diesem Duft präsent. Die Wärme des Sommers und eine gewisse Gemächlichkeit sind ebenfalls spürbar. Gleichzeitig hat dieser Duft – vor allem anfangs – etwas Frisches, Knackiges, Grasiges.

Ich empfinde die Kühle großer Pflanzen mit schattenspendenden, dunkelgrünen Blättern.
In der Herznote gesellen sich weitere Elemente dazu, die Neues bringen, sich aber harmonisch ins Ganze einfügen: Kolbenschilf etwa, ein Hauch Orange, kaum wahrnehmbar, Hyazinthe und Pfingstrose.

Erst in der Basis treten Weihrauch, Moschus, Iris und Labdanum auf und lassen den Duft aromatisch-pudrig ausklingen wie ein langer, langer, rotgoldener Sonnenuntergang in Afrika, der einfach nur wortlos macht.

Vom angeblich enthaltenen Zimt merke ich nichts. Da zeigt sich die mächtige Platane schon deutlicher.

Der Duft ist komplex und spannt seinen Bogen vom sommerlichen Smoothie über fruchtige Noten und kühl wirkende Blumen bis hin zum sanften, entspannenden Ausklang, der immer noch würzig bleibt.

Für mich ist Un Jardin sur le Nil wie eine Reise – abwechslungsreich, in jeder Phase angenehm, einzigartig, leise und kostbar. Ein exquisiter Unisex-Daytimer für den Sommer.

Haltbarkeit und Sillage sind nicht allzu ausgeprägt. Das Parfum ist aber ein Eau de Toilette, das eben nur in diesen zarten Tönen funktioniert, sonst gäbe es sicher längst ein EdP dazu.
Ich hab diesen Duft im letzten Sommer oft getragen und führe ihn auch noch an hellen Frühherbsttagen aus, weil seine Milde mit deren Stimmung korrespondiert.
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