Memoirs Of A Trespasser 2012

Rebirth2014
26.08.2020 - 10:21 Uhr
12
Hilfreiche Rezension
8
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
9.5
Duft

Träume in der Schlossbibliothek

Durch den verwilderten Schlossgarten hatte ich mir meinen Weg gebahnt und nun stand ich vor dem Haupteingang des Schlosses, welches bizarr in der Abendsonne funkelte. Im Empirestil erbaut spiegelte dieser ländliche Palast all den widerlichen Kitsch dieser Epoche. Selbst eine stilisierte Totenmaske Napoleons hatte das Interieur zu bieten. Mit dieser – oder besser gesagt mit Napoleon – identifizierte sich offenbar der stolze Besitzer, der sich gerne selbst als Kaiser seines kleinen Imperiums bezeichnete.

An meinen letzten Besuch erinnerte ich mich noch all zu gut. Der Schlossherr führte mich durch die Räume des Schlosses, welche an Geschmacklosigkeit nicht zu übertreffen waren. Näher darauf einzugehen würde mir jedoch extremes Unbehagen bereiten, weshalb ich darauf verzichte.

Als Industrie-Mogul der Lederbranche kam Herr Knut – so der Name des eitlen Gockels - dem unangenehmen Drang gerne nach, seinen Reichtum unmissverständlich zur Schau zu stellen.

Doch mich interessierte weder dieser Herr Knut, noch sein hässliches Gebäude, in dem er sich aufgetakelt präsentierte. Zu meinem Glück war er ein paar Tage nach Paris gereist und hatte mir erlaubt weitere Nachforschungen in seiner Bibliothek anzustellen. Damit musste ich nur noch den protzigen Bau, nicht aber den eitlen Pfau in Menschengestalt ertragen.

Der betagte und schweigsame Verwalter öffnete mir das Tor und nickte abwertend in die Richtung der Bibliothek, die sich im einzigen Turm des Schlosses befand. Mit Büchern konnte dieser einfältige Kerl bestimmt nichts anfangen. Aus seinen Augenhöhlen drang spürbar die einsilbige Dummheit eines Neandertalers hervor.

Ich beachtete ihn nicht weiter und wandelte direkt, durch die verborgenen Gänge der Dienerschaft, zur Turmtreppe hinauf. Nun öffnete ich die schwere Tür und ein mysteriöser Duft drang in meine Nüster. Süßlich vergilbtes Papier, herbe Ledereinbände und das schwere Edelholz der Regale bildeten den olfaktorischen Rahmen, in dem meine Leidenschaft sofort aufzulodern begann.

Diesem oberflächlichen Industriellen war entgangen, welche Schätze sich in seiner wahllos zusammengewürfelten Bibliothek verbargen. Während er offensichtlich davon ausging, ich würde für ihn die Geschichte der Grundmauern seines renovierten Schlosses recherchieren, verhoffte ich mir tatsächlich eine seltene Ausgabe des Necronomicon unter den Nagel reißen zu können, von dessen Existenz dieser neureiche Narr noch nicht einmal etwas ahnte. Besonders lustig erschien mir hierbei, dass Herr Knut sogar ein berufliches Interesse an dem Buch haben müsste, da der Einband einst aus Menschenhaut gegerbt wurde. Durch Zufall war ich bei meiner ersten Begehung der Bibliothek direkt auf das Necronomicon gestoßen und wollte nun die Gunst der Stunde nutzen, um es zu bergen.

Das Innere der Bibliothek war ungewöhnlich asymmetrisch geformt. Der Blick zur Decke konnte verwirren, da weder ein Vordergrund noch ein Hintergrund eindeutig ausgemacht werden konnte. Zusätzlich betäubend wirkte dieser stickige Geruch des Staubes, der wie eine unsüße Zuckerkruste auf den Büchern lag. Es raschelte darin und manche der alten Bücher zeigten sogar Rattenfraß.

In diesem Moment huschte eines dieser grässlichen Nagetiere an meinen Füßen vorbei, blieb an einer Stelle des Regals stehen, als wollte es mir etwas zeigen. Schwerer und stickiger wurde die Luft um mich herum, als ich mich auf das Nagetier zubewegte. Vom Schwindel erfasst sank ich zu Boden und stellte fest, dass die Ratte ein menschliches Gesicht besaß. Die Kreatur sah aus, als hätte sie das Gesicht des Herrn Knut; nur verzerrt durch die wuchtigen Nagezähne, die einen großen Teil der Unterlippe bedeckten.

Mit ebenfalls menschenähnlichen Händen zeigte diese grauenhafte Miniatur auf das Buch, welches nun direkt vor meiner Nase lag. Ein unbeschreibliches Grauen ergriff mich, denn alles Vertraute versank in einem Strudel aus Wahnsinn. Ich war verbunden mit einer uralten Welt, einem auf der einen Seite verzaubernden Geruch, der meinen Neigungen zu Abenteuern und unergründlichen Mysterien verheißungsvolle Versprechen machte - und auf der anderen Seite der reine visuelle Horror.

Umringt von dämonischen Gestalten und einer an meinem Körper nagenden Ratte, die unentwegt sagte: „Denkst Du wirklich ich habe Dich nicht durchschaut! Du bedauerliche Kreatur! Ich bin der Kaiser meines Imperiums!“, versank ich in einen tiefen Schlaf, welcher in süßwürzigen Woken aus Popcorn davongetragen wurde; gefangen in den Erinnerungen eines Eindringlings.

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