The Cobra & The Canary 2012

Magineer
21.03.2020 - 12:13 Uhr
11
Sehr hilfreiche Rezension
6
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8
Duft

Long Live The New Leather

Die Bilder im Kopf sind hier alle schon erwähnt worden:

Sportwagen aus den 60ern. Das endlos lange Asphaltband der Route 66, das sich, flirrend vor Hitze, mitten durch die staubige Wüste schneidet. Das Gummi der Räder, das nach einem Kavaliersstart als deutliche Spur ein Muster über die Straße legt. Trockenes Gras am Wegesrand, wirbelnd in den benzingetränkten Auspuffgasen, die hinter den sich schnell entfernenden Rücklichtern zurückbleiben. Drin streichelt der Fahrer selbstverliebt über das hellbraune Leder seiner Sportsitze. Der Sonne entgegen. Die Freiheit ist grenzenlos.

Stimmt alles. Zuerstmal vielen Dank an X57deadsoulx, meinen Helden, der mich unermüdlich an neue Duftrichtungen heranführt und der mir netterweise auch die Abfüllung von C&C überlassen hat. Das war der Auslöser dafür, mich näher mit den Düften der Imaginary Authors zu beschäftigen, einem US-Indie-Dufthaus, dessen Konzept, spannende Geschichten auf Papier mit einer olfaktorischen Reise im Kopf zu verbinden, bei mir offene Türen eingerannt hat. Zu einigen weiteren IA-Düften werden demnächst mit Sicherheit noch einige Kommentare von mir erfolgen - an dieser Stelle jedoch zurück zu "The Cobra and The Canary", zu dem schon viel gesagt wurde. Ich kann da gar nicht soviel Neues dazu beitragen und fasse mich deshalb kurz, aber die Imaginary Authors haben hier wirklich jede Erwähnung verdient, die ihnen zuteil wird.

Die erste Geruchsbegegnung mit "The Cobra & The Canary" lässt mich kurz etwas züruckprallen, denn mir knallt für ein paar Sekunden ein stechend chemischer Geruch durch die Nase direkt ins Großhirn, bei dem ich erst ein Lederreinigungsspray assoziiere, bevor es sich schnell als ziemlich frische Zitrone herausstellt. Der oben genannte und erwartete Asphalt hält sich vorerst noch zurück, aber schnell mündet das Zitrische in den vertrauten Geruch hellen (Kunst-)Leders, und in diesem Moment kommt mir tatsächlich der Tom-Ford-Immergeher "Tuscan Leather" in den Sinn. Nur ganz kurz, denn während der Klassiker sich als frisch geöffneter Schuhkarton aus einer italienischen Edelboutique präsentiert, stellt sich C&C als trotziger kleiner Rebell heraus, dem nichts über seine Freiheit geht, in der Kerle in Lederjackets und Frauen im Petticoat bis ans Ende aller Zeiten sehnsuchtsvoll über den Highway cruisen. Dazu gesellt sich Straßenstaub und sonnengetrocknetes Gras, bevor der aufgemotzte Sportwagen eine leichte Ölspur auf den Asphalt rotzt und sich ins nächste Abenteuer begibt. Hier in dieser Phase erinnert C&C am Rande übrigens ein bisschen an Guerlains unterschätzten "Cuir Intense".

"The Cobra and The Canary" hat Charakter, und davon nicht wenig. Wer bis jetzt nicht auf ungebändigtes Leder stand, wird sich auch von der IA-Interpretation wohl eher nicht umstimmen lassen, obwohl der Duft nach einer Weile sanfter und gefälliger wird. Auch die Fraktion, die ihr Leder lieber richtig dreckig mag, wird von der nach starkem Auftakt fehlenden Konsequenz enttäuscht sein und weiterhin auf Francesca Bianchis "The Lover's Tale" oder Diors "Leather Oud" zurückgreifen. Wer jedoch eine Spur Alltagskompatibilität bei seinen Abenteuern schätzt und trotzdem nicht als glattgebügelter Mainstreamer im Büro oder im Club aufschlagen will, der sollte C&C beim nächsten Parfümeriebesuch eine Chance geben. Die Projektion ist sehr ordentlich, daher die Sprühstöße nicht übertreiben, und wenn sich der Duft irgendwann nach 7 bis 8 Stunden auf Hautnähe zurückzieht, bleibt er hier noch eine ganze Weile kleben, dieser sehnsuchtsvolle Duft nach Freiheit. Go for it!

Well done, Josh Meyer. Mögen deine erträumten Geschichten uns auch in Zukunft zuverlässig durch den grauen Alltag begleiten. Can't wait for the next adventure...
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