Unkommentierte Düfte No. 47
Meine Mission der Entdeckung unbekannter vetiverbedufteter Länder führt mich heute auf dunklen Pfaden in einen undurchdringlichen Wald, der auch nach längerem Durchwandern nicht unbedingt lichter und vertrauter wird. An meiner Seite ein Begleiter, der mir mit sonorer Stimme zuraunt, dass er garantiert den Weg aus diesem Dickicht finden werde, komme, was wolle.
Vetiver di Giava ist, sagen wir es mal vorsichtig, rustikal, harzig-krautig-gruselgrün, aus meiner Sicht so überhaupt nichts für Menschen mit zwei X-Chromosomen und doch auf seine Weise sehr reizvoll.
Als ich die Inhaltsstoffe las: Vetiver, Lavendel, Thymian, Kiefer, Moos, Zeder, da wusste ich sofort, dass mir dieser Duft gefallen könnte und bestellte ihn ohne vorherige weitere Tests. Hätte ich einen weiteren Moment nachgedacht, wäre mir allerdings auch klar geworden, was mich hier erwartet. Denn was bei der o.g. Liste völlig fehlt, ist eine mildernde, lindernde Komponente, die das Grün-Krautig-Harzige etwas weicher gestalten könnte. Tatsächlich ist es sogar so, dass das Vetiver, sonst oft dominant in einem Duft, ein wenig verdeckt wird und sich erst nach und nach entfalten kann.
Der Duft startet mit einer Lavendelnote, in die sich gleich von Anfang an auch koniferige Akzente mischen. Und tatsächlich enthält dieser Duft, wie beschrieben, auch Kiefer als Komponente. Das aber ist gar nicht so alltäglich, wie man meinen könnte. Tanne bzw. Tannenbalsam etwa findet sich viel häufiger. Nur etwas mehr als 150 Herrendüfte enthalten Kieferntöne, wirklich bekannte Vertreter sind kaum dabei, noch seltener solche, in denen man die Kiefer auch tatsächlich bewusst wahrnehmen kann. Darunter allerdings mein Signatureduft „Yatagan“, ein weiterer Vetiververtreter, nämlich Le Vetiver Itasca von Lubin, Blenheim Bouquet von Penhaligion‘s, Equipage von Hermès und das allseits bekannte, berühmt berüchtigte Pino Silvestre. Ich spare mir die Aufzählung weiterer Vertreter, kann aber versichern, dass es häufig Düfte sind, die einer breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt sind, eher hier auf Parfumo Würdigung erfahren oder aber schon länger nicht mehr am Markt präsent sind (Düfte wie Hugo und Obsession for Men sowie einige andere klammere ich aus, da der Koniferenakzent dort bei weitem nicht so deutlich zutage tritt).
Tatsächlich führt der Vergleich mit den o.g. Düften ein Stück weiter. Auch Vetiver di Giava hat diesen raubeinigen, männlichen Charme, den die meisten anderen zuvor genannten Vertreter verströmen. Während aber alle anderen eine aufhellende hesperidische Kopfnote enthalten (Zitrone, Neroli bzw. Orange, auch Grapefruit u.a.), fehlt diese hier offenbar tatsächlich ganz. Auch auf eine weiche, warme Basis wurde bei diesem kernigen Kerl verzichtet.
Betrachtet man die Inhaltsstoffe ein wenig genauer als hier auf Parfumo angegeben, dann fällt auf, dass zwar auch Vetiver di Giava Limonene und Citral enthät, diese aber weder in der Kopf- noch in der Herznote wirklich zu spüren sind; allenfalls der Lavendel sorgt für helle Akzente, betont aber gleichzeitig das Herbe des Duftes.
Nach einer Weile schiebt sich dann zu allem Überfluss auch der Holzakzent in den Vordergrund, fast ein wenig so, als würde man in einem Sägewerk in einer Wolke flirrender Sägespäne stehen: Darf‘s noch ein Schlag mehr mit der Holzfälleraxt sein?
Den genannten Thymian meine ich unterscheiden zu können, bin mir aber nicht sicher, weiß nur, dass es hier auch eine krautige Komponente gibt, die fast im ganzen Duftverlauf präsent ist. Das Moos erwähne ich nicht, weil ich es hier in diesem grünen Gebräu nicht auch noch isolieren kann, auch wenn ich es sonst ebenfalls sehr schätze und selbstverständlich politisch korrekt die Eichenmoospetition unterschrieben habe.
Und das Vetiver? Das ist natürlich auch da, es gibt der ganzen Komposition einen Rahmen, stützt sie, gibt ihr Form von Innen heraus - und der Duft trägt aus meiner Sicht darum durchaus zurecht den Namen dieses Süßgrases (hier in seiner Herkunftsform aus Java, Indonesien; ital.: Giava), auch wenn man sich ein wenig darüber streiten könnte.
So steht dieser Naturbursche also vor bzw. neben mir: statt eines Gentleman mit vetiverbeduftetem Harris Tweed-Jackett ein netter, drahtiger, braungebrannter Kerl undefinierbaren Alters mit Holzfällerkarohemd, Axt in der Rechten, stets bereit sich seinen Weg durchs Unterholz eines dichten Waldes ohne Zögern zu bahnen.
Wenn ich es mir recht überlege, ist mir dieser Bursche eigentlich wirklich sympathisch. Es kann nicht schaden, mit ihm befreundet zu sein.
Kopfnote 
Herznote 
Basisnote 
